Markomannenchronik (2001)
Die Markomannenchronik wurde 2001 zum 100. Stiftungsfest des KStV Markomannie erstellt und umfasst neben der 100jährigen Geschichte die gesammelten Grußworte und Ansprachen, eine Liste aller Vorstände, eine Laudatio auf Heinrich Austermann, sowie ein Mitgliederverzeichnis, inkl. einer Liste der Verstorbenen BbBb. Das Mitgliederverzeichnis wird hier nicht online gestellt. Es steht aber allen BbBb im internen Bereich von https://www.markomannia.org zur Verfügung.
Die Chronik wurde in großer Auflage gedruckt und jedem BbBb zugesandt.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Altherrenverein Markomannia (Hg.) Markomannia 100 Jahre, Festschrift zum Jubiläum/ Altherrenverein Markomannia. - Greven: V.f.G., 2001
ISBN: 3-9807065-1-6
Herausgeber: Altherrenverein Markomannia
Kampstraße 10
D-48147 Münster
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Handle mannhaft dem gegebenen Schicksal folgend und es ertragend stark in der Zukunft mit rechtem Sinn den Gütern des Friedens dienend
Grußworte
Grußwort des Philisterseniors
Liebe Markomannen! Festschrift „100 Jahre Markomannia" liegt in Euren Händen. Die Autoren freuen sich, sie alle Lesern zur Erinnerung an frühere Zeiten und vor allem hoffentlich zur Freude überreichen zu dürfen. „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschliesst, wird blind für die Gegenwart!" Dieses Wort unseres Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker kennzeichnet treffend die Ausgangssituation, der sich der Festausschuss vor mehr als einem Jahr gestellt hat. Es war unser Anliegen, die Momente wiederzufinden, die zur Gründung der Markomannia geführt haben. Wir wollten die historischen Wurzeln und das Fundament verstehen lernen, welche Markomannia allen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen zum Trotz durch die letzten 100 Jahre getragen haben. Die beeindruckenden Festvorträge von Bb Dr. Heinrich Hoffschulte und Prof. Dr. Günter Rinsche aus Anlaß des 9. Februars 2001 haben uns in vielen Beispielen aus unserer Geschichte bestätigt, dass das Fundament unserer Prinzipien im katholischen Glauben auch heute noch trägt. Heute sollten wir uns unserer Verantwortung als gläubige Christen gegenüber den Herausforderungen im neuen Jahrtausend stellen. Zugleich ist dieses Buch Reverenz und Dank an jene Bundesbrüder, welche in der Vergangenheit Großes für unsere Korporation geleistet haben. Ein intensives, historisches Quellenstudium in Bibliotheken und Archiven förderte eine ungeahnte Fülle an Material zutage. Bisher verborgene Urkunden, Berichte, Dokumente und Fotos aus allen Zeiten unserer Geschichte wurden entdeckt, diskutiert und verarbeitet. Aus den umfangreichen Quellen mußten wir eine Auswahl treffen, schließlich sollte nicht ein mehrbändiges Werk entstehen, sondern eine handliche Festschrift. Wir hoffen, diesem Ziel zumindest nahe gekommen zu sein. Als Nebenprodukt ist ein umfangreiches Archiv entstanden, welches gewährleistet, dass die gesammelten Materialien gepflegt und künftigen Generationen zur Verfügung stehen werden. Aus dem gleichen Fundus konnte eine Fotoausstellung geschaffen werden, welche 100 Jahre Korporationsgeschichte im Bild dokumentiert. In dem von Johann Conrad Schlaun erbauten Schloss zu Münster, heute Heimat unserer Alma Mater, wird sie anlässlich unseres 100. Stiftungsfestes zu bewundern sein. Eine kleine Anzahl der Bilder hat auch Eingang in diese Festschrift gefunden. An dieser Stelle ist es mir zugleich Pflicht und Freude, allen Bundesbrüdern Dank zu sagen, die an der Erstellung der Festschrift, der Fotoausstellung und der Vorbereitung unseres 100. Stiftungsfestes mitgearbeitet, viele freie Stunden geopfert und in den Dienst der guten Sache gestellt haben. Damit lieferten sie erneut einen Beweis, dass Markomannia lebt! Dieses Engagement lässt uns mit Zuversicht in die Zukunft schauen und gibt uns den Mut, auch künftig immer wieder von Neuem jungen Bundesbrüdern Orientierung zu geben und sie für unsere Gemeinschaft zu begeistern. Mit Markomannengruß
Dr. med. Bernhard Egen, Philistersenior
Grußwort des Aktivenseniors
Liebe Bundesbrüder, stolze 100 Jahre ist unsere Markomannia alt geworden. 100 Jahre und keineswegs gealtert! Wie ist das zu erklären? Unser Lebensbund beruht auf einem Fundament von überzeitlicher Geltung, den drei Prinzipien religio, scientia und amicitia. Sie haben den Verein begründet, begleitet, zusammengehalten und alle politischen Systeme des vergangenen Jahrhunderts überdauern lassen! Aus diesem Grunde haben wir zu unserem Jubiläum einmal nach ihrer Bedeutung gefragt und die Inhalte der formalen Leitideen in Chronik, Geschichte und Biographie herausgearbeitet. Die Ergebnisse der Nachforschungen werden in dieser Festschrift vorgelegt. Sie fügt die vielen Semester-Teilbeiträge zu einer Art „Enzyklopädie" zusammen, soll nicht nur Jung mit Alt verbinden und Erinnerungen wachhalten, sondern auch ein unverzichtbares Nachschlagewerk für kommende Generationen sein. An den hier aufscheinenden Markomannengeist will der Vorstand im Jubel-Semester anknüpfen und seine Prinzipien zeitgemäß leben. Mögen nach uns noch viele Vorstände durch die „Schule Markomannia" gehen und dabei wertvolle Erfahrungen sammeln.
Vivat, crescat, floreat ad multos annos! Marc-Albert Kuntz Mk! X, Aktivensenior
Grußwort Seiner Exzellenz Bischof Dr. Reinhard Lettmann
Liebe Mitglieder der Studentenverbindung Markomannia! Herzlich gratuliere ich Ihnen zum 100-jährigen Bestehen der Studentenverbindung Markomannia. Gern übermittele ich Ihnen meine Glück- und Segenswünsche! In den zurückliegenden 100 Jahren hat die Verbindung Studenten aus allen Fachrichtungen zusammengeführt. Die Vielfalt der in der Verbindung vertretenen Disziplinen und die Verbundenheit zu bereits berufstätigen Mitgliedern weiten das Blickfeld für die Differenziertheit gesellschaftlicher Realität. Neben dem universitären Studium tragen die weiteren Aktivitäten zur Formung sozialer Kompetenz bei. So kann die Verbindung seit ihrer Gründung dazu beitragen, dass für die Studenten nicht nur das Fundament akademischer Bildung gelegt wird, sondern auch eines von menschlicher Reifung und Identität. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der Bildung und Wissen über technische Zusammenhänge und Regeln zur unabdingbaren Voraussetzung einer Bewältigung beruflicher Aufgaben gehören. Zu unserer menschlichen Existenz gehört daneben aber auch die Erfahrung, dass uns Menschen etwas fehlt, wenn wir alles haben und wissen und doch über das Ganze unseres Lebens nicht verfügen können. Hierher gehört alles Denken, das sich den Fragen stellt: Was ist der Mensch? Wie kann ich die Wirklichkeit meines Lebens angemessen verstehen, nicht nur seine technischen oder wirtschaftlichen Abläufe, sondern auch ihren Sinn, ihre Lebenstiefe? Was ist eigentlich gut, was ist böse? Was stiftet den Sinn meines persönlichen Lebens? Welche Linien bestimmen mein Handeln? Diese Erfahrungen weisen uns darauf hin, dass wir alles, was wir wissen können und lernen sollen, immer in Beziehung setzen müssen zu unserem Verständnis von Welt und Mensch. Alles Lernen und alles Wissen muss sich am Selbstverständnis des Menschen ausrichten. Für uns Christen hat die unbedingte Würde des Menschen ihren Grund in Gott, der sich in seinem Sohn Jesus Christus gezeigt hat. Der Glaube an die Menschenfreundlichkeit Gottes gibt unserem Leben das sinnstiftende Fundament, das wir uns niemals selbst geben können. Er bestimmt unseren Einsatz für seine Zukunft, die durch Verantwortung, Solidarität und gegenseitige Achtung geprägt sein muss. Das Evangelium zeichnet die Linien unseres Denkens und Handelns vor. Die Treue zum Evangelium Jesu Christi und die persönliche Verbundenheit zur Kirche als Gemeinschaft der Christen wird in unserer heutigen Zeit nicht mehr durch selbstverständliche Traditionen und Autoritäten gestützt, sondern liegen in der Entscheidung und im Ermessen des Einzelnen. Hier liegt die zentrale Aufgabe der Studentenverbindung. Wir brauchen eine Vielzahl von Wegen, auf denen Menschen zu einem Leben aus dem Glauben und in die Gemeinschaft der Kirche finden. Sie können über Studium und Verbindung jungen Menschen einen solchen Weg eröffnen. Ich ermutige sie, unerschrocken und glaubwürdig dem verbreiteten Individualismus, der Einsamkeit und der Angst vor der Zukunft das Zeugnis von Solidarität, Freude und Hoffnung entgegenzusetzen, wie es der Apostel Paulus schreibt: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadele, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung. Denn es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln; und man wird der Wahrheit nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien zuwenden. Du aber sei in allem nüchtern, ertrage das Leiden, verkünde das Evangelium, erfülle treu deinen Dienst!" (2 Tim 4,2-5) Ihnen und allen, die sich Ihnen verbunden wissen, wünsche ich Gottes Segen! Ihr
+ Dr. Reinhard Lettmann
Grußwort des Regierungspräsidenten
Zum 100-Jahr-Fest des KStV Markomannia übersende ich allen Mitgliedern meine herzlichsten Glückwünsche. Einhundert Jahre KStV Markomannia ist ein Jubiläum, das Sie mit Stolz feiern können. Es zeichnet den KStV Markomannia aus, daß er sein Selbstverständnis nicht auf einen geschlossenen akademischen Bund reduziert. Auf Grundlage der Prinzipien Religion, Wissenschaft und Freundschaft verstehen die Markomannen die akademische Ausbildung vielmehr auch als Verpflichtung zur Verantwortung in Kirche, Staat und Gesellschaft. Gerade in der gegenwärtigen Phase umfassender Veränderungen und Umbrüche ist ein aktives Engagement zur verantwortungsbewussten Mitgestaltung in unserer Gesellschaft unabdingbar. Umso wichtiger sind daher die Beiträge, die durch Ihren Studentenverein zur Verfestigung einer solchen geistigen Grundhaltung geleistet werden. Einhundert Jahre KStV Markomannia ist aber auch ein Stück Geschichte des studentischen Lebens in Münster. Ob Vortragsveranstaltungen in der Kampstrasse 10 oder sommerliche Abende auf dem Bootshaus, für Generationen von Studentinnen und Studenten auch ausserhalb Ihrer Verbindung sind die Begegnungen mit dem KStV Markomannia unvergesslich.
Dr. jur. Jörg Twenhöven, Regierungspräsident (Car-F)
Der Oberbürgermeister der Stadt Münster
Münster wird durch die Westfälische Wilhelms Universität und die anderen Hochschulen geprägt wie kaum eine andere Universitätsstadt. Die Studierenden bereichern das gesellschaftliche und kulturelle Leben unserer Stadt, sie sorgen dafür, dass Münster zugleich eine alte, historisch gewachsene wie eine junge, sich ständig erneuernde Stadt ist. Dabei hat sich über die Jahrzehnte Münsters Beliebtheit als Studienort immer mehr gesteigert. Unsere Stadt gehört heute zu den beliebtesten Studienorten in Deutschland. Mit dazu beitragen auch die vielen Korporationen, die insbesondere Studenten, die von ausserhalb Münsters stammen, den Zugang zu unserer Stadt erleichtern, ihnen schnell ein Gefühl von Heimat und Gemeinschaft geben. Die Korporationen, Studentenverbindungen und Studentenvereine in Münster haben oftmals eine sehr lange Tradition. Einer der traditionsreichsten Studentenvereine unserer Stadt, der KStV Markomannia feiert im Jahr 2001 sein l00jähriges Jubiläum. Ich beglückwünsche den KStV Markomannia sehr herzlich zu seinem 100. „Geburtstag", danke für die bislang geleistete Arbeit und wünsche ihm und seinen Mitgliedern für die Zukunft alles Gute.
Dr. jur. Berthold Tillmann
Grußwort des KV-Rats-Vorsitzenden
Liebe Kartellbrüder, liebe Markomannen, Für Aussenstehende ist es immer wieder erstaunlich, dass sich unsere Korporationen insgesamt trotz aller Anfeindungen und Anfechtungen so lange behaupten konnten. Hier muss wohl ein Erfolgsrezept wirken, das mit mehr Zukunft ausgerüstet war, als viele es vermutet hatten. Ein herausragendes Beispiel für diese Erfolgsgeschichte des katholischen Korporationswesens ist der Studentenverein Markomannia an der Universität Münster, der nun schon hundert Jahre besteht. An ihm lässt sich unschwer ablesen, warum er in einer Welt, in der, wie es Rainer Maria Rilke schon vor 80 Jahren bemerkt hat, Nützlichkeit und Opportunismus vorherrschen, ein Bund überzeugter Idealisten nicht untergehen wird. Das klare Profil der Markomannia mit seinem offenen Bekenntnis zum katholischen Glauben, seiner Verpflichtung zur wissenschaftlichen Leistung und einer die Generationen überschreitenden Freundschaft hat der Korporation zu einer Blüte bis in unsere Tage verholfen. Dankbar ist unser Verband dafür, dass sich Markomannia stets zu uns bekannt und sich nicht verschlossen hat, an führender Stelle mitzuwirken. Hier wurde Kartellbrüderlichkeit beispielhaft vorgelebt. Der KV braucht solche Korporationen, die, wie Markomannia kritisch und solidarisch zugleich, ihn vor Selbstgenügsamkeit bewahren. Ohne Zweifel ist die Geschichte der Markomannia noch nicht beendet. Sie darf mit einiger Gewissheit noch auf viele weitere glückliche Jahre hoffen. Das wünscht Euch von Herzen Euer
Dr. Wolfgang Löhr, Vors. KV-Rat (Arm, Car-F, Un, Ru-Ke, Gro-Lu, Car)
Grußwort des Vorsitzenden im KV Ortszirkel „Drubbel"
Liebe Kartellbrüder, „Zuerst muss man an die Sache denken, darauf an die Idee, dann an den Zusammenhang der Teile und schließlich muss man alles zu einem untrennbaren Erscheinungsbild zusammenfügen." (Gian Lorenzo Bernini) Was hier ein grosser Baumeister in seinem Baubüro seinen Schülern als Maxime auf den Weg gab, gilt auch und besonders für den KStV Markomannia im KV. Als Vorsitzender des Altherrenvereins Germania und damit für die Mutterkorporation übermittle ich unserer Tochter Markomannia zum 100. Geburtstag herzliche Glückwünsche. Die Maximen Berninis sind übertragbar auf die Gründung des KStV Markomannia am 14. Februar 1901, als durch Teilung Germanias zwei neue Korporationen entstanden. Die Maximen Berninis hatten Gewicht für 100 Jahre, in denen nicht nur innerhalb einer Familie über die Generationen Leben vermittelt wird, sondern auch und besonders in einer Korporation der historische Überblick dank seiner Mitglieder gewahrt wird. Die Maximen Berninis haben Gewicht: Sache - Idee - Zusammenhang (-halt) - untrennbares Erscheinungsbild. Markomannia hat dadurch Gewicht - wir als Mutterkorporation Germania - und mit Germania der KV-Ortszirkel „Drubbel" können stolz darauf sein. Gewicht haben bedeutet: Einsatzmöglichkeiten für Staat und Kirche, für unseren Kartellverband in Deutschland, für unseren Ortszirkel „Drubbel" in Münster. 100 Jahre liegen hinter Markomannia, weitere Jahre liegen vor Markomannia - Leben aus der Gegenwart für die Zukunft. Markomania wünsche ich ein stetes Blühen, Wachsen und Gedeihen.
Dr.med. Michael Heil, Philistersenior KStV Germania (Bsg, Bar, Nf, Gm)
Grußwort des Studentenpfarrers Hans-Bernd Köppen
Liebe Markomannia! Vom Kaiserreich bis zum demokratischen Staat, der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland - Diese Stichworte skizzieren die großen Veränderungen im Staat in den letzten 100 Jahren. In der Technik, der Medizin und allen anderen wissenschaftlichen Disziplinen lassen sich vergleichbare Veränderungen beobachten. Wie sehr sich die Kirche gewandelt hat, macht gerade ein Blick in die Geschichte deutlich. Als Studentenverbindung feiern Sie in diesem Jahr Ihren 100. Geburtstag. Grund genug, mit dieser Festschrift Rückblick auf die Geschichte der Verbindung zu halten. Manche Erinnerung wird sicherlich dadurch in Ihnen geweckt. Gerade Studenten können aber nicht einfach nur Erinnerungen wachhalten. Es gilt im Kontakt mit der Geschichte die Zukunft zu gestalten. Gott selber ist der Ursprung und die Vollendung der Geschichte. In der Menschwerdung seines Sohnes ist er einzigartig mit ihr verbunden. Dadurch gibt er dem menschlichen Leben Würde und Wert. Ein Rückblick in das 20. Jahrhundert macht deutlich, wie oft diese Würde mißachtet worden ist. Als katholische Studentenverbindung wollen Sie die Botschaft Jesu in der Welt leben. Die Würde und den Wert menschlichen Lebens gilt es dabei auch im 21. Jahrhundert zu bezeugen und einzufordern. Zu Ihrem Jubiläum gratuliere ich Ihnen als Studentenpfarrer herzlich. Für die Feierlichkeiten wünsche ich Ihnen gutes Gelingen und für Ihre weitere Arbeit Gottes Kraft und Segen.
Hans-Bernd Koppen, Studentenpfarrer
Grusswort des katholischen Standortpfarrers
Dem jubilierenden Katholischen Studentenverein Markomannia im KV spreche ich gerne meine herzlichen Glück- und Segenswünsche aus. Markomannia: das ist nicht bloss ein Verein, sondern ein Generationen überdauernder, lebendiger, in Formen und Prinzipien gefestigter Bund katholischer Akademiker. Zum 100jährigen Bestehen zu gratulieren ist mir Verpflichtung und zudem Vergnügen. Ich selbst gehöre seit über 25 Jahren aus gewachsener Überzeugung demselben Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine an. In all den Jahren habe ich die einzelnen Freundeskreise in den Vereinen sowie den gesamten KV als echten Lebensbund erfahren. Wer das Wagnis eingeht, sich an einen oder mehrere Studentenvereine zu binden, und in diesen auch engagiert mitlebt, der darf heute und auch später immer wieder erfahren, dass sich die Mitgliedschaft im KV als hilfreich und Halt gebend erweist. Das beziehe ich nicht bloß auf die berufliche Zukunft des einzelnen, sondern meine es im umfassenden Sinn. Mehr als in vergangenen Generationen braucht jeder von uns Interessengemeinschaften und Freundeskreise, in denen Persönlichkeit und Glaube wachsen können und sich bisweilen auch bewähren müssen. Als katholischer Studentenverein genüge sich Markomannia niemals selbst. Ich wünsche ihm zu seinem 100jährigen Bestehen, dass er auch weiterhin Christen dazu befähigt und ermutigt, den katholischen Glauben nach innen und nach aussen freimütig und engagiert zu bekennen und in der Kirche mit Verantwortung zu übernehmen. Die Bereitschaft, sich schliesslich auch am politischen Leben aktiv zu beteiligen, ist daraus nur die logische Konsequenz. Das Jubiläum fällt in eine Zeit ziemlicher Unwetter um das Schiff KIRCHE. Die offizielle Laienvertretung in Deutschland schickt sich m.E. an, sich in verhängnisvoller Weise vom Papst und den Bischöfen einerseits und von grossen Teilen der Basis andererseits zu entfernen. Damit wird das laikale Element letztendlich geschwächt. Ich wünsche den Markomannen getreu ihrem Wahlspruch „Viriliter age!" hier vor allem ihre Verantwortung zu erkennen. Ich erhoffe mir zum Jubiläum ein erneuertes Ja der Markomannia zum KV und zu seinen seit nahezu 150 Jahren gelebten Prinzipien, damit letztendlich das treue Bekenntnis zum dreifaltigen Gott und seiner Kirche.
P. Robert Jauch OFM, Militärpfarrer (Rh-I, Rh-F, Ta, Arm, E.d. GroLu)
Grußwort des Prorektors für Lehre und studentische Angelegenheiten der Westfälischen-Wilhelms-Universität
Hundert Jahre sind in der Geschichte des Bildungswesens und vor allem der Studentenschaft eine lange Zeit, vor allem im zurückliegenden 20. Jahrhundert mit seinen vielen Brüchen und Untergängen. Nicht nur zwei Dutzend Alters- bzw. Studentenkohorten sind schätzungsweise in diesen hundert Jahren durch die Universität gegangen, sondern sie waren selbst Teil der permanenten Wachstums- und Veränderungsdynamik, die die moderne Gesellschaft seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfaßt hat. Nicht nur daß jede Generation mit eigenen Erfahrungen und Erwartungen die Alma Mater betrat und damit auch ein Stück mit prägte, sie mußte mit dem Aufbrechen der bürgerlichen Sekurität des 19. Jahrhunderts und mit dem Eintritt in das Jahrhundert der Extreme sich immer neuen sozialen, kulturellen und politischen Herausforderungen stellen. Ob ihr das immer gelungen ist, darüber kann man trefflich streiten, solange man jede Generation in ihrem Wollen, ihrem Verhalten und auch ihren Irrtümern ernst nimmt. Die Suche nach Orientierung in einer Welt des Wandels war sicherlich ein Motiv für die Bildung studentischer Gemeinschaften, deren Zahl auch mit dem allgemeinen Anwachsen der Studierendenzahlen zunahm. Schließlich verdreifachte sich zwischen 1870 und 1914 die Zahl der Studenten an den deutschen Universitäten. Was uns heute als Idylle erscheint, wurde schon um die Jahrhundertwende als Ausdruck einer „Massenuniversität" verstanden. Hinzu kam, daß die deutschen Universitäten nicht erzogen; sie waren nicht, wie das College, eine Institution gestalteten gemeinsamen Lebens. Die geselligen und emotionalen Bedürfnisse ihrer „Zöglinge" wurden darum außerhalb oder am Rande der Universität erfüllt. Das war ein wichtiger Grund für das Entstehen einer „studentischen Subkultur" (Nipperdey) mit eigener Sprache, eigenem Stil, eigenen Normen, eigenen Riten und Symbolen. Sie waren nicht nur wichtig für die Identität der Gruppe und die Bewahrung ihres Selbstverständnisses. Sie grenzten zugleich ab. Träger und Wahrer dieses Stils waren die Verbindungen, zu deren Selbstverständnis es gehörte und gehört, daß sie Gemeinschaften der Selbsterziehung zu Verantwortlichkeit, Selbstdisziplin und Selbstbewußtsein seien! Ihre Kritiker sahen in Mensur, Kneipe und Kommers aber den Ausdruck eines Kastengeistes. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft war bei denen besonders ausgeprägt, die ihre eigene Sozialkultur in besonderer Weise meinten behaupten zu müssen. Dazu gehörten auch die katholischen Studenten, die gemessen an dem Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung lange unterrepräsentiert waren. Auch die Gründung des KStV Markomannia zu Münster vor hundert Jahren gehört in diesen Zusammenhang des Wachstums der Universitäten und der Studentenschaft. Die Universität Münster hatte ihren Status als „Minderuniversität", mit der sie sich im 19. Jahrhundert lange bescheiden mußte, abgelegt und konnte mit der Gründung der Juristischen Fakultät 1902 endlich wieder Volluniversität werden. Die Studentenzahlen stiegen zwar zunächst noch langsam, aber nach dem Ersten Weltkrieg kontinuierlich an. Zu einer wirklichen Explosion führte das aber erst seit den 1960er und 1970er Jahren, als die Westfälische-Wilhelms-Universität zu einer wirklichen Massenuniversität wurde. Der Anteil der in studentischen Verbindungen organisierten Studierenden hat mit dieser Massenentwicklung nicht Schritt gehalten, wollte und konnte dies vermutlich auch nicht. Hinzu kam und kommt die dramatische Veränderung unserer Lebensformen, die auch vor den Verbindungen nicht halt gemacht hat. Dass sich mit der Individualisierung und Pluralisierung unserer Lebenswelt das Bedürfnis nach Selbstorganisation und Selbstverwirklichung in einer kleinen Gemeinschaft, die überdies die Erfahrungen mehrerer Generationen in sich vereinigt und weiter trägt, nicht verflüchtigt hat, das zeigt das muntere Weiterbestehen der Verbindungen in der Unübersichtlichkeit einer großen Universität. Darum kann auch der KStV Markomannia sicherlich mit einigem Stolz auf sein hundertjähriges Bestehen blicken.
Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer (Prorektor für Lehre und studentische Angelegenheiten der Westfälischen-Wilhelms-Universität)
Korporationen in der Hochschule 2001: Ein Geleitwort
Prof.Dr. jur. Franz Ludwig Knemeyer Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht Universität Würzburg
1. Markomannia - woher - wohin?
Noch im Jahre 1901 prägten die Korporationen das Bild der Universitäten. In der Blütezeit der deutschen Universitäten blühten auch die Korporationen. Zwar waren die Mitgliederzahlen in dieser Zeit gegenüber den Zahlen des 19. Jahrhunderts prozentual schon zurückgegangen. Die Korporationen selbst hatten sich schon längst vom alten Bild der „Landsmannschaften" - Zusammenschlüssen von Studenten gleicher landsmannschaftlicher Herkunft - zu herkunftsunabhängigen Richtungszusammenschlüssen gewandelt. Es gehörten immer noch weit mehr als die Hälfte aller Studenten einer Verbindung an. Auch kurz vor dem 1. Weltkrieg -1913 - waren dann von 77.800 Studenten noch 32.800 aktiv. Der Prozentsatz hat sich nach dem l. Weltkrieg sogar nochmals wieder erhöht: 1928 waren von 112.400 Studenten 57.000 korporiert. Für die Universität Münster - zwar schon im Jahre 1780 offiziell gegründet - begann die eigentliche Universitätsgeschichte erst im 20. Jahrhundert mit der Errichtung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät am 1. Juli 1902 und der Ausweitung der alten theologisch-philosophischen Akademie zu einer Fakultät für Philosophie und Naturwissenschaften im Jahre 1903. Mit dieser Grundlegung für eine echte Universitas wurde auch der Boden für eine grössere Zahl von Korporationen tragfähig. Diese Entwicklung richtig einschätzend, entstand auch unsere Markomannia, um einem Teil der schnell wachsenden Studentenzahlen eine über den engen Studienbereich hinaus gehende, echte universitäre Heimat geben zu können. Zur Zeit des 50. Stiftungsfestes im Jahre 1951 begann für die Korporationen eine zweite Blütezeit. Zunächst noch verboten und namentlich von den Kriegsheimkehrern auch nicht sonderlich geachtet, fanden doch gerade die im Kriege nicht mehr Eingezogenen sehr schnell zu den alten Idealen der Verbindungen. Schon wenige Jahre nach der Wiederzulassung sprach man von einem Boom - übrigens ein erstes Zeichen, dass amerikanische und englische Einflüsse auch die Sprache in den Verbindungen zu ändern vermochten. Dieser Aufschwung zeigt sich sehr deutlich bei einem Blick in unser Mitgliederverzeichnis der Jahrgänge 1933 - 1948, also der Studentenjahrgänge 1954 - 1968. Bis zum statistischen Einbruch im Zusammenhang mit den 68er Wirren hat die Zahl der Korporationen und die Zahl der Aktiven fast wieder den Stand von 1928 erreicht: 1928 waren es 1.173 Korporationen und 57.000 Aktive, 1965 waren es 1.024 Korporationen und 54.600 Aktive. Die Studentenzahl hatte sich derzeit allerdings schon fast verdreifacht: 1928 - 112.400,1964 - 308.400. Das 75. Stiftungsfest fiel dann in die Zeit des beginnenden Niedergangs der Studentenverbindungen. Für viele von ihnen brachten die 68er Jahre das Aus. Die Zahl der Korporationen wie der Aktiven hat abgenommen. Zudem hat sich die Schere zwischen Aktiven und „Wilden" durch die sprunghaft gestiegenen Immatrikulationen weit geöffnet. Und auch die ersten grundlegenden, gesetzlich normierten Reformen der Universität -gekennzeichnet durch das Hochschulrechtsrahmengesetz des Jahres 1976 - haben das ihre dazu beigetragen, korporierte Studenten zahlenmässig zu einer Minderheit in der Massenuniversität werden zu lassen. Wenn der katholische Studentenverein Markomannia dennoch beim 75. Stiftungsfest wie auch heuer beim l00sten eine überaus grosse Aktivitas aufweisen konnte und kann, so spricht dies für seine seit eh und je bestehende herausragende Position. Im übrigen aber haben alle Korporationen die grössten Schwierigkeiten gehabt, sich in der Umbruchsituation zu behaupten - einer Situation, die ähnlich bedeutsam wie die Humboldtsche Universitätsreform die Landschaft verändert hat: durch den Auf- und Ausbau der Fachhochschulen, die Integration von Gesamthochschulen, vor allem aber durch die Explosion der Studentenzahlen seit dem Öffnungsbeschluss der Kultusminister im Jahre 1977. Gleichheitsbetont wurde alles, was jenseits der höheren Schulen stand, zu Hochschulen und zu Universitäten hochstilisiert. Vor allem aber war die stark erhöhte Zahl der Studenten auch nicht mehr im Ansatz homogen. Sind in dieser Massenuniversität eine Vielzahl von Korporationen suspendiert worden, so haben sich andere, unter ihnen Markomannia, gefestigt und ein neues Profil gewonnen, in dem sie das Gute bewahrt und den zeitlichen Erfordernissen entsprechend fortentwickelt haben. Heute nun stehen wir erneut vor einer Umbruchsituation, gekennzeichnet durch die virtuelle Universität.
2. Die Hochschule 2001
Konnte man im Jahre 1901 noch von der Hochschule (Universität) als einer bekannten Grosse sprechen, so gibt es die Hochschule im Jahre 2001 nicht mehr. Ein Konglomerat von Ausbildungseinrichtungen wird unter den Begriff Hochschule oder Universität subsummiert, bei dem das einende Band in vielem vermisst wird. Und selbst wenn man die Hochschulen einer Mittelstadt nimmt, aus denen eine Verbindung ihren Nachwuchs rekrutiert, so findet man - anders als noch vor wenigen Jahrzehnten - nicht selten unter den Aktiven neben den Studenten der Universität auch die von Fachhochschulen usw. usw. Vernachlässigt man die unterschiedlichen Hochschulkategorien mit ihren verschiedenartigen Aufgabenstellungen, so bleibt diesen „real existierenden Universitäten" doch immer noch eines gemeinsam: der Hörsaal. Die persönliche Begegnung, der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen und der wechselseitige individuelle Austausch wird jedoch mehr und mehr reduziert beim Weg in die virtuelle Hochschule. Dieser virtuelle Lernraum, in dem komplette Lehrveranstaltungen, medial aufbereiteter Lernstoff und Hinweise zum Studium verfügbar sind, wird zwar die Präsenz-Universität nicht voll verdrängen. Er gewinnt jedoch zunehmend an Bedeutung. Gleichzeitig schwindet die Möglichkeit des Einzelnen, in personalem Kontakt zu wachsen. Zu Recht stellt Wilhelm Schreckenberg in seinem kleinerem Beitrag zur virtuellen Universität (AM 4/2000 S. 8f.) fest, dass die Fülle des Wissens keineswegs automatisch zu einer gebildeten Persönlichkeit führt: Je weiter die Entpersönlichung im universitären Bereich voranschreitet, um so bedeutsamer werden Orte, die „Universitas" in umfassendem Sinne vermitteln.
3. Der Platz der Korporationen in der Hochschule 2001
Hätte schon die Bedeutung der studentischen Korporationen in der Massenuniversität als Ausweg aus der Vereinsammlung in der Masse sprungartig zunehmen müssen, so schreit die virtuelle Universität geradezu nach einem Ausgleich. Schon vor dem Hintergrund der Massenuniversität kam den Verbindungen eine gewandelte und gewachsene Aufgabe zu. Sie können und müssen diese zum Wohl des Ganzen, aber auch des einzelnen Mitgliedes erfüllen. Vorderhand ist es ihre Aufgabe, vermeiden zu helfen, dass der Student durch den Ausbildungsbetrieb „aufgefressen" wird. Derjenige, der ein wenig Persönlichkeit werden will, bedarf mehr als der wissenschaftlichen Ausbildung an unseren „Hohen Schulen". Er bedarf des wenigstens zwischenzeitlichen Abstandnehmens vom Lernbetrieb, um sich gemeinsam mit Angehörigen anderer Fakultäten auf das zu besinnen, was Wissenschaft heissen sollte und das zu pflegen, was der Wissenschaft dient, den inter-fakultären Kontakt. Er sollte in gegenseitiger Anregung nach Grundlagen und Werten suchen. Die Verbindungen sind auch in der Hochschule 2001 aufgerufen, wenn auch nur für einen kleinen Teil der Studentenschaft, ein wenig von dem wieder herzustellen, was Universität einmal gewesen ist. Es gilt die Möglichkeiten zu nutzen, das Hochschulghetto aufzubrechen, in dem viele Studenten sich glauben, es gilt sie herauszuholen aus der Vereinsamung in der Masse. Probleme, die von drinnen her groß und drückend erscheinen, reduzieren sich oft durch einen Kontakt mit der Aussenwelt auf ihre wahre Bedeutung. Nur der Kontakt mit anderen - auch höheren Semestern und Alten Herren - lässt die eigene Gesamtsituation einigermassen realistisch einschätzen. Neben dieser Einbettung in eine Gemeinschaft ermöglichen die Verbindungen aber auch persönliche Emanzipation und Standortfindung weit eher, als dies in anderen Vereinigungen oder Zusammenschlüssen möglich ist. Schließlich gilt es einen „Fluchtweg" aus der derzeitigen Situation aufzuzeigen: Leistungsdruck, Höchstleistungsforderungen haben große Teile unserer Studentengeneration bereits jetzt degenerieren lassen. Sie haben sich selbst zurückentwickelt in eine Gesellschaft von Jägern und Sammlern, von Punktesammlern und Scheinjägern. Mit einem auf dieser Basis erreichten Examen ist aber im späteren Leben allenfalls Oberflächliches anzufangen. Lebenstauglichkeit bedeutet neben dem Erwerb handwerklicher Fähigkeiten auch die Entwicklung bestimmter Eigenschaften. Man spricht von Humankompetenz. Eine der wesentlichsten davon ist es, sich verantwortlich zu wissen für sein eigenes Tun, für den Anderen, für die Allgemeinheit. Gerade diese Möglichkeiten eröffnet eine Verbindung. Sie kann damit eine der von den Hochschulen selbst heute nicht mehr zu vermittelnde Qualifikation ersetzen. Diese Chance sollte jede einzelne Korporation nutzen. Eine neue Bewegung - die Gründung von Alumni-Vereinen und ihr Zulauf - zeigt das Bedürfnis nach Gemeinschaft neben der Massenuniversität besonders deutlich auf (siehe den Beitrag von Wolfgang Löhr in AM 6/7 2000 S. 9). Warum gelingt es den studentischen Korporationen nicht, sich ähnlich zu revitalisieren? Einer der Gründe liegt wohl darin, dass Verbindungen sich überaus schwer tun, ein überkommenes Image abzustreifen. Jedem von uns ist bekannt, dass es schwerer ist, etwas überkommenes Gutes zu bewahren und zeitentsprechend fortzuentwickeln, als etwas Neues in die Welt zu setzen und trendentsprechend zu propagieren. Vielleicht aber erreichen die Korporationen ja via Internet den auf diesem Wege auch mit ihnen vernetzten, ansonsten aber vereinsamten Studenten und vermögen ihm zu verdeutlichen, dass es neben der unpersönlichen Kommunikationsebene besonderer Kommunikationsformen bedarf!
IV. Vom Burschen zum Studi?
Der diesjährige bayerische Hochschultag in Tutzing hat vor allem die mangelnde Kommunikation und die mangelnde soziale Kompetenz in weiten Kreisen der Studentenschaft beklagt. Er hat die Begrenzung auf die Eigenschau des eigenen Fachs beklagt. Denkweisen anderer Disziplinen kennenzulernen, scheint überholt. Gerade in einer globalisierten Welt sollte aber doch eine Globalisierung auch der Kompetenzen nötiger denn je sein. Wo aber kann ich die Denkweisen anderer Disziplinen besser kennenlernen, als in einer die verschiedenen Bereiche auf engstem Raum verbindenden Korporation? Wo kann ich besser nicht nur mit dem das gleiche Fach studierenden Kommilitonen, sondern über die Fächergrenzen hinausgehend kommunizieren und - eine gar nicht zu überschätzende Möglichkeit - wo kann ich besser soziale Kompetenz erringen als in einer Korporation, in der die universitas in nuce versammelt ist. Wenn die Studentenbude den Hörsaal ersetzt (AM 4/2000 S. 20), sollte der gute Student, anders als dies noch der Abgeordnete Heinrich Simon am 1. Februar 1849 in der Frankfurter Paulskirche feststellte, sich nicht „lustvoll als ein geistiger Nomade" verhalten (dazu auch AM 4/2000 S. 19), er sollte auch nicht vom Wort allein leben, sondern in einem geistigen Klima aufwachsen, das ihm vielfältige Kompetenzen über seine fachliche Ausbildung hinaus vermittelt. Das Angebot anzunehmen, bleibt dem Einzelnen überlassen. Verbindungen können lediglich Hinweise geben, sich selbst zu engagieren, nicht als Studi zu degenerieren, sondern selbstbewusst seinen Platz in der Gesellschaft und nicht nur als Dienstleister einzunehmen. Jedem Einzelnen muss klar werden, dass nicht etwas zu geschehen hat, sondern dass er selber etwas tun muss, dass er sich zu engagieren hat, im gesellschaftlichen Bereich, im Bereich der Hochschule und/oder auch im Bereich einer Verbindung durch Übernahme von Verantwortung, etwa die Übernahme einer Charge. Als verlockender Anreiz sollte dem Einzelnen auch vermittelt werden: Wer etwas für die Gesellschaft oder für die Verbindung tut, der tut dies nicht nur altruistisch. Die Charge ist keineswegs allein als Dienst in amicitia für die anderen zu sehen. Sie stellt einen ganz wichtigen Faktor für die Persönlichkeitsentfaltung und damit für die eigene Bildung dar. Diese alte Burschentugend gilt es verstärkt zu betonen, auch und gerade in der Hochschule 2001. Je virtueller die Hochschule wird, um so mehr bedarf sie der Räume aktiver Kommunikation, um so mehr sollten Korporationen wieder an Bedeutung gewinnen!
Viriliter age! (Auszug aus der Festrede am 9. Februar 2001)
Dr. jur. Heinrich Hoffschulte Erster Vizepräsident des Deutschen RGRE (Rat der Gemeinden und Regionen Europas, Europäische Sektion der IULA)
Die Themen des Vertrages waren :
Der Ursprung des Namens „Markomannia" - ist das im Jahre 2001 noch zeitgemäß ??
Ein Katholischer Studentenverein - was heisst das heute ?
Angesichts der rapiden Globalisierung: Haben wir Christliche GRUNDWERTE ? (vgl. „zehn Thesen" in: Akademische
Monatsblätter 2/2001)
- Der Wahlspruch „Viriliter age" - was heißt das 100 Jahre danach für uns ?
Unser Wahlspruch sei: „Viriliter age!" - was heißt das für uns 100 Jahre danach ?
Der Wahlspruch „Viriliter age", den sich unsere Vorväter im Katholischen Studentenverein Markomannia 1901 gaben, hatte sicher damals einen stärkeren Klang als heute. Würden wir uns dieses Motto heute, an der Wende zum Neuen Jahrhundert, ebenso überzeugt geben? Oder hat das „Handle mannhaft" für manchen eher einen Macho-Beigeschmack, zumal in einer Zeit, in der rund die Hälfte aller Studierenden der Universität Münster - wie andernorts auch - weiblichen Geschlechts sind und wir uns immer noch im Verbindungsleben um die rechte Art bemühen, diese Kommilitoninnen in unsere Aktivitäten voll und ganz zu integrieren? Doch ich will hier nicht die Frage weiblicher Mitglieder der Markomannia diskutieren. Es geht um etwas anderes: Die scheinbar virile Formel entstand als Wahlspruch der Markomannia zu einer Zeit, als der ideologische Kampf um die Zukunft unseres Kontinents vor allem von Wandel geprägt war. Nach der Kleinstaaterei, wie sie 1648 der „Westfälische Friede" von Münster im Reich staatsrechtlich verfestigt hatte, ohne dass eine deutsche Nation entstanden wäre; nach dem Untergang des „Ersten" Reiches mit der Resignation der Habsburger; nach den Napoleonischen Kriegen des frühen 19. Jahrhunderts, der restaurativen „Heiligen Allianz" gegen das Gedankengut der Französischen Revolution und nach den eher kläglichen, „bürgerlichen" Revolutionen von 1848 hatte unter Preußischer Führung ein Teil des alten Reiches 1871, nur 30 Jahre vor der Gründung der Markomannia, eine deutsche „Einheit" wiedergefunden. Unsere Mutterverbindung, die Germania, hatte sich gerade erst 1865 diesen national-stolzen Namen gegeben und schenkte sich sozusagen selbst zum Geburtstag angesichts des starken Zulaufs junger Akademiker eine Tochter mit einem germanischen Stammesnamen. In diesem jungen Staat suchte man nach Bestätigung der nationalen Identität durch Rückgriff in die Geschichte. Da wollten im Angesicht des eher liberal-protestantischen Staatsgebildes auch katholische Studenten nicht abseits stehen. Der „Kulturkampf", in dem die Katholische Kirche im Rheinland wie in Westfalen preußischer Bevormundung, gelegentlich auch manifester Benachteiligung zugleich zu widerstehen suchte, prägte die politische Diskussion, nachdem Preußen gar katholische Bischöfe in den Kerker gesteckt hatte. Unsere Gründungs-Markomannen wollten da „ihren Mann stehen", mannhaft für das Vaterland aber gegebenenfalls auch mannhaft für den Glauben und die eigene Identität. Und das in einem Staat, der von Demokratie im heutigen Sinne, der Wahlberechtigung aller Bürger, noch weit entfernt war. Zum Umfeld dieses „viriliter age" gehörte auch die damals noch junge Soziallehre der Katholischen Kirche: Die erste Sozialenzyklika Leo's XIII von 1891, also gerade einmal zehn Jahre alt, als die Markomannia entstand, stellte dem in ganz Europa aufkommenden kommunistisch-sozialistischen Gedankengut eines Marx oder Engels, nach dem der Wert der Gesellschaft und ihre Entwicklung wichtiger sein sollten als der einzelne Mensch und Bürger, das christliche Menschenbild entgegen, nach dem das Individuum als „Gottes Ebenbild" in seiner Würde unantastbar und deshalb höher als alle noch so wichtigen Belange des Staates oder der Gesamtgesellschaft einzuordnen ist. Auch da galt es aufkommendem Totalitarismus jedweder Couleur „mannhaft" entgegenzutreten: „Viriliter age" als Programm .... Was heißt das heute für uns in Gesellschaft, Universität und Staat, an der Wende des Jahrhunderts? Kämpfen wir sozusagen noch an derselben Front? Kommunismus und Sozialismus sind gescheitert. Deutschland ist, in veränderten Grenzen, wieder vereint. Da ist schon eher europäische Kleinstaaterei die Herausforderung unserer Zeit, zu neuer Einheit in einer dynamisch sich erweiternden Europäischen Union. Und statt „Kulturkampf" geht es wohl eher um die Suche nach einem europäischen Wertekonsens statt Neoliberalismus und Gleichgültigkeit.... Manch einer mag sich da auch in unserer Runde fragen, was er denn an seinem Platz, in einer Massenuniversität mit fast 45.000 Studenten wie hier in Münster, im Staat mit seiner nicht immer zum Mitmachen einladenden Politik oder schlechthin in einer zunehmend globalisierten Gesellschaft ausrichten kann, auch wenn er sich „mannhaft" und tapfer bemüht. Und das auch noch in einem in Deutschland nicht immer gerade zuversichtlichen oder gar optimistischen Umfeld! Der niederländische Philosoph Peter Sloterdijk hat kürzlich in einem Dialog mit dem amerikanischen Genunternehmer J. Craig Venter angemerkt: „Was das Vermögen zur Zuversicht angeht, besteht ein deutlicher Unterschied zwischen der deutschen und der amerikanischen Mentalität.... Wir Europäer leben mehr oder weniger in einer Kultur des Zweifels und der Skepsis. Und wenn Menschen mit solchen Prägungen Menschen begegnen, die wie Sie (der Amerikaner Venter) zu einer Kultur der Zuversicht und eines ungebrochenen Unternehmergeistes gehören, bemerken wir schnell, dass wir nicht dieselbe Sprache sprechen...." Nun bin ich weit entfernt davon, diese generalisierende Feststellung einfach nur als Fakt hinzunehmen, der nicht zu ändern wäre. Aber vielleicht beginnt ja eben an dieser Stelle das moderne „viriliter age"?!? Nehmen wir das Feld der Politik, über das viele von uns sich zu klagen bequemen, ohne sich selbst zu engagieren: Ich habe hier in unserer Markomannia vor einigen Jahren in einem Vortrag zu Fragen des Wertekonsenses den damaligen Bundeskanzler H. Schmidt zitiert, der, als ihm Interessenverbände wie auch Kirchenvertreter mangelhafte Durchsetzung der Grundwerte unserer Verfassung vorwarfen, etwas ausweichend und eher resignativ geantwortet und den „Schwarzen Peter" gleichsam zurückgegeben hat: „Politik kann nur leisten, was die gesellschaftlichen Kräfte zuvor mehrheitsfähig gemacht haben." Mit anderen Worten: Wenn wir als Teil der Gesellschaft nicht dafür Sorge tragen, dass unsere Wertvorstellungen, unser Leitbild und unsere Ziele mehrheitsfähig sind oder doch werden, dann könne er als Kanzler auch nichts ausrichten. In krassem Gegensatz dazu hat unser Diözesanbischof Reinhard Lettmann vor wenigen Tagen in einer Kritik an Bundeskanzler Schröder genau anders herum appelliert: „Die Regierenden dürfen nicht (nur) Notare des Wertebewusstseins der Bevölkerung sein, sondern müssen dieses bilden und fördern..." Sieht man den demokratischen Alltag mit seinen Stimmungen und Schwankungen, so haben wohl beide recht: Wir können nicht beiseite stehen, wenn wichtige Themen in unserem Staat zu entscheiden sind; wir müssen überzeugen, mitten im Volk, in Vereinigungen und gesellschaftlichen Kräften wie auch in den Parteien. Aber wir können auch von denen, die wir wählen, erwarten, dass sie nicht nur auf Stimmungen reagieren, sondern aus ihren und unseren Überzeugungen heraus „Meinung bilden". Auch das ist wohl heute „viriliter age!"
Es heißt oft: „Jedes Volk - zumal in einer Demokratie - hat die Regierung, die es verdient!" Das klingt wie eine Umformulierung der Schmidt'schen Resignation. Aber wie wäre es, wenn wir auch das als Provokation, als Herausforderung annehmen?! Wir müssen mitreden, mitgestalten, nicht abseits stehen oder im Fernsehsessel hängen und nur am Stammtisch maulen! Politik ist oft unerfreulich, zumal wenn Regierende offenbar nur ihr Fähnchen in den Wind der Stimmungen halten, wie dies derzeit nicht selten der Fall zu sein scheint. Aber das soll keine einseitige Parteienschelte sein, zumal der Schaulauf in den Medien bis hin zu stumpfem, populistischem Aktionismus in faden TV-Containern leider weit über die Grenzen einer Partei hinausgeht. Und seien wir ehrlich: Unsere Enttäuschung war besonders groß, als jemand wie unser Altkanzler Helmut Kohl, der in der Politik geradezu zum Symbol der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit geworden war, sich nach allen historischen (!) Verdiensten über Gesetz und Recht zu stellen schien.
In einer so veränderten politischen Landschaft ist es sicher nicht leicht, unserem Wahlspruch „Viriliter age!" zu folgen. Ein Kommentator meinte kürzlich zu all der modischen Aufgeregtheit: „Manche Politik ist wie Wasserdampf: Heiß betrieben, steigt sie auf. Dann kühlt sie ab, verschwindet. Es bilden sich Tröpfchen, und irgendwer wird nass." Soll wohl auch heißen: Es ist nicht immer leicht, in einer von der Gier nach „heißem Dampf" und vermeintlich wichtigen Skandalen und Skandälchen, seinen Mann zu stehen, wenn man leicht und schnell „nass gemacht" wird. „Semper aliquid haeret", sagt der Lateiner. Und dennoch gilt „Viriliter age!"
Wie stand es mit den Universitäten? Sie war klein, die alma mater im Münster des Jahres 1901. Zu meiner aktiven Zeit wurde die Grenze von 10.000 Studenten schon deutlich überschritten, heute sind es rund 45.000 Immatrikulierte. Setzen wir klare Zeichen im Sinne unserer Ziele auch in dieser unübersichtlich und anonym gewordenen akademischen Gesellschaft? Es besteht kein Anlass zu Skepsis und Resignation, es sei denn wir gäben uns selbst und unsere Ziele auf. Gerade die letzten zehn bis zwanzig Jahre belegen die Durchsetzungsfähigkeit des Einzelnen! Ist es nicht erstaunlich zu sehen, wie immer wieder einzelne Persönlichkeiten - im Bösen wie im Guten - nachhaltig den Lauf der Geschichte und unsere Gesellschaft, unser Land und unsere Welt verändert haben?! Wieviel hat sich doch in den vergangenen 20 Jahren durch einzelne Persönlichkeiten verändert!? Wir sollten uns gerade auch in Deutschland dankbar daran erinnern, dass zunächst einige wenige polnische Arbeiter vor den Toren der damaligen Lenin - Werft in Danzig - der Stadt, die Hitler zum Anlass für den Zweiten Weltkrieg nahm, tapfer „ihren Mann gestanden" haben, um friedlich Widerstand zu leisten gegen das grausame, unbesiegbar scheinende sowjetische System.
Und zwölf Jahre „solidarnosz", zähen und solidarischen Protestes katholischer Polen gegen den Sozialismus und seine Gewaltherrschaft, sind kaum vorstellbar ohne die unbeugsame Persönlichkeit des „polnischen" Papstes Johannes Paul II, den wir in Deutschland anscheinend nur noch mit der Diskussion um Fragen der Empfängnisverhütung und der Sexualmoral wahrnehmen. Wie kein anderer hat er zum Scheitern des sowjetischen Kommunismus beigetragen - ohne Waffen und ohne Gewalt, allein mit den „Waffen" des Geistes und des Glaubens gegen eine Weltmacht, die alle freien Nationen bedrohte - ein später Sieg auch der zitierten Soziallehre und des ihr zugrunde liegenden Menschenbildes 100 Jahre nach der Enzyklika von 1891...
Und der Beispiele mehr: Unser Vaterland wie auch die Einheit Deutschlands und der Frieden Europas sind nachhaltig beeinflusst worden dadurch, dass „der richtige Mann zur rechten Zeit und am rechten Ort" als Kanzler die Chancen ergriff, die sich mit dem Wandel der Sowjetunion boten, dass dort ein Gorbatschow den Mut hatte, Glasnost und Perestroika in friedlichen Wechsel für sein Land und für Europa umzusetzen und dass in Washington und in der Brüsseler Kommission starke Partner und Persönlichkeiten unsere Wiedervereinigung absicherten, während in anderen Hauptstädten Skepsis und Angst überwogen, die Deutschland in zwei Weltkriegen genährt hatte...
Gibt all das nicht schon genug Anlass zu Zuversicht und Optimismus? Der französische Jesuit und Paläontologe Teilhard de Chardin (1881 - 1955) hat in seiner Theologie die naturwissenschaftlich-evolutionistische Weltdeutung entwickelt, dass sich der Mensch und die Welt immer mehr „auf Christus hin", zum Guten wenden und entwickeln. Aus der Kraft des Individuums und einem immer stärkeren Einfluss unseres christlichen Menschenbildes heraus entstehe eine tendenziell immer bessere Welt. Daran mag mancher zweifeln und das mit gutem Recht angesichts der Kriege und Nöte, die immer noch die Welt beherrschen. Aber andererseits waren die Chancen für eine gute Entwicklung noch nie so groß wie in der heutigen Zeit, in der die Techniken der Kommunikation weltweit ein Durchdringen mit unseren Wertvorstellungen ermöglichen, eine neue Herausforderung, der sich jeder von uns zu stellen hat. Nicht „die da oben" - sondern wir selbst, jeder an seinem Platz, wir sind gefordert, uns einzubringen, unsere Chancen zu nutzen, Verantwortung auch dort zu übernehmen, wo scheinbar anonym und ungreifbar „global players", globalisierte Kräfte walten. Jeder von uns ist „global player" - wenn er es denn will und jeder nach seinen Kräften! Mancher mag fragen: Wo ist da unser „Ort"? Was soll unser Beitrag sein ? Katholisch, das heißt weltweit oder auch weltoffen, die ganze Welt betreffend. Wenn aber dieser Ehrentitel im Namen unserer Verbindung steht, dann muss es uns provozieren, unseren Beitrag zu leisten, jeder an seinem Platz
in unserem persönlichen Umfeld,
in der Familie und im Freundeskreis,
in unserem KStV Markomannia,
in unserer Stadt (Monasteria),
in unserem Vater- und Mutterland (Germania),
in einem in Frieden geeinten und von Grenzen befreiten Europa,
in einer globalisierten, also unserem Engagement offen stehenden Welt.
Die Markomannia und wir Markomannen werden uns auch im 2. Jahrhundert unserer Korporation daran messen lassen (müssen), ob das „Katholische" in unserem Verbindungsnamen, ob die mit „religio, scientia et amicitia" umschriebenen Wertvorstellungen der Markomannia uns und unser Handeln in der Gesellschaft stark genug machen und prägen! Dann erst gilt und „lebt mit alter Treue" unser Wahlspruch: Viriliter age !
Christentum, Wertekonsens und Europäische Identität: Unsere Herausforderung für das neue Jahrtausend
Festansprache zum Auftakt des 100. Stiftungsfestes des KStV Markomannia am 10. Februar 2001 im Zwei-Löwen-Club in Münster (Auszug) Prof. Dr. Günter Rinsche Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung
Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Wir sind Europäer. Wir leben in Europa. Aber: Was ist Europa? ... Europa ist mehr als eine blosse Quantität. Europa ist mehr als ein geographischer Begriff. Europa ist mehr als eine 2.500-jährige leidvolle und glanzvolle Geschichte. Die Idee Europa - das ist die Philosophie der Griechen und der unbesiegbare Gedanke der Freiheit, das ist das Rechtssystem der Römer und der unverzichtbare Gedanke der Ordnung, das ist die Ethik des Christentums und der übergeordnete Gedanke der Menschenwürde.
Diese Werte haben einen inneren und notwendigen Zusammenhang, denn Freiheit ohne Ordnung wird leicht zur Ordnung ohne Freiheit. Freiheit und Ordnung erfordern die Beachtung der Menschenwürde und die Verwirklichung der Menschenrechte. Unter den Aspekten dieser Grundidee Europas ist die Europäische Union ein großartiger Versuch, Völker, die sich jahrhundertelang bekämpft und zerfleischt haben, auf der Grundlage gleicher Rechte und in freier Entscheidung zu einem neuen Ganzen zusammenzuschließen, um dadurch Frieden, Freiheit und Lebenschancen für alle Beteiligten dauerhaft zu sichern.
Heute kommt es darauf an, eine neue und stabile Ordnung für ganz Europa zu schaffen, eine Ordnung der Freiheit und Menschenwürde, eine Ordnung, die es uns und unseren Kindern und Kindeskindern ermöglicht, in Frieden, Freiheit und Sicherheit zu leben, eine Ordnung ohne Rassenhass, Klassenkampf und Generationenkonflikt, eine Ordnung mit garantiertem Minderheitenschutz und Volksgruppenrechten, eine Ordnung, die Lebenschancen sichert und erweitert, eine Ordnung, die uns Europäer in die Lage versetzt, unserer weltweiten Verantwortung gerecht zu werden, eine Ordnung, die den Grundsatz der Solidarität auch auf die kommenden Generationen bezieht, in ökologischer, finanzieller und ökonomischer Hinsicht, vor allem aber im Hinblick auf ein Bewusstsein gemeinsamer und verpflichtender Werte.
Einheit nicht Einförmigkeit
„Einheit und Einförmigkeit sind zweierlei Dinge" schrieb Francis Bacon (1561 - 1626). Diese Überlegung des großen englischen Staatsdenkers bestimmt viele Aussagen europäischer Dichter und Denker über das Wesen und die Idee Europas. Schon Strabon (63 v. Chr. - 26 n. Chr.), der griechische Geograph, beschrieb Europa als „vielgestaltet".
Die Idee „Europa" als Sehnsucht nach Einheit, Harmonie und Frieden umfasst die Vielfalt, Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit Europas. Europa, das ist eine faszinierende Fülle nationaler, regionaler und lokaler Kulturen, Traditionen und Besonderheiten, die erst zusammen den unvergleichlichen Reichtum europäischer Kultur ausmachen.
Bauelemente der neuen europäischen Ordnung
Aus den Wesenselementen der Idee und Kultur Europas ergeben sich vier Bauelemente und Erfolgsvoraussetzungen der europäischen Ordnung:
die Rechtsstaatlichkeit, als Grundlage der Humanität und zur Sicherung der Menschenrechte,
die parlamentarische Demokratie, d.h. Legalität und Partizipation,
der föderalistische Staatsaufbau, d.h. Subsidiarität und Aufbau von unten nach oben,
die Soziale Marktwirtschaft, d.h. Solidarität und Effizienz.
Diese Ordnungsprinzipien sind notwendige, aber nicht hinreichende Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben der Europäer im 21. Jahrhundert. In unsere Betrachtung einzubeziehen sind ebenfalls die spezifischen Erfordernisse und Begründungen der Integration. Das lateinische Wort integratio hat den Sinn der „Wiederherstellung eines Ganzen". Im sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch ist Integration der Gegenbegriff zu Zerfall und Stagnation. Die Integration als Erneuerung und Wiederherstellung eines Ganzen wird notwendig, wenn die Teile des Ganzen ohne Integration nicht mehr oder nicht sinnvoll existieren können. Die Sachlogik der europäischen Integration ist auf diese Notwendigkeit zurückzuführen. Für die Lösung zahlreicher Probleme in Europa sind Nationalstaat und nationale Volkswirtschaft nicht mehr der ausreichende und optimale Handlungsraum.
Beispielhaft können hier genannt werden:
Probleme, deren Größenordnung nationale Möglichkeiten und Ressourcen überfordern,
Probleme, die ihrer Natur nach grenzüberschreitend sind,
Probleme, bei denen die Gemeinsamkeit der Interessen mehrerer Staaten auch gemeinschaftliche Problemlösungen
sinnvoll und erforderlich macht.
Die sachliche Folgerichtigkeit der europäischen Einigung steht neben der historischen Logik, die sich aus dem Ablauf und den Lehren der Geschichte ergibt. In seiner „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht und zum Ewigen Frieden" (1784) hatte Immanuel Kant einen Friedensbund (foedus pacificum) gefordert, der sich vom bloßen Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterscheidet, „dass dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen sucht". Die historische Logik der europäischen Integration, die in den Überlegungen des großen Philosophen zum Ausdruck kommt, wird auch sichtbar in der Entwicklung, die von mehr oder weniger autonomen Städten und Grafschaften des Mittelalters über den Territorialstaat zum Nationalstaat des 19. Jahrhunderts und zur Europäischen Union des 21. Jahrhunderts führt.
Die Bauelemente und diese Erfordernisse der Europäischen Union werden von der großen Mehrheit der Europäer bejaht und anerkannt. Sind damit aber unsere existentiellen Fragen beantwortet: Was verstehen wir unter menschenwürdigem Leben, das wir für uns und für unsere Kinder und Kindeskinder erstreben? Der Zusatz „Kinder und Kindeskinder" ist bedeutsam. Dieser Satzteil beschreibt unsere Verantwortung auch und gerade für die kommenden Generationen. Vor der Französischen Revolution 1789 hieß es bei den damals Herrschenden im sog. Ancien Regime: „Apres nous le deluge!" („Nach uns die Sintflut"). Eine solche Eintagsfliegenmentalität darf nicht die Leitlinie unseres Handelns sein, wir tragen Verantwortung für heute und für morgen.
Deshalb heißt unser Thema: „Unsere Herausforderung für das neue Jahrtausend". Christentum und Wertekonsens auch im Europa von morgen?
Mehr als 1.000 Jahre sprach man vom christlichen Abendland. Gilt dieser Begriff auch für das 3. Jahrtausend nach Christi Geburt? Nach Angaben der Zeitschrift „Time" vom 29. Januar 2001 gab es vor 100 Jahren rd. 3 Millionen Menschen, die sich als Atheisten bezeichneten. Heute bezeichnen sich 768 Millionen Menschen als Atheisten mit stark ansteigender Tendenz vor allem in Europa. In seinem im Jahre 2000 in 2. Auflage erschienenen Buch „Welt ohne Christentum - was wäre anders?" beschreibt Prof. Dr. Hans Maier die Situation in Deutschland mit folgenden Worten: Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach von 1996 bezeichnen sich 8 % der Deutschen von 16 Jahren an als überzeugte Atheisten (in den neuen Bundesländern 20 %). 33% bezeichnen sich als „nicht religiös"(50 % in den neuen Bundesländern). Die Tradierungskrise des Glaubens drückt sich besonders scharf im Verhältnis von Eltern und Kindern aus. Hier ist in Deutschland im Ländervergleich die Übereinstimmung der Jugendlichen mit den Eltern am geringsten. Konsens in der Einstellung zur Religion äusserten 39% der Jugendlichen der Bundesrepublik gegenüber 69% der Jugendlichen in den USA, bei der Einstellung zur Sexualität sinkt diese Zahl auf 14% bei den Jugendlichen in der Bundesrepublik gegenüber 43% bei den Jugendlichen in den USA, in der Einstellung zur Moral insgesamt stimmten 77% der Jugendlichen in den USA mit den Eltern überein gegenüber 38% der Jugendlichen in der Bundesrepublik. In der Bundesrepublik Deutschland streben die Generationen wesentlich stärker auseinander als in anderen Ländern. Sie treffen sich nicht mehr in zentralen Wertvorstellungen."
Diese Gegebenheiten sind in Deutschland mehr oder weniger bekannt. Über die langfristigen Folgen dieser Entwicklung machen wir uns aber kaum Gedanken. „Wenn du nicht über deine Zukunft nachdenkst, wirst du keine haben" schrieb John Galsworth. Unsere Zukunft wird nicht nur von den wissenschaftlichen, technischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen bestimmt, sondern wesentlich auch von den geistigen Wirkkräften, der Anerkennung oder Leugnung verpflichtender Werte, den religiösen Überzeugungen und einer sinnstiftenden Identität.
Der französische Philosoph Voltaire, der als Kirchenhasser galt, schrieb vor 250 Jahren: „Wo war jemals ein großes Volk ohne Religion? Dafür gibt es kein Beispiel!" Und an anderer Stelle urteilt dieser kritische Denker: „Wenn auch der Atheismus nicht so unheilvoll wie der Fanatismus ist, so ist er doch fast immer und überall verhängnisvoll für die Sitten."
Der große deutsche Philosoph Immanuel Kant stellt fest: „Der Begriff von Gott ist der Begriff von einem verpflichtenden Wesen außer mir." Kant schreibt: „Der Geist Gottes ist das, was den moralischen Gesetzen bewegende Kraft gibt, also ein inneres moralisches Leben, das gar nicht nach Naturgesetzen möglich ist. Alles moralisch Gute in uns ist Wirkung des Geistes Gottes." In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den geistigen Fundamenten Europas, nach den tragenden Ideen und Prinzipien der christlich geprägten Kultur. Ein klares Herkunftsbewusstsein ist eine Voraussetzung der Zukunftsorientierung. Keine Zukunft ohne Herkunft! Der Dreiklang von Freiheit, Ordnung, Menschenwürde ist prägend und zukunftsweisend.
Die geistigen Fundamente Europas
Für die griechischen Denker und Dichter des 5. und 4. Jahrhunderts vor Christi enthielt der Gedanke der Freiheit auch die Möglichkeit einer Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben. Die Griechen wollten „nach den Gesetzen" leben, nicht unter der Willkür eines Despoten. Unter diesen Aspekten erkannten und beschrieben sie die Gefahr, dass ein in Kleinstaaten zersplittertes Griechenland zur Beute asiatischer Despoten würde. Philosophen wie Gorgias (483 - 380 v. Cr.) und Platon (427 - 347 v. Chr.) stellten die „Eintracht" als Ideal für die griechisch-europäische Welt heraus. Sokrates wendet sich gegen die anarchistische Entartung der Grundsätze der Freiheit und Gleichheit, die durch Übertreibung ad absurdum geführt würden. Er kritisiert jene Zeitgenossen, „welche die Bürger in der Art erzogen, dass sie Zügellosigkeit für Volksherrschaft, Gesetzwidrigkeit für Freiheit, Ungebundenheit für Gesetzesgleichheit und die Befugnis, so zu handeln, für Glückseligkeit hielten".
Für die Römer gilt das Wort des Staatsdenkers Niccolo Machiavelli, nach dem das Heil eines Staates nicht nur davon abhängig ist, dass ein Staatslenker weise regiert, sondern vor allem davon, dass dieser dem Staat Einrichtungen gibt, die fortlaufend Stabilität und Sicherheit garantieren. Julius Caesar und seine Nachfolger übertrugen die einheitliche römische Rechtsordnung auf das gesamte Imperium Romanum und legten damit den Grundstein für die europäische Rechtsstaatlichkeit. Waren Freiheit und Frieden die Schlüsselworte der Griechen in ihrem Beitrag zur Idee Europa, so weist der große römische Dichter Vergil (70 - 19 v. Chr.) den Römern die Aufgabe zu, „der Welt Ordnung zu geben und Frieden". Bei aller Anerkennung der römischen Rechtsordnung darf aber nicht übersehen werden, dass die Integration des römischen Reiches auf der brutalen Dominanz und Hegemonie eines Volkes über andere Völker beruhte und damit menschenfeindlicher Natur war. Das Machtmonopol und die Kommandowirtschaft der römischen Imperatoren zerstörten Rechtsordnung und Menschenrechte. Wenn das Bewusstsein der Freiheit ein Resultat der griechischen Philosophie und die Wertschätzung der Ordnung ein Element des römischen Rechts ist, dann findet die Auffassung von der Würde jedes Menschen ihre Begründung in der christlichen Ethik und Tradition. Nach christlicher Lehre ist der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen (Gen 1,27; 4,24). Hieraus erwächst ein Eigenwert, dessen metaphysische Dimension über seine Natur- und Gemeinschaftsverbundenheit hinausreicht.
Als die christliche Glaubenslehre in der ausgehenden Antike Staatsreligion wurde, blieb die gesellschaftliche Ungleichheit zunächst unangetastet. Die jahrhundertealte Institution der Sklaverei und die intolerante Verfolgung der sog. Ungläubigen konnten nicht kurzfristig beseitigt und überwunden werden. Die christlichen Denker der Antike und des Mittelalters lehrten zwar die prinzipielle Gleichheit und Freiheit des Menschen vor Gott, sie begründeten die unabdingbare Menschenwürde auch damit, dass alle Menschen ohne Unterschied aufgerufen sind, Kinder Gottes zu werden und an der Erlösung durch Christus teilzunehmen, aber sie unterschieden die „zwei Reiche", das des Guten und das des Schlechten. Da der Mensch sich durch den Sündenfall von Gott entfernt habe, könnten die aus der Gotteskindschaft abzuleitenden Menschenrechte noch nicht im irdischen Reich menschlicher Unvollkommenheit, sondern erst im Gottesstaat verwirklicht werden. Die christliche Hervorhebung der Menschenwürde war in dieser Denktradition also zunächst nur revolutionär im geistigethischen Bereich, nicht aber in der politisch-rechtlichen Sphäre.
Im 13. Jahrhundert beschwört der Verfasser des Sachsenspiegels, Eike von Repgow (1180 - 1233), den Gedanken der Schöpfungs- und Erlösungsgleichheit und wendet sich gegen die theologische Begründung der Leibeigenschaft. Der Sachsenspiegel, entstanden um 1224, ist die erste Niederschrift von Rechtssätzen in deutscher Sprache. Sein Verfasser leitet das Recht von Gott her und verkündet die Gleichheit aller Menschen vor dem Recht.
Nikolaus von Kues (1401 - 1464), „ein Deutscher, der früh Europäer wurde" (so Karl Jaspers), verwendet die christliche Lehre von der natürlichen Gleichheit der Menschen zur Begründung einer politischen Teilhabe. „Da alle Menschen von Natur aus frei und gleich mächtig sind, entspringt jede Autorität, betont Nikolaus, ausschließlich der Übereinstimmung und der Zustimmung aller Subjekte."
Die Gedanken christlicher Theologen und Philosophen des Abendlandes werden in der politischen Philosophie der Neuzeit, vor allem im Zeitalter der Aufklärung, aufgegriffen und zu einer Naturrechts- und Menschenrechtslehre ausgebaut. Staatsdenker wie Grotius, Pufendorf, John Locke, Montesquieu u.a. bereiten den Boden für die Menschenrechtsgarantien, die mit den historischen Begriffen der „Habeas Corpus Akte" (1679), der „Virginia Bill of Rights" (1776), der französischen „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" (1789) bis zur „Europäischen Menschenrechtskonvention" (1950) verbunden sind. Der Gedanke der Menschenwürde und die Garantie der Menschenrechte sind Wesenselemente der Idee Europa.
Herausforderung und Aufgaben
In seinem bereits zitierten Buch stellt Hans Maier die Fragen: Wie sähe unsere Gesellschaft, unsere Kultur denn aus - ohne Christentum? Was wäre anders in unserem Bild vom Menschen, in unserer Auffassung vom Recht in der Politik, in unserer Einschätzung der Arbeit, in unserem Verhältnis zur Natur, in unserer Art, Wirklichkeit zu deuten und zu gestalten? Hans Maier schildert und beweist den massgeblichen Einfluss des Christentums auf diese Gegebenheiten und Gestaltungen des Lebens in Europa. Dieser Einfluss des Christentums wird auch sichtbar, wenn man die europäische Kultur mit der Geschichte und Gegenwart anderer Hochkulturen vergleicht.
Hans Maier stellt aber auch die Frage: „Wäre es möglich, dass das Christentum in absehbarer Zeit einfach verschwände? Kann man sich vorstellen, dass die europäischen Dome und Kirchen eines Tages abgebrochen würden und christliche Kunst nur noch in Museen zu finden ist?" Eine wichtige Antwort gibt er mit folgenden Worten: „Zivilisationen sind sterblich. Nichts läßt sich auf die Dauer schützen und bewahren, wenn Geist und Leben schwächer werden und absterben. Lebendig bleibt nur, was bei Menschen Wurzeln geschlagen hat." Hier beginnt unsere Herausforderung für das 3. Jahrtausend. Dies ist nicht nur eine Frage des intellektuellen Überlegens, dies ist eine Frage des kulturellen Überlebens und dies ist die zentrale Aufgabe der europäischen Politik. Die europäische Einigung in Freiheit und Frieden ist weit mehr als ein gemeinsamer Markt, eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Technologiepolitik.
Die europäische Einigung - das ist die Verständigung über gemeinsame Werte und ein alle verpflichtendes Ethos. Die europäische Politik hat dann die übergeordnete Aufgabe, die politischen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben heute und für morgen zu schaffen und zu sichern. Dies wird aber nur dann möglich sein, wenn es uns gelingt, die im Christentum verankerten Werte bewusst zu machen, einen für alle verbindlichen Werte-Konsens zu erreichen und die Einsicht in diese Lebensnotwendigkeit zu vermitteln. ..
Unsere Existenzfrage läutet daher: Wie können Verantwortungsbewusstsein, Ethos und Moral in der Gesellschaft so gestärkt werden, dass diese Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben in der Gemeinschaft von Mitmenschen wiederhergestellt und stabilisiert werden? Wir brauchen eine Renaissance christlich geprägter Werte und eine neue Aufklärung. ... Damals, vor 250 Jahren, in der ersten europäischen Aufklärung, ging es um Naturrecht, Menschenrechte, Vernunft und die vitalen Interessen der Staatsbürger. Heute geht es um Recht und Pflichten, Freiheit und Verantwortung, Eigeninteresse und Solidarität, Selbstbestimmung und ethische Verpflichtung. Die Aufgaben einer Wiedererweckung verpflichtender Werte und einer neuen moralischen Aufklärung sind lösbar. Die europäische Geschichte kennt mehrere Beispiele für erfolgreich beantwortete Herausforderungen. Die ... europäische Integration durch christlich-demokratische Staatsmänner wie Robert Schuman, Aleide de Gasperi und Konrad Adenauer (ist) hier zu nennen. Diese Gründerväter des neuen Europas waren überzeugte Christen, für die Ethos, Moral und Religion, auch im Sinne einer Bindung an höhere und verpflichtende Werte, kein überflüssiger Luxus waren, sondern existentielle Erfordernisse für ein menschenwürdiges Leben in Frieden und Freiheit.
Chronik im Überblick
Mitte des 19. Jh. wurden in Deutschland die ersten katholischen Studentenverbindungen gegründet. Georg Frhr. von Hertling, der spätere bayerische Ministerpräsident und Reichskanzler stellte erstmals auf der 15. Generalversammlung der katholischen Vereine Deutschlands, dem späteren Katholikentag, im Jahre 1863, diese Vereine einer breiten Öffentlichkeit vor.
1865 erfolgte dann die Gründung des KV. KVer sein zur damaligen Zeit und sich damit zur kath. Kirche zu bekennen, hieß, Mut zu zeigen. Es bedeutete, sich vor der Mehrheit der damals nichtkatholischen, feindlich gesonnenen Studenten zu behaupten, persönliche und berufliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Flagge zu zeigen war damals, ist auch heute wieder gefragt! In diese Zeit fällt auch die Gründung des kath. Studentenvereines Germania in Münster. Bedingt durch den Aufschwung der Korporationen um die Jahrhundertwende erreichte die Germania bis zum Jahre 1901 eine Aktivenzahl von weit mehr als 100. Durch Konventsbeschluss erfolgte die Teilung der Germania - Cimbria und Markomannia entstanden. Am 14. Februar des Jahres 1901 fand der Gründungskonvent der Markomannia im Hotel Moormann statt. Auf Antrag Augustin Fürstenbergs wurde der Wahlspruch „viriliter age" („handle mannhaft") beschlossen. Wappen und Bundeslied wurden genehmigt. Aus verschiedenen Vorschlägen wurden die Farben schwarz - gold - rot als Vereinsfarben ausgewählt. Vikar Heinrich Hemme wurde der erste Vorsitzende des Altherrenvereines. Da man die Gelder bei der Kirche gut aufgehoben glaubte, übte er zugleich das Amt des Kassierers aus.
Nachdem der junge Verein seine Veranstaltungen in wechselnden Lokalitäten, zunächst Hotel Moormann (später Fürstenhof), Alte Börse, Prinzipalmarkt (Geschäftsstelle des Münsterischen Anzeigers, heute der Westf. Nachrichten), Kaffeehaus Steiner (Schucan) und Bullenkopp durchführte, besaß er als erster münsteraner Studentenverein ab 1908 eine eigene Etage an der Norbertstraße. Am 13. September 1910 wurde das Grundstück Kampstraße 10 für 31.500 Mark erworben, am 5.11.1911 das Markomannenhaus feierlich eingeweiht. Als Wahlspruch, den auch heute noch jeder Besucher im Grundstein eingemeißelt sieht, wurde „sto meis" gewählt.
Eindrucksvoll für jeden Leser ist der Zusammenhalt der Korporation in den schweren Zeiten des ersten Weltkriegs. Hunderte von Feldpostbriefen künden von Leid, Elend und Not, aber auch von dem Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die sich in extremen äußeren Umständen ihrer Zusammengehörigkeit und Freundschaft verpflichtet fühlt.
Die härteste Belastungsprobe stellte ohne Zweifel die NS-Zeit dar. Den Vorgaben des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes folgend wurde zunächst ein Zusammenschluss mit dem KDStV Tuiskonia vollzogen, später wurde der Verein aufgelöst. Nur der besonnenen Handlungsweise des damaligen Hausvereinsvorstandes ist es zu verdanken, dass das Markomannenhaus nicht enteignet wurde, sondern der Korporation nach dem Kriege wieder zur Verfügung stand.
1950 fusionierte der AHV Markomannia-Tuiskonia mit der ursprünglich in Göttingen gegründeten Monasteria zur Markomannia-Tuiskonia-Monasteria. Aus diesem Bund löste sich die Markomannia am 9. Februar 1952 und besiegelte die Wiedergründung. Das Markomannenhaus wurde nach den Plänen des weit über Münster hinaus bekannten Dombaumeisters Bb Eberhard Kleffner wieder aufgebaut. Unter Leitung des damaligen Philisterseniors und zugleich Vorsitzenden des Hausvereines Landeshauptmann Dr. Bernhard Salzmann sowie des Wiedergründungsseniors Viktor Egen gelang es in kurzer Zeit, die Korporation mit neuem Leben zu erfüllen. Ein steiler Aufstieg schloss sich an, der mit der Wahl zum Vorstand des Aktivenbundes des KV im Jahre 1955 offenkundig wurde. Auch die Vergabe der Vertreterversammlung des KV nach Münster sowie die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an den katholischen Nuntius Kardinal Muench war Ausdruck wiedergewonnener Bedeutung. Schließlich spiegelte sich der Aufschwung auch in nackten Zahlen wider: 91 Aktive zählte der Verein im Jahre 1959.
Die zweite Hälfte der sechziger Jahre brachte große Umwälzungen an den Universitäten mit sich. In der Aktivitas wurde in aller Entschiedenheit die Auseinandersetzung mit der Problematik der Zeit aufgenommen. Arbeitskreise wurden gegründet. Unter der Parole „Tradition ist überlebt, überholt und überaltert!" wurde die Vergangenheit betrachtet. Die Bereitschaft, alle Formen, Werte und Grundüberzeugungen in Frage zu stellen, war an der Tagesordnung. Zeitweise wurden die Vorstandsämter abgeschafft und durch einen „Elferrat" ersetzt. Traditionelle Veranstaltungen wurden kurzerhand gestrichen.
Die ständige Bereitschaft zum Dialog zwischen Alt und Jung, das Festhalten an unseren Grundüberzeugungen, aber auch die Gelassenheit und das Verständnis für die Ideen der Studenten durch die Alten Herren unter dem damaligen Philistersenior Oberstadtdirektor Heinrich Austermann führten dazu, dass Markomannia diese Zeit letztlich unbeschadet überstand.
Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet durch die zunehmende Wandlung unserer Alma Mater von einer Universität zu einer Massen-Ausbildungsanstalt. Betrug die Studentenzahl 1952 noch 5.200, waren es Anfang der siebziger Jahre 20.000, heute sind es gar nahezu 45.000. Mit der Grosse geht die zunehmende Entfremdung zwischen Lehrenden und Studierenden einher, der persönliche Kontakt wird durch eine Massenabfertigung ersetzt. Der Leistungsdruck nimmt immer mehr zu. Von einem sicheren Arbeitsplatz nach erfolgreich abgeschlossenem Studium kann keine Rede mehr sein! Welche Gründe nun können dafür verantwortlich gemacht werden, dass Markomannia allen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen zum Trotz die letzten 100 Jahre unbeschadet überstehen konnte? Immerhin haben wir in dieser Zeit Kaiserreich und Weimarer Republik, NS-Zeit, die Bonner und jetzt die Berliner Republik erlebt. Die erschütternden Ereignisse und Zerstörungen von zwei Weltkriegen konnten ihr nichts anhaben! Das feste Fundament der von allen mitgetragenen und nicht in Frage gestellten Grundüberzeugungen, aufgebaut auf den drei Prinzipien Religion, Wissenschaft und Freundschaft, ist sicherlich ein entscheidender Faktor. Es ist unsere Überzeugung, dass das Charisma echter Gemeinschaft nur wachsen kann, wenn eine verbindliche Wertewelt anerkannt wird. Diese Grundlage schafft das Band der Freundschaft, welches Alt und Jung zusammenhält, welches Generationengrenzen überwindet. Die Korporation setzt bewusst einen Kontrapunkt zur Anonymität und Beziehungslosigkeit der Massenuniversität. Persönliche Beziehung und Freundschaft sind tragende Säulen unseres Bundes.
Die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung erfordert es, über den Tellerrand des eigenen Fachbereiches hinauszuschauen, sich mit Kommilitonen anderer Fachgebiete auszutauschen, den eigenen Horizont zu erweitern und den interfakultären Dialog zu pflegen. Auch Hilfestellung ist uns ein wesentliches Anliegen. Probleme, die für den Einzelnen bedrückend erscheinen, lassen sich im Gespräch mit älteren Semestern und Alten Herren oftmals leicht bewältigen. Auch die persönliche Standortbestimmung des Einzelnen ist in einer Gemeinschaft wie einer Korporation weit eher möglich. Schon früh wird der junge Student in die Verantwortung einbezogen durch die Übernahme von Verantwortung für die Bundesbrüder und die Beauftragung mit Vorstandsämtern. Auf Conventen lernt er, seine Meinung zu artikulieren, pro und contra abzuwägen und durch Worte zu überzeugen.
Bei allen Gedankengängen sollte die Gemeinschaft mit Geist und Humor erfüllt sein. Jugendliche Zuversicht und das Vertrauen auf eine gute Zukunft müssen in unser Zusammensein ausstrahlen. Eine weitere, bedeutende Ursache liegt für mich in der Tatsache, dass Markomannia in ihrer Geschichte über herausragende Persönlichkeiten verfügen konnte, die den Wert einer solchen Gemeinschaft erkannt und unerschöpfliches Engagement eingebracht haben. Es waren dies Menschen, die ihren Einsatz nicht auf die Korporation beschränkt, sondern auch darüber hinaus große Verantwortung für andere übernommen haben.
Exemplarisch möchte ich an dieser Stelle einige Bundesbrüder herausgreifen, die sich durch ihr Werk in der Markomannia einen Ehrenplatz verdient haben:
Heinrich Hemme 1905 - 1919
Aus der Vorkriegszeit ist dies der Vikar, spätere Pfarrer Heinrich Hemme, der den Aufbau des Vereines als erster Vorsitzender mit großem Einsatz betrieben hat und 1919 zum Ehrenvorsitzenden ernannt wurde.
Wilhelm Drolshagen 1919 - 1931
Auf ihn folgte der Rechtsanwalt und Notar Wilhelm Drolshagen, der die Korporation mit viel Umsicht durch Weimarer und NS-Zeit führte. Durch geschicktes Taktieren verhinderte er es, dass die Enteignung des Grundstückes und Gebäudes Kampstraße 10 vollzogen werden konnte. Nur so konnten wir nach Kriegsende das Haus zurückerhalten.
Dr. Franz Dietrich 1931 - 1937
Von 1931 bis 1937 führte Bb Studienrat Dr. Franz Dietrich die Korporation. Zuvor hatte er 21 Jahre als Kassierer unermüdlich die Finanzen des Vereines in seinen Händen. In seine Amtszeit fällt die Zusammenlegung mit der Tuiskonia, welche entsprechend den Anordnungen der damaligen Machthaber erfolgt war.
- Hervorheben möchte ich das Schaffen unseres Bb Bernhard Lucas, der in seinem Verlagshaus und der Druckerei Regensberg die damaligen Predigten des späteren Kardinals Graf von Galen gegen die Euthanasie und die Verbrechen der Naziherrschaft druckte. Er musste sicher sein, dass er mit dieser Tat seine wirtschaftliche Existenz aufs Spiel setzte und ein grosses persönliches Risiko einging. Doch seine Überzeugung hat ihn bei dieser Entscheidung geleitet: Ich denke, auch dies ist ein Stück Markomannengeschichte!
Bernhard Salzmann 1952 -1959
In der Nachkriegszeit verdient Erwähnung unser Bb Dr. Bernhard Salzmann. Direkt im Jahre 1945 als Landeshauptmann von den Briten eingesetzt, ist ihm der Wiederaufbau des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zu verdanken. In zahlreichen Ehrenämtern war er aktiv, u.a. als Präsident des westfälischen Roten Kreuzes. Als Philistersenior hat er die Restituierung der Korporation nach dem 2. Weltkrieg massgeblich beeinflusst, als Vorsitzender des Hausbauvereines wurde das Markomannenhaus in seiner Verantwortung wiederhergestellt.
Wilhelm Huntgeburth 1959 - 1962
Es folgte ihm im Amte Bb Wilhelm Huntgeburth. Seit 1952 hatte er als stellvertretender Altherrenvereinsvorsitzender wichtige Weichenstellungen in der Nachkriegszeit mitgetragen und umgesetzt. Von 1959 bis 1962 übernahm er selbst das Amt des Philisterseniors. Für seine großen Verdienste wurde er anschließend zum Ehrenvorsitzenden gewählt.
Heinrich Austermann 1963 - 1976
Unvergessen ist unser Bb Heinrich Austermann, der von Oktober 1952 an insgesamt 21 Jahre als Oberstadtdirektor von Münster tätig war. Der Wiederaufbau der im Krieg stark zerstörten Stadt Münster und der Weg zu einer modernen Großstadt darf getrost als sein Lebenswerk bezeichnet werden.
Darüber hinaus schuf er den Verein „Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V." und widmete dieser Aufgabe viel Zeit. In der Markomannia hat er von 1962 bis 1976 mit großem Einsatz und großer Freude das Amt des Philisterseniors bekleidet.
Dr. Viktor Egen 1976 - 1994
Sein Nachfolger in diesem Amte war über insgesamt 18 Jahre bis 1994 Dr. Viktor Egen. Neben seiner Allgemeinpraxis war er in ungezählten Ämtern in der Berufs- und Standespolitik tätig. Dennoch fand er immer wieder die Zeit für seine Markomannia, für die er in den 50er Jahren als Wiedergründungssenior, später als Vorortspräsident, d.h. Bundesvorsitzender des Aktivenbundes des KV, im Vorstand des Altherrenbundes des KV, und zuletzt als Philistersenior Verantwortung übernahm und die Korporation in wechselvoller Zeit stets auf Kurs hielt.
Karl-Eberhard Zangerl 1994 -1998
Schliesslich sei Bb Karl-Eberhard Zangerl genannt, der zunächst als Kassierer, von 1994 bis 1998 als Philistersenior das Ruder unserer Markomannia übernommen und neue Impulse in das Korporationsleben eingebracht hat.
Unter dem Motto „Leser wählen den Münsteraner des Jahrhunderts" veranstalteten die Westfälischen Nachrichten Ende vergangenen Jahres eine grosse Aktion: Unter den 13 zur Wahl gestellten Kandidaten fanden sich immerhin 2 Markomannen: Heinrich Austermann und Bernhard Salzmann! Wahrlich eine Bestätigung der großen Leistungen dieser Persönlichkeiten für ihre Mitmenschen und für das Allgemeinwohl! An dieser Stelle möchte ich den Rückblick beschliessen. Ich wünsche mir, dass wir Markomannen auch in Gegenwart und Zukunft stets in der Lage sein werden, uns kritisch in Frage zu stellen, unseren Platz in der Universität und Studentenschaft, in Gesellschaft, Kirche und Staat immer aufs neue zu suchen, Toleranz für Andersdenkende aufzubringen und jungen Menschen Orientierung und Gemeinschaft zu vermitteln. Lasst uns entdecken, was unser Wahlspruch „viriliter age" für uns in Zukunft bedeuten wird!
Die Anfänge bis zum ersten Weltkrieg
von Markus Wittenberg
Die Universität zur Gründungszeit der Markomannia
Nachdem die bereits 1631 von Papst Urban VIII. und Kaiser Ferdinand II. genehmigte Universität in Münster zwar beschlossen, aber in den Wirren des 30jährigen Krieges nie formal gegründet worden war, weil man die Verlesung der Gründungsurkunde nicht vollziehen konnte, gelang es dem fürstbischöflichen Minister Franz Frhr. von Fürstenberg im Jahre 1773 Papst Clemens XIV und Kaiser Joseph II zur Zustimmung zu einer Universität mit vier Fakultäten zu bewegen (Medizin, Jura, Theologie und Philosophie). Am 16. April 1780 erfolgte die feierliche Gründung. Der jungen Universität war aber nur eine kurze Zeit der Blüte beschert. Nach der Gründung der Universität Bonn musste die junge Alma Mater zu Münster die juristische und die medizinische Fakultät abgeben. Dem Verlust folgte die offizielle Herabstufung zu einer „Höheren Lehranstalt" (Akademie). Die Abwertung wurde auch durch die Tatsache nicht gemindert, dass der münsterischen Akademie das Promotions- und Habilitationsrecht für die Theologische Fakultät erhalten blieb. Die Verantwortlichen verfolgten jedoch hartnäckig das Ziel, die seit 1843 als „Kgl. Theologische und Philosophische Akademie" firmierende Hochschule wieder in den Kreis der Universitäten zu führen. Zielstrebig erfolgten Institutsgründungen an der Akademie, die einen wissenschaftlichen Ruf außerhalb der Theologie begründeten.
An der Wende vom 19. zum 20. Jh. finden die Bemühungen um die offizielle Wiedererrichtung der Universität Münster in den Verbandsmitteilungen des KV regelmäßigen Niederschlag. So berichtet die Ausgabe vom 9. März 1901, der Westfälische Provinziallandtag habe auf Antrag von Münsters Oberbürgermeister Max Jungeblodt beschlossen, daß die „Erweiterung der Akademie zur Universität durch eine juristische Fakultät erforderlich und ein dringendes Bedürfnis ist." Drei Wochen später berichten die Mitteilungen vom (einstimmigen!) Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Münster, sich zu 50% an den Kosten der juristischen Fakultät zu beteiligen und 150.000 M für Gebäude beizusteuern. Die örtlichen Gremien waren um so mehr bereit, einen erheblichen Teil eigener Mittel für das lang gehegte Ziel aufzubringen, als Münster im SS 1901 erstmals mehr als 800 ordentliche Studenten zählte - mehr als die etablierten Universitäten Greifswald, Rostock oder Jena! Erst Ende 1901 aber (AM vom 15. Dezember 1901) bestätigte der Preußische Staatsrat die Einrichtung der juristischen Fakultät.
Zu Beginn des Jahres 1902 wurden die Professorenstellen der Rechts- und Staatswissenschaften besetzt und am 11. März 1902 vom Preußischen Abgeordnetenhaus bestätigt. Somit konnten Studenten und Stadt Münster die Erhebung der Akademie zur Universität am 28. April 1902 mit einem Fackelzug feiern (AM vom 25. Mai 1902). Am 15. Oktober 1902 immatrikulierten sich offiziell die ersten Studenten. Universität und Korporationen huldigten am 1. Oktober 1902 dem preußischen Herrscher dankbar mit einem Kaiser-Wilhelm-Kommers. Seit der Westfalenreise 1907, bei der Wilhelm II das Patronat übernommen hatte, trug die Universität auch seinen Namen: „Westfälische Wilhelms-Universität". Der Aufschwung der Hochschule setzte sich fort. Bereits im Januar 1903 überschritt die Zahl der ordentlichen Studenten mit stud. iur. Holtgreve aus Gumbinnen (Ostpreußen) die l .000er-Marke, im Juni 1904 waren es bereits 1.255. Die philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät stellte mittlerweile mit 641 (ca. 50%) den größten Anteil, gefolgt von der juristischen Fakultät mit 331 und der theologischen mit 283. Zur Jahrhundertwende hatten die Theologen noch fast 50 % der Studenten gestellt (358 von 733 im WS 1900/01). 1905 waren bereits über 1.500 Studenten immatrikuliert, die von 70 Professoren und Dozenten ausgebildet wurden. Unverändert blieb der fast rein deutsche Charakter der Universität; die 13 Ausländer im Jahr 1904 stammten aus den Niederlanden (3), Russland, Frankreich und der Schweiz (je 2) sowie aus Belgien, Luxemburg, Österreich-Ungarn und Amerika (je 1). Die Studentinnen stellten gleichfalls eine kleine Minderheit dar: 1911 im gesamten Deutschen Reich gerade 4,4 %!
Parallel zum Aufschwung der schon bestehenden bzw. wiedererrichteten Fakultäten forcierte der Provinziallandtag auch die Erweiterung der Universität um die Medizin (Beschluss vom 9. März 1903). Auch die Stadtverordnetenversammlung erklärte eine medizinische Fakultät für erforderlich (Juli 1903). Am 27. Oktober 1904 forderte sie die Errichtung weiterer Institute für die Vorklinik. Trotz der von den Standesorganisationen vorgetragenen Sorgen um den ärztlichen Stand (aufgrund der Überfüllung in den größeren Städten drohe eine materielle Notlage; das jährliche Assistenzarztgehalt fiel im Jahr 1904 von 2.000 auf 1.600 Mark!) schritt der Aufbau der Fakultät voran: am 25. August 1906 wurde in Münster das erste Physikum absolviert. Die Alma Mater Monasteriensis vereinigte somit am Vorabend des l. Weltkriegs, fast 100 Jahre nach der Herabstufung zur Akademie, unter ihrem Dach wieder die vier klassischen Säulen Theologie, Medizin, Jurisprudenz und Philosophie/Naturwissenschaft!
Die Studentenschaft der Universität Münster an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert
Nach der Skizzierung der universitären Situation zur Jahrhundertwende lohnt sich ein Blick auf die Studentenschaft und den KV. Wenn man die AM der damaligen Zeit Revue passieren lässt, fällt zunächst auf, dass sich keinerlei Rückwirkungen von Bismarcks Kulturkampf gegen den deutschen Katholizismus finden, obwohl diese schwere Auseinandersetzung zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche erst ca. 20 Jahre zurücklag. Zur Erklärung dieser scheinbaren Harmonie muss man sich vergegenwärtigen: Der KV fühlte und dachte in fast gleicher Weise deutschnational wie die gesamte Studentenschaft. Dies galt auch für Münster. Regelmässig fanden festliche Kommerse zu Ehren der Herrscherfamilien und hervorragender Repräsentanten des Kaiserreichs statt, z.B.:
Oktober 1900: Moltke-Kommers in Münster;
Januar 1901: Majestäts-Geburtstags-Kommers in Münster;
Februar 1901: Prinzregenten-Kommers in München;
April 1901: Kaiserkommers zum Studienbeginn des deutschen Kronprinzen in Bonn;
Oktober 1902: Kaiser-Wilhelm-Kommers in Münster.
In besonderer Weise beleuchtet eine Gruß-, beinahe Ergebenheitsnote der "vereinigten Studentenkorporationen" zu Münster an Paul „Ohm" Krüger anlässlich eines Besuches in Westfalen die damalige Stimmung: „Die Studentenschaft Münster spricht dem greisen Staatsmanne des stammverwandten Burenvolkes beim Betreten der westfälischen Erde ihre Bewunderung und Verehrung aus." Die Markomannia stand dieser Mentalität nicht nach; man spürt sie deutlich, wenn man die Berichte über die ersten Vereinssemester und insbesondere über die Kriegsjahre in den Festschriften von 1926 (Nachdruck von 1990) oder 1976 liest. Eine aktive Verantwortung des Akademikers für Volk und Staat ist aus den AM nicht ersichtlich - in heutiger Zeit undenkbar! Keine kritische Betrachtung der sozialen Brennpunkte des Deutschen Reiches, keine Reflexion über die innen- oder außenpolitische Situation. Stattdessen finden sich etwa 1901/02 und 1906 z.T. mehrteilige Abhandlungen über „Alkoholgenuss und seine Folgen vom medicinischen Standpunkt" von Kb Dr. Seiffert (Un, Sx) oder „Die Alkoholfrage". Lediglich im theologisch-philosophischen Bereich oder direkt universitätsbezogen erscheinen grundlegende Abhandlungen (z.B. über die Stellung der modernen Studenten zur katholischen Kirche vom 25. März 1907 oder über das Verhältnis der deutschen Universitäten zum Staat vom 25. August 1909). Die Berichte über den Kriegsbeginn 1914 platzen gewissermassen unvermittelt in den bunten Reigen der unbelasteten Semester- und Festberichte.
Der KV und die Germania an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert
Gern ist man geneigt, die früheren Jahrzehnte der Korporationen in allzu rosigem Licht zu betrachten. Sicher, die Zahl der Aktiven, der Füchse und der Organisationsgrad der Studenten beeindrucken uns heute und lassen Wehmut aufkommen. Dennoch brachten die großen Aktivenvereine auch erhebliche Schwierigkeiten mit sich, die man an der Entwicklung unserer Mutterkorporation Germania ablesen kann.
Die Germania hatte sich in den 35 Jahren seit ihrer Gründung zur stärksten der damals 110 katholischen Korporationen im Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und der Schweiz entwickelt. Sie zählte am 23. November 1900 mehr als 100 Aktive, am 14. Februar 1901, dem Tag des entscheidenden „Teilungsconvents" sogar 140 BbBb in der Aktivitas! Etwa jeder 5. Student Münsters gehörte also der Germania an. Ein geregeltes Vereinsleben war unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Trotz des uns heute immens erscheinenden Zustroms von Neumitgliedern und großen Fuchsenställen kriselte es allerdings im gesamten KV, der zwischen 1901 und 1904 aufgrund stagnierender Mitgliederzahlen (ca. 1.650) seine Vorrangstellung gegenüber dem CV verlor. Ein Grund war dabei auch die hohe Zahl von Austritten, die etwa im Jahr 1904 bei 100/Jahr lagen und Anlass zu ernster Sorge gaben.
So verwundert es nicht, daß es in der Gemeinde eine große Übereinstimmung gab, die Korporation zu teilen, um den unterschiedlichen „Fraktionen" eine neue Korporationsheimat zu schaffen (dies ist wie auch das Folgende unter Einschluß der Zitate nachzulesen in der genannten Festschrift von 1914). Bereits 1894 war eine Trennung geplant gewesen, um den Zwiespalt zwischen Philologen und Theologen zu beenden. Seit dem SS 1899 wurden die Planungen konkreter, jedoch sprach sich am 26. Oktober 1899 der Philisterverein noch mit knapper Mehrheit der persönlich anwesenden BbBb gegen eine Teilung aus; die schriftlichen Stellungnahmen befürworteten bereits eine solche. Nicht zuletzt gefördert durch die Berichte in den AM über erfolgreiche Gründungen von Tochterkorporationen im Jahr 1900 in Bonn und Freiburg (Armina/Frisia und Brisgovia/Bavaria) beschloß Germania am 4. Februar 1901 prinzipiell die Teilung. Am 9. Februar 1901 legte eine eigens zu diesem Zweck mit Mehrheit bestellte Kommission auf einem äußererdentlichen Konvent eine Reihe von Resolutionen bezüglich einer Teilung vor. Diese beinhalteten weitgehende Vollmachten für die „unverantwortliche" (i. e. nicht dem Konvent verantwortliche) siebenköpfige Kommission, da damit zu rechnen war, daß über 50% der BbBb die Germania verlassen wollten. Mit 116 von 121 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) beschloß dieser BC endgültig die Teilung und bestätigte die von der Kommission ausgearbeiteten Modalitäten.
Die Hauptsätze waren:
Niemand kann gezwungen werden, aus Germania auszutreten, wohl aber in Gernania zu bleiben.
Die Übertretenden bleiben Inaktive der Germania, verlieren aber das Recht zur Teilnahme an den Konventen.
40 Aktive müssen in Germania verbleiben.
I. A. i. 1. bedürfen zum Übertritt der Erlaubnis des Konvents.
Die Aktiven, welche ev. übertreten wollen, zeichnen sich in eine Liste ein, und aus dieser setzt dann eine aus dem B. C. gewählte unverantwortliche siebengliedrige Kommission die neuen Vereine zusammen.
Ein Korporation von weniger als 20 Mitgliedern soll nicht gebildet werden.
Der 9. Februar 1901 gilt als der Gründungstag der Markomannia (wie auch der Cimbria), obwohl zu diesem Zeitpunkt weder die Namen der Gründungsmitglieder noch der Name der neuen Korporation (en) feststanden und die Durchführung der Bestimmungen erst 5 Tage später erfolgte. Dann erst (14. Februar 1901) wurden die Namen der Übertretenden mitgeteilt und endgültig entschieden, zwei Tochterkorporationen zu gründen. Es zeigte sich, daß 90% der Wünsche berücksichtigt werden konnten. Nach Absingen des Germanenliedes, das nie von so vielen Aktiven angestimmt worden ist, versammelten sich direkt anschließend die 28 Germanen zum Gründungsconvent derjenigen neuen Korporation, die sich noch am gleichen Tag einstimmig den Namen Markomannia erwählte. „Kein Mißton hatte die ganzen Verhandlungen gestört, einstimm-mige Begeisterung hatte geherrscht, das gemeinsame Ziel war das Interesse des Kartellverbandes." Am 26. Februar beschloss die Germania mit einer Kneipe dieses denkwürdige Semester. Andere Korporationen beschatten in jener Zeit weitaus kompromißlosere Wege; die Brisgovia ließ etwa das Los über die zukünftige Korporationszugehörigkeit entscheiden (AM vom 25. September 1902)!
Die junge Markomannia (1901 bis 1918)
Wegen des nahe bevorstehenden Semesterschlusses hatten die Markomannen auf dem Gründungsconvent unter der Leitung von cand. theol. Maring auf eine förmliche Chargenwahl verzichtet und cand. math. Hubert Schulte (x), cand. theol. Heinrich Hemme (xx) und cand. math. Franz Goebel (xxx) 7 Leitung des Vereins übertragen. Auf dem ersten Convent wurden Name und Farben, auf dem zweiten Convent am folgenden Tag Zirkel und Wahlspruch festgelegt. Ein „offizieller" Semesterschluss mit der traditionellen Kneipe war noch nicht möglich, da die Bestätigung der jungen Korporation durch den Senat der Universität noch ausstand.
So trat die Korporation am 25. April 1901 mit einer Semesterantrittskneipe und der Rezeption des ersten Fuchsen an die Öffentlichkeit. Beim Antrittskommers am 7. Mai 1901 zählte die Aktivitas bereits 35 Mitglieder. Der Zustrom hielt auch in den folgenden Wochen und Monaten an, so dass der Aktivenverein am Ende des SS 1901 bereits 49 BbBb umfasste und die Aktivitas bis zum 25. Januar 1902 ihre Mitgliederzahl fast verdreifacht hatte! Der erste Semesterbeitrag wurde für Inaktive (AM 9/1901) und Aktive (AM 9/1904) auf 5 Mark festgelegt. Beim Festkommers zu Ehren von Prof. Dr. Niehues (E.d. Gm) am 7. Juni 1901 versammelten sich nochmals fast alle alten und neuen BbBb und KbKb der Germania und Markomannia.
Noch vor dem offiziellen Publikationskommers auf dem 37. Stiftungsfest der Germania (31. Juli 1901) chargierte die zweite Tochterverbindung Cimbria auf der Großen Prozession (8. Juli 1901). Die Sorgen um den personellen Bestand der Germania durch den Aderlass einer doppelten Korporationsneugründung erwiesen sich als unbegründet, denn trotz der neuen Korporationen konnte Germania auf dem Publikationskommers der Markomannia und der Cimbria 22 Füchse rezipieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt konzentrierten sich in der Markomannia die meisten münsterischen Bürgersöhne (AM vom 25. August 1901). Mit den Philistrierungen von J. Uppenkamp und Otto Rietmeyer begann zeitgleich mit dem Publikationskommers auch die Geschichte des zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht organisierten Altherrenvereins. Die endgültige Abnabelung von der Germania markierte der Austritt des „Ur-Philisters" Rietmeyer aus der Germania zum 1. Januar 1902, zeitgleich erklärten sich die BbBb Peter Görg, Jakob Graf und Heinrich Hemme zu AHAH.
Beim ersten Stiftungsfest im SS 1902 wies die Markomannia bereits die höchste Aktivenzahl in Münster auf und stellte mit Bb Karl Leinemann erstmals den KVMx. Das zunehmende Selbstbewusstsein unterstrich die Tatsache, dass die Markomannia vom WS 1903/04 an die Stiftungsfeste allein feierte. Im gleichen Semester präsidierte mit Bb iur. Paul Meer am 29. Januar 1904 erstmals ein Markomanne den Kaiser-Kommers mit 21 chargierenden Korporationen. 2 Tage nach dem Abschluss dieses glanzvollen Semesters musste die Korporation allerdings ihren ersten verstorbenen Bb zu Grabe tragen - Franz Schewering aus Osterwiek. Mit dem anhaltenden Aufschwung des Korporationslebens (trotz der häufigen Wechsel des Verbindungslokals) und der erfolgreichen Positionierung in Münsters Gesellschaft entstand der Wunsch nach einem eigenen Verbindungshaus. Bereits im Sommer 1904 drückte der gebräuchliche Abschiedsgruß „Auf Wiedersehen im neuen Heim" die Hoffnung aus, dieses Ziel verwirklichen zu können (AM 11/1904). Folgerichtig wurde 1906 die Hausbaukasse gegründet und am 26. Juni 1910 der förmliche Beschluss gefasst, „vorbehaltlich der Regelung der Geldfrage" ein Haus zu bauen. Viele Bedenken waren zunächst zu überwinden. Aber nach dem Grundstückskauf am 13. September 1910 erfolgten im März 1911 der erste Spatenstich und schon am 30. April 1911 die Grundsteinlegung. Bereits am 5. November 1911 wurde das Haus mit einer Kneipe in Benutzung genommen. Die offizielle Einweihung jedoch fand erst im Rahmen des Festes zum 10jährigen Bestehen der Markomannia vom 5. bis 7. Januar 1912 statt. Die Abfolge dieses offenbar rauschenden Festes ist in aller Ausführlichkeit in den AM vom 25. Januar 1912 nachzulesen. Nicht ohne Stolz betonte zum Schluss der namentlich leider nicht genannte Chronist die Tatsache, dass Markomannia nunmehr im Besitz des ersten Korporationshauses Münsters sei - und dies bei gesunder finanzieller Grundlage, die „vom Vorsitzenden an Hand eingehender Aufstellungen konstatiert werden konnte". Etwa 80.000,- RM hatten die BbBb aufbringen müssen. Leider schlichen sich schon früh erste Unsitten in das Verbindungsleben ein: Das Protokoll der Generalversammlung 1903 vermerkt das Fehlen von Bb Drolshagen über einen ganzen Tag, 1904 lediglich noch das verspätete Eintreffen der Vertreter Markomanniae um eine (!) Minute! Berichte der Markomannia tauchen in den AM leider - mit Ausnahme des vorgenannten Festberichts - nur ganz sporadisch auf. Insbesondere finden sich keine Mitteilungen über die Gründe, im WS 1909/10 den Vollwichs abzuschaffen. Im Gegenteil, die AM zitieren noch in der Ausgabe 12 vom 9. September 1908 Bb Schnippenkötter für den 14. Juni 1908 als Verfechter des Vollwichses beim Katholikentag gegen den sonst zur Debatte stehenden Frack. Ebenso wie weite Teile des deutschen Volkes so traf der Kriegsbeginn auch den KV und die Markomannia unvermittelt. Die Aktiven meldeten sich in großer Zahl freiwillig zur „vaterländischen Tat" an die Front und kämpften - ihrer deutsch-nationalen Einstellung folgend - mit großem Einsatz: 28 Gefallene hatte Markomannia zu beklagen! Die Korporation versuchte überwiegend mit Kriegsversehrten und Kriegsuntauglichen ein behelfsmäßiges Vereinleben aufrecht zu erhalten. Die Festschriften von 1926 (Nachdruck von 1990) und 1976 seien hier dem Interessierten zur weiteren Lektüre empfohlen.
Markomannia 1922—1932
Von Paul Voßkühler
Schwere Zeit 1922/23
Sahen die drei ersten Nachkriegsjahre in den Reihen der Korporation fast ausschließlich ehemalige Soldaten, die ihre durch den Krieg unterbrochenen oder hinausgeschobenen Studien aufnahmen, so setzte im Jahre 1922 allmählich ein Wandel ein. Die Kriegsteilnehmer schlossen ihre Studien ab, an ihre Stelle traten junge Studenten, die Krieg und Revolution noch in den Pennälerjahren miterlebt hatten. Die jetzt folgenden Semester waren ähnlich bewegte, wie die Kriegs- und Revolutionszeit sie gebracht hatte. Die Geldentwertung mit ihren schwerwiegenden Folgen, das Werkstudententum mit seinen manchmal harten Anforderungen, die militärische Besetzung des Ruhrgebietes durch die Alliierten, die Münster aus nächster Nähe miterlebte, das alles waren Ereignisse, die von außen her die Entwicklung der Korporation nachhaltig beeinflußten. Hinzu kam im Innern die notwendige Einstellung auf die Gedanken der neuen Zeit: Hochschulpolitische Fragen sowie Forderungen des Sportes und der Jugendbewegung traten an den Verein heran und drängten auf eine Auseinandersetzung mit den alten überlieferten Korporationsformen. Mitten durch diese unruhevolle Zeit geht der weitere Weg der Markomannia.
Das 21. Stiftungsfest
Das Sommersemester 1922 vereinigte einige Kriegsteilnehmer mit einer großen Zahl junger neu aufgenommener Markomannen zu einer fröhlichen Aktivitas. Den Höhepunkt des Semesters bildete das 21. Stiftungsfest, das zu Anfang August gefeiert wurde. Vorher war in den „Mitteilungen" herzlich eingeladen worden, „der jungerblühten Markomannia zu ihrem Volljährigkeitstage" durch zahlreichen Besuch alle Ehre anzutun. So fanden sich denn weit über 100 Markomannen aus allen Teilen des Reiches ein, um diesen Gedenktag zu feiern. Die stark besuchte Festkneipe zeigte der Korporation zum ersten Male die Chargierten in Frack und Schärpe mit den neuen Cerevisen, in den seit jenem Semester chargiert wurde. Die anschließenden Ferienmonate wurden wegen des fortschreitenden Währungsverfalls von den meisten Vereinsbrüdern zur praktischen Arbeit im Bergbau, in der Industrie oder in der Landwirtschaft genutzt. Dabei war es wichtig, das „viele" selbstverdiente Geld — ein Zeichen jener Zeit — sofort in Sachwerte umzusetzen. Das anschließende Wintersemester 1922/23 mußte wegen der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in einem ganz bescheidenen Rahmen verlaufen. Größere Feste konnten nicht stattfinden. Mehr als je zuvor wurde das Haus Mittelpunkt und Zufluchtsort der Korporation. Bier-, Spiel- und Vortragsabende führten hier die Aktiven zusammen und ließen sie den düsteren Zeiten zum Trotz manche frohe Stunde verleben. Reiche geistige Anregung brachten in jenem Winter die Faustabende, die durch den Vortrag von Dr. Gerhard Jacobi das ganze Werk unter den Aktiven lebendig werden ließen.
Die Ruhrbesetzung
Weil Deutschland mit den hohen Reparationszahlungen an die Alliierten etwas in Rückstand gekommen war, rückten Anfang Januar 1923 französische und belgische Truppen in das Ruhrgebiet ein und besetzten damit einen großen Teil von Westfalen. Nach wenigen Tagen standen die Franzosen an der Lippe, und man rechnete allgemein mit einem weiteren Vordringen bis nach Münster. Als daraufhin die Reichswehr plötzlich 1200 Nothelfer aufrief, die die militärischen Lager in Münster ausräumen sollten, stellte sich die ganze Aktivitas zur Verfügung. So vergingen mehrere Tage in fieberhafter Tätigkeit, an denen die Vereinsbrüder zusammen mit anderen Kommilitonen die Lagerbestände des Artilleriedepots und des Proviantamtes der Reichswehr in Eisenbahnwagen verluden und diese dann zu Zügen zusammenstellten, die sogleich weiter in das Landesinnere rollten. Andere Vereinsbrüder ließen sich bei der Kraftfahrerabteilung der Reichswehr einstellen, um dort Hilfe zu leisten. Mitten in diese Tage fiel die Wiederkehr des Reichsgründungstages, der 18. Januar 1923. An diesem Tage versammelten sich die akademischen Korporationen mit den vaterländischen Verbänden zu einer Reichsgründungskneipe im großen Saale des Schützenhofes, die unter großer Beteiligung einen eindrucksvollen Verlauf nahm.
KStV Carolingia Aachen ausgewiesen
Täglich fluteten Scharen von Ausgewiesenen aus den besetzten Gebieten nach Münster, die hier Schutz und Hilfe suchten. Eines Tages traf die Kartellkorporation Carolingia Aachen in Münster ein. Die Kartellbrüder waren wegen passiven Widerstandes von den Belgiern festgenommen und nach kurzer Haft ausgewiesen worden. Die Reichsregierung vermittelte den Ausgewiesenen sogleich Studienplätze an anderen Technischen Hochschulen. Auf der Durchreise machten die Carolinger in Münster halt, wo der K.V.M. die münsterischen Korporationen zu einer Begrüßungskneipe für die ausgewiesenen Kartellbrüder ins Cimbernhaus an der Krummen Straße rief. In jenen Monaten traf mehrfach bei der Korporation die Nachricht ein, daß Markomannenphilister im besetzten Gebiete wegen passiven Widerstandes von der Militärregierung festgenommen und zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Der Verein brachte ihnen in Briefen sein Mitgefühl zum Ausdruck; von jeder Kneipe gingen damals Karten und Briefe zu den gefangenen Brüdern. Bei verschiedenen Gelegenheiten griffen auch Mitglieder der Aktivitas selbst in den Ruhrkampf ein und wirkten unter Einsatz ihres Lebens für die deutsche Sache.
Tennisplatz in Selbstarbeit erneuert
Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurden immer ungünstiger. Alle Ausgaben mußten bis aufs äußerste eingeschränkt werden. So kam es, daß auch die Mittel fehlten, als im Sommersemester 1923 der Tennisplatz hinter unserem Hause durch Aufschütten einer neuen Decke wieder bespielbar gemacht werden sollte. Da nahmen die Aktiven die Sache selbst in die Hand. Ein Teil von ihnen fuhr mit Pferd und Wagen vor die Stadt, um aus einer Fabrik Asche zu holen und von den Landstraßen der Umgebung Münsters Schlick aufzuladen. Wenn sie dann mit ihrer Fracht am Markomannenhause ankamen, wurden sie schon von den übrigen Vereinsbrüdern erwartet, die mit Schiebkarren und Eimern bereitstanden, um die Wagen abzuladen und die Aschen- und Schlickmassen durch den Keller in den Garten und auf den Tennisplatz zu schaffen. Zwar gelang es mangels einer fachmännischen Leitung trotz allen Fleißes nur, den Tennisplatz für diesen einen Sommer notdürftig spielfertig zu machen. Dennoch werden allen, die daran beteiligt waren, diese Wochen in froher Erinnerung bleiben, zumal im übrigen die politischen Ereignisse des Sommers 1923 manchen düsteren Schatten warfen. Damals machte auch die Instandhaltung des Hauses große Schwierigkeiten. Der Hausverein hatte in der Geldentwertungszeit eine kräftige Stütze an den Markomannen im Auslande, die ihre Beiträge und freiwilligen Stiftungen in hochwertiger ausländischer Währung zahlten. Einen besonders opferfreudigen Helfer hatte der Hausverein damals an Georg Bauwens, der häufig größere Dollarbeträge aus den USA sandte. Er schickte uns auch ein Markomannenwappen aus Leder, das er von Indianerinnen sticken ließ. Noch heute ist es auf unserem Hause zu sehen.
Bau eines Bootshauses
In diese Zeit fiel noch ein wichtiges Ereignis, der Bau des Markomannen-Bootshauses. Um die Möglichkeit hierfür in der an Überraschungen reichen Geldentwertungszeit zu prüfen, hatten sich schon im Frühjahr 1923 vier Vereinsbrüder, Fritz Holtermann, Bernhard Naendrup, Paul Simons und Bernhard Waltrup, zu einem Ausschuß zusammengefunden. Am 11, Juni 1923 legten sie ihren Plan dem Konvente vor. Durch Vermittlung von münsterischen Alten Herren war es gelungen, bei der Stadtsparkasse für die Korporation ein Darlehen von 10 Millionen Mark aufzunehmen, womit die Durchführung des Unternehmens gesichert erschien. Der Konvent beschloß daher an jenem Tage endgültig den Bau eines Bootshauses und übertrug die weitere Leitung dem genannten Ausschuß. Dieser wählte ein Grundstück in Handorf am rechten Ufer der Werse in der Nähe des Kaffeehauses Vennemann. Auf Betreiben des Bootshausausschusses wuchs der Bau schnell empor, so daß er bereits gegen Ende des Semesters fertiggestellt und seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Bald gelang auch die Anschaffung mehrerer Paddelboote, von denen eins dem Verein und die übrigen einzelnen Vereinsbrüdern persönlich gehörten. So wurde das Bootshaus fortan in den Sommersemestern zum Mittelpunkt für den Wassersport in der Korporation. Wegen seiner ruhigen, schattigen Lage war es stets ein beliebtes Ziel für Ausflüge. Der Wert des aufgenommenen Baudarlehens für das Bootshaus war inzwischen durch die Geldentwertung völlig dahingeschwunden, so daß die Frage der Rückzahlung des Darlehns in überraschend einfacher Weise gelöst war. Nach Einführung der Rentenmark im November 1923, die die Inflation beendete, berichtete Bernhard Naendrup dem Konvente, daß er mit anderen Ausschußmitgliedern die Stadtsparkasse aufgesucht habe, um mit einem Rentenpfennig das Darlehen von 10 Millionen Mark zurückzuzahlen. Die Sparkasse lehnte diese Rückzahlung jedoch dankend ab. Das Wintersemester 1923/24 forderte wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage manche Einschränkung im Korporationsbetrieb. Jetzt konnten die Mittel für die Heizung des Hauses nicht mehr aufgebracht werden. Die Aktivitas mußte sich auf die Kellerkneipe beschränken, die mit einem Gasofen notdürftig geheizt wurde. Hier fanden in diesem Semester die Konvente und geselligen Veranstaltungen der Korporation statt. Hier versammelte auch A.H. Dr. Dirking die Aktiven zu einem Vortragskreise um sich, als er im Anschluß an die „Bekenntnisse" ein religiös-kulturgeschichtliches Bild von Augustinus und seiner Zeit gab.
Hochschulpolitik und Sport
Die Korporation nahm auch in diesen Semestern an der Hochschulpolitik regen Anteil. Sie hatte fast immer Sitze in AStA, und mehrfach wurden Markomannen in den Vorstand der Studentenschaft gewählt. Eine besonders rege Tätigkeit entfalteten hier Karl Theodor Drießen und Herry Terrahe. Der Sport in der Korporation wurde im Sommersemester 1923 kräftig durch den A.H. Dr. med. Schmittdiehl gefördert. In Wort und Tat gab er den Aktiven auf den verschiedensten Gebieten des Sports ein vortreffliches Beispiel. Die Mitglieder seiner Sportgemeinde, die er um sich scharte, waren bald bei den Hochschulkämpfen erfolgreich vertreten. Im Sommersemester 1924 wurden zwei Aktive zu den Olympiaspielen nach Marburg und zum Lehrgang für Leibesübungen nach Berlin geschickt. Die Teilnahme an den akademischen Wettkämpfen der münsterischen Universität wurde fortan zur Regel, wobei in den nachfolgenden Semestern die Korporation wie auch einzelne Vereinsbrüder manchen schönen Preis erhielten.
Jugendbewegung und Wandern
Die Korporation hatte sich schon in den Jahren 1922/23, angeregt durch Vorträge der Alten Herren Dr. Gerhard Jacobi und Dr. August Dirking, mit den Zielen der Jugendbewegung befaßt. Gemeinsame Aussprachen hatten im Anschluß daran die Aktivitas mit der münsterischen Altherrenschaft vereinigt, um die Frage zu prüfen, inwieweit eine Umgestaltung der Korporation nach den Grundsätzen der Jugendbewegung unbeschadet der überlieferten Korporationsformen möglich sei. Nach und nach begannen die Gedanken der Jugendbewegung sich im Vereinsleben auszuwirken. Man schränkte die Zahl der offiziellen Kneipen ein und bemühte sich, diese um so sorgfältiger zu wirklichen Festkneipen auszugestalten. Bei der Auswahl der Kneipgesänge wurden im Gegensatz zu einigen inhaltslosen Liedern vaterländische Gesänge, Natur-, Heimat- und Wanderlieder bevorzugt; einer besonderen Beliebtheit erfreuten sich dabei die alten Landsknechtslieder. Die allgemeinen Gesänge wechselten mit musikalischen Vorträgen einzelner Bundesbrüder, vor allem mit Liedern zur Laute, wobei sich Franz Jansen besonders hervortat. Im Zuge der Jugendbewegung griff auch der Wandergedanke auf die Korporation über. A.H. Landesrat Salzmann unternahm als erster mit mehreren Burschen und Füchsen eine Fahrt an die Weser. Das Sommersemester 1925 sah den gesamten Fuchsenstall unter Führung seines Fuchsmajors Paul Voßkühler öfter auf mehrtägigen Wanderungen im Teutoburger Walde oder im Münsterlande, bei denen unterwegs abgekocht und in Jugendherbergen oder bei warmem Wetter unter freiem Himmel übernachtet wurde.
Wiegenfestkneipe am 27. 2. 1926 und 25. Stiftungsfest
So führte der Weg der Markomannen bis zur 25. Wiederkehr ihres Gründungstages am 14. Februar 1926. Da dieser Tag gerade auf den Fastnachtssonntag fiel, der sich zu einer Gedenkfeier wenig eignete, wurde die silberne Wiegenfestkneipe auf den 27. Februar 1926 gelegt. Fast 80 Markomannen fanden sich hierzu auf dem Hause ein. Unter den zahlreich erschienenen Gästen befanden sich auch der Rektor der Universität Professor Dr. Hoffmann, der zu später Stunde das Präsidium übernahm, und der Kurator der Universität Dr. Peters. Das 25. Stiftungsfest begann am Pfingstmontag mit einem Treffen im „Bullenkopp" und einem Begrüßungsabend auf dem Markomannenhause, zu dem bereits 114 Alte Herren erschienen waren. Am Pfingstdienstag feierte A.H. Dr. August Dirking mit den aus weiter Ferne gekommenen Diasporapfarrern Alois und Georg Muth ein Hochamt in der Clemenskirche. Bei dieser Feier wirkte ein mehrstimmiger Chor von Vereinsbrüdern mit. Die Festpredigt hielt A.H. Pfarrer Ludewig. Nach den üblichen Konventen am Nachmittag fand abends im Festsaal des Offizierskasinos am Neuplatz die Festkneipe statt. Als Gäste waren die Chargierten der Korporationen des KV, CV und UV erschienen. Die Festrede hielt „Erster Alter Herr" Uppenkamp mit bewährtem Schwung. Der Höhepunkt dieses Abends war das Gedächtnis aller toten Markomannen, besonders der Gefallenen des 1. Weltkrieges. In einer tief ergreifenden Rede gedachte A.H. Landgerichtsrat van de Kamp, selbst Schwerkriegsbeschädigter, der Toten. Während die Musik leise das Lied vom „Guten Kameraden" spielte, verlas A.H. van de Kamp die Namen der 28 Gefallenen und der übrigen toten Vereinsbrüder. Der 3. Tag des Stiftungsfestes brachte den Gesellschaftsabend, ebenfalls im Offizierskasino am Neuplatz. Er begann mit einem großen „Festmahl" (Gedeck 3 Mark). Nach dem Essen führte der Senior Hans Luke die Polonaise an, an der etwa 300 Personen teilnahmen. Bei Tanz und frohen Liedern verrannen die Stunden. Die ganz Unermüdlichen trafen sich noch zu einer späten Nachfeier auf dem Markomannenhause. Am folgenden Nachmittag klang das Stiftungsfest aus mit einem Ausflug zum Bootshaus nach Handorf, das allgemeinen Beifall fand. Sogleich wurde eine Sammlung eingeleitet, um der Aktivitas ein zweites Paddelboot zu stiften.
Kunstmaler Karl Strunk †
Wenige Monate nach dem 25. Stiftungsfest starb, erst 44 Jahre alt, am 1. Oktober 1926 der Kunstmaler Karl Strunk aus Recklinghausen. In den ersten Jahren der Markomannia war er als stud. jur. bei uns aktiv gewesen. Im 5. Semester der Korporation wirkte er als Fuchsmajor. Bald darauf gab er das Rechtsstudium auf, um sich der Kunst zu widmen. Er bezog die Kunstakademie in Düsseldorf, um Maler zu werden. Hier war er Schüler des Meisters Eduard v. Gebhardt. Hochgebirgslandschaften und Kinderbildnisse waren seine Lieblingsmotive. Nach seinem frühen Tod ehrte ihn das Landesmuseum in Münster mit einer Gedächtnisausstellung seiner Werke. Die Familie Strunk stiftete ein Alpenmotiv aus seinem Nachlaß für das Markomannenhaus.
Vier neue Paddelboote
Beim Ausklang des 25. Stiftungsfestes auf unserem Bootshaus in Handorf hatten einige Alte Herren spontan eine Sammlung für ein weiteres Paddelboot veranstaltet. Da der Erlös für den angestrebten Zweck nicht reichte, wandte sich der Hausvereinskassierer Paul Voßkühler in einem Rundschreiben an die Altherrenschaft mit der Bitte, durch weitere Spenden die Anschaffung neuer Boote zu fördern. Einschließlich des Sammlungsergebnisses vom Stiftungsfest kam ein Betrag von 321,— Reichsmark zusammen. Der Hausvereinsvorstand ließ darauf zwei neue Paddelboote bauen. Das erste erhielt den Namen „Natz" nach dem Hausvereinsvorsitzenden, Landesrat Bernhard Salzmann, das zweite erhielt den Namen „Dick", das war der Biername des Vorsitzenden des Philistervereins, Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Drolshagen. Zu Anfang des Jahres 1928 stifteten die münsterischen Alten Herren Landesrat Salzmann, Dr. Drolshagen, Dr. Brauckmann und Dr. Spital sowie Dr. med. Zumhasch in Bottrop dem Verein zwei weitere Paddelboote. Bei einer feierlichen Bootstaufe in Handorf erhielten die neuen Boote die Namen „Mucki" und „Mariechen", nach Frau Salzmann und Frau Drolshagen. Mit vier vereinseigenen Booten und mehreren Privatbooten war unser Bootshaus nun gut bestückt, so daß der Wassersport auf der Werse immer mehr Freunde fand.
„Trimm-Dich" vor 50 Jahren
Im Sommersemester 1928 und in den folgenden Semestern erkämpften die Bundesbrüder im Tennis, im Schwimmen und im 1500-m-Lauf bei den Universitätsmeisterschaften 5 Plaketten, mehrere Siegerurkunden und sonstige Auszeichnungen. In der Kunstspringermeisterschaft belegte Ernst Simons (gef. am 9. 9. 1939 in Polen) den ersten Platz. Später kamen noch Reiten, Fechten und Wintersport hinzu. Als in dem strengen Winter 1928/29 die Werse lange zugefroren war, nutzen die Bundesbrüder die lange Eisbahn zu Streckenläufen von Angelmodde bis Sudmühle. Im Sommersemester 1930 war unser Bootshaus 7 Jahre alt und bedurfte einer gründlichen Überholung. Es erhielt einen neuen Anstrich; gleichzeitig wurde es erweitert. Eines Tages brach der morsch gewordene Bootssteg, und zahlreiche Bundesbrüder und auch Vereinsdamen mußten ein unfreiwilliges Bad in der Werse nehmen. Einige Zeit darauf konnte durch eine Stiftung der Vereinsdamen und aus Spenden der Bundesbrüder ein neues Boot, ein „Kanadier", angeschafft werden. Es wurde zu Ehren des Philisterseniors Studienrat Dr. Franz Dietrich auf den Namen „Major" getauft.
Die letzten Jahre der Weimarer Republik
Nach langen Verhandlungen räumten die Truppen der Alliierten am 30. Juni 1930 das Rheinland, ein Ereignis, das überall begeistert gefeiert wurde. Markomannia gedachte dieses Ereignisses auf einer Festkneipe. Das 30. Stiftungsfest wurde Ende Mai 1931 in hergebrachter Form gefeiert. Nur den sonst üblichen Gesellschaftsabend mußte man ausfallen lassen „mit Rücksicht auf den Ernst der Zeit und die wirtschaftliche Lage". Die Weltwirtschaftskrise ging also auch am Verbindungsleben nicht spurlos vorüber. Im Wintersemester 1931/32 wurden verschiedene Räume im Markomannenhause erneuert. Besondere Sorgfalt verwandte man auf die Ausstattung des Lesezimmers. Einige Alte Herren stifteten insgesamt 5 Zeitungen oder Zeitschriften der verschiedensten geistigen und politischen Richtungen, darunter „Hochland" und „Tremonia" (ein führendes Zentrumsblatt). Der Stifter des „Völkischen Beobachters" wollte ungenannt bleiben. Im Oktober 1932 veranstaltete die Aktivitas einen Herrenabend zu Ehren des 85. Geburtstages des Reichspräsidenten von Hindenburg. Nachdem ein Bundesbruder in kurzen Worten das Lebensbild Hindenburgs gezeichnet hatte, las ein anderer aus Beumelburgs „Sperrfeuer um Deutschland" den Abschnitt über die Tannenbergschlacht. Musikalische Vorträge, unter anderem das Kaiserquartett von Haydn, umrahmten die Feier. Landgerichtsdirektor Bergmann, der später das Präsidium übernahm, erzählte dann von seinen Erlebnissen beim Rückzug 1918 unter Hindenburg.
Markomannia unter NS-Herrschaft
von Paul Ridder
Zwischen dem Jahr 1933, dem Verbot freier Studentenvereine im Jahre 1936 und der Wiederzulassung der Markomannia im Jahre 1947 erlitt die Markomannia die Zeit der NS-Herrschaft und ihre Folgen. Der Verein kämpfte um sein Überleben, er existierte nur noch im Untergrund. Inoffizielle Treffen fanden regelmäßig in Münster, Berlin und später an der Kriegsfront statt. Konnte die Markomannia schon als Verein nicht weiterbestehen, so galt es wenigstens, die Enteignung ihres Hauses zu verhindern. Denn das Markomannenhaus bildete stets einen harten Kern des Vereinslebens. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten erfüllte die Markomannen mit Furcht, „ob man unserer Sache die Treue halten könne" (MM 1.8.1934). Selbst wenn „im schnellen Geschehen und im Werden der neuen Zeit" die neuen Herren „sich dafür verbürgt haben, dass die neu beschrittenen Wege zu neuer Größe unseres Vaterlandes führen", so wich die tiefe Skepsis nicht. Da durfte der Senior des Jahres 1933 Heinz Heüveldop es bereits als „Gewinn (werten), dass wir heute noch zusammenstehen und mitarbeiten können". Und „jeder, der sich sagt, dass nichts Gutes aus vergangener Zeit einfach über Bord gehen darf, der muss seine redliche Freude daran haben, dass alte und junge Markomannen auch zukünftig auf bewährtem Boden zusammenstehen und in Freundschaft der deutschen akademischen Zukunft dienen können, wollen und müssen."
Der Einzug zum Arbeitsdienst und die Beitrittspflicht zu NS-Organisationen jedoch entzog dem Verbindungsleben allmählich den Boden. Nach den Richtlinien der NS-Studentenschaft verlangte diese von den Korporationen bis zum 1.10.34 die Einrichtung von Kameradschaftshäusern. Da unser Haus Studentenzimmer beherbergte, fiel es leicht, seine Umwidmung als „Kameradschaftshaus" vorzunehmen. Wie die Markomannia, so mussten auch andere Studentenvereine sich unter den Existenzbedingungen eines totalitären Staates ihres Lebens wehren: Als dem Tuiskonen-Haus am Coerdeplatz, das jener Korporation von Bb Dr. Karl Lentze aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt worden war, die Beschlagnahme drohte, musste diese anderweitig Schutz suchen. Da nun zwischen der Markomannia und der Tuiskonia von jeher enge Beziehungen bestanden, sie sich in einer politisch aufgeladenen Zeit gemeinsamen Wertvorstellungen (resp. Zentrumspartei) zugehörig fühlten und weder die Markomannia noch die befreundete Tuiskonia die geforderte Anzahl von mindestens 15 Jungstudenten erreichen konnte, beschlossen die beiden Vereine am 28. März, einen Zusammenschluss zu empfehlen. Am 15.5.34 wurde auf dem Markomannentag in Essen einmütig die Vereinigung vollzogen, wenn auch unter einem stillen Vorbehalt: „Alle schieden voneinander in dem Bewusstsein und dem Willen, dass die alte Markomannenfreundschaft weiter gepflegt wird, solange die Getreuen ihres alten Schwures eingedenk bleiben."
Dann nahm der NS-Studentenbund im WS 35/36 die alleinige Führung und Schulung aller Studenten für sich in Anspruch. Am 22.11.35 gab der Führer des KV, Prof. Martin Spahn, die Auflösung des KV bekannt. Davon sollten jedoch die Altherrenschaften und die einzelnen Korporationen selber nicht betroffen sein. In einem nächsten Schritt allerdings forderte der Rektor der Universität die Korporationen bereits auf, Listen der studierenden Mitglieder einzureichen oder den Auflösungtermin der Aktivitas bekanntzugeben. (s.a. die Beiträge von Eberhard Hoffschulte in diesem Band und Franz Lucas in der Festschrift zum 75. Jubiläum, S. 43-47) Da abzusehen war, dass der NS-Studentenbund das Erbe der Markomannia übernehmen würde, musste man für das Verbindungshaus ein anderes Schutzschild suchen und gründete Anfang 1936 das Markomannenhaus neu als ein „Heim für die Arbeitsfront". Am 13.5.36 kam die Anordnung, dass im „Interesse einer einheitlichen Ausrichtung der Deutschen Studenten" allen Angehörigen von NS-Organisationen die Mitgliedschaft in studentischen Verbindungen verboten würde. Im Einverständnis mit der Altherrenschaft wurde dann am 25.5.36 die Aktivitas aufgelöst und der Beschluss dem Rektor der Universität mitgeteilt.
Die Altherrrenschaft, die Mitglieder der Aktivitas und die bereits examinierten Inaktiven traten anschließend dem Hausverein e.V. bei, der fortan die Geschäfte des Altherrenvereins wahrnahm. Die jungen Bundesbrüder trafen sich weiterhin auf dem Bootshaus, bei Frühschoppen im Cafe Schucan oder im Kaiserhof. Noch am 19.12.36 konnten sich 170 BbBb im Münsterschen Zivilclub zu einem großen Markomannen-Tuiskonentreffen zusammenfinden. In der ganzen Zeit war der Fax Heilmann im Haus weiterhin für die Markomannia tätig und wurde auch von ihr bezahlt. Die Markomannen-Mitteilungen allerdings konnten in ihrem 73. Heft nicht mehr wie bisher bei „Regensberg" gedruckt werden.
Weder das „Katholische Kirchenblatt", noch die „Akademischen Monatsblätter", nicht die Kampfschriften gegen die nationalsozialistische Weltanschauung der Märtyrer Franziskanerpater Kilian Kirchhoff und des Jesuiten Albert Maring, nicht die Hirtenbriefe der deutschen Bischöfe, die Predigten und Anklagen des Bischofs Clemens August Graf v. Galen u.a. durften in jenem Verlagshaus mehr erscheinen. Denn sein Inhaber, Bb Dr. Bernhard Lucas, hatte 1937 ordnungswidrig die berühmte Enzyklika des Papstes „Mit brennender Sorge" und „Über die Lage der katholischen Kirche in Deutschland" im kirchlichen Amtsblatt oder als Broschüre in ca. 120.000 Stück gedruckt! Während die Gestapo vorne auf dem Betriebshof anrückte, verschwanden am Hinterausgang drei Markomannen mit den druckfrischen Exemplaren, um sie zum Vertrieb auszuliefern. In der Folge wurde der Betrieb, der seit der Gegenreformation dem Bischof von Münster vierhundert Jahre treu gedient hatte, beschlagnahmt und entschädigungslos eingezogen. Die „MMs" kamen aber dennoch heraus und zwar bei Bb Lambert Lensing in Dortmund.
Am 18.9.37 fand im Düsseldorfer „Malkasten" die letzte gemeinsame Veranstaltung statt. Ein Bericht über den Verlauf, der in den neuen Markomannen-Mitteilungen gedruckt allen Mitgliedern zugehen sollte, konnte leider nicht mehr erscheinen, da sämtliche Unterlagen bei Bb Lambert Lensing beschlagnahmt worden waren und die Mitteilungen auch von ihm künftig nicht mehr gedruckt werden durften. Am 17.8.39 bestellte das Landgericht Münster einen „Abwickler" aus der Gaustudentenführung zur Liquidierung des Hausvereins. Als dieser nach hinhaltenden Widerstand der BbBb jedoch nicht zum Zuge kam, wurden am 30.3.40 einige Rechtsanwälte aus Köln zu neuen Vollstreckern ernannt. Diese aber hielten sich bedeckt und hatten bis zum Kriegsende nichts veranlasst. Eine Beschlagnahme des Markomannenhauses konnte nie vollzogen werden, weil der bischöfliche Justitiar Bb Dr. Drolshagen geistesgegenwärtig die Grundrechtsakten vor dem Zugriff der NSDAP in Sicherheit gebracht hatte. Im bischöflichen Generalvikariat lagerten sie nach Kriegsende unberührt. Das Vereinsvermögen blieb erhalten, der Hausverein war immer noch als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Und aus den Ruinen konnte neues Vereinsleben entstehen.
Das Bündnis mit den Tuiskonen allerdings hat die Notzeiten nicht überstanden. Denn B. Salzmann, W. Huntgeburth und V. Egen sammelten die BbBb wieder unter der Fahne der Markomannia: Nach der Verordnung der Alliierten vom 15.9.47 zur Wiederherstellung aufgelöster Vereine beschloss eine Mitgliederversammlung unter dem Vorsitz des alten Vorstandes am 25.10.1947 die Wiedergründung zumindest des Hausvereins. Durch einen Vergleich beim Wiedergutmachungsamt am Landgericht Münster wurde das Haus am 12.12.1950 zurückgegeben.
Über ihre persönlichen Erlebnisse in der NS-Herrschaft kursieren unterschiedlichste Geschichten. Als Horst Grenz und Vikor Egen gemeinsam in die zwar streng verbotene, gleichwohl am Gymnasium Paulinum florierende Schülerverbindung „Cerevisia" eintraten, so berichtet H. Grenz, wurden sie mit studentischen Schliff und Comment frühzeitig vertraut: „Nicht ungefährlich war es, wenn wir mit Mütze und Band unsere Kommerse in einem Bootshaus in Handorf an der Werse feierten und in vorgerückter Stunde nach der Melodie „Studentsein, wenn die Veilchen blühen" sangen":
„Student sein, wenn's an Freiheit mangelt, das Joch der Knechtschaft auf uns ruht; / Ein Schurke nach der Herrschaft angelt, in Strömen fließt das rote Blut./ Student sein, wenn die bunten Mützen vor der Gestapo müssen flieh'n; / Ist das in Wahrheit nicht zum Kotzen, Herr lass' den Spuk vorüberziehn."
Dazu ließen wir das aus dem Lehrerzimmer entwendete Hitlerbild „Ein Volk, ein Reich, ein Führer" in Flammen aufgehn." Die individuelle Verantwortung für die Einstellung zur NS-Herrschaft lag auch hier jederzeit bei dem einzelnen. Um ihre berufliche Karriere fortzusetzen, hielten einige es zwar für opportun, die „Blut-und-Boden-Ideologie" zu vertreten, nur wenige aber taten dies aus Überzeugung. Wieder andere arrangierten sich mit den Machthabern wenigstens durch Mitgliedschaft in den SA-Sturmtrupps. Mehr als die Hälfte konnte sich jedoch nach Auskunft der MMs von 1934 dem Zugriff des Systems entziehen. Das ganze Spektrum der Ereignisse, Haltungen und Verhaltensweisen lässt sich aus den Quellen nicht mehr exakt rekonstruieren. Eine Aufarbeitung der NS-Zeit hat nie stattgefunden. In vielen Dingen knüpften die Markomannen an die vorhergehende Zeit der Weimarer Republik wieder an. Sicher ist jedenfalls, dass in dem erlesenen Kreis des von den Alliierten eingesetzten „Parlamentarischen Rates", der die Aufgabe hatte, das Grundgesetz einer neuen Republik auszuarbeiten, mindestens ein Markomanne tätig war, der Verleger Bb Lambert Lensing.
Der Hausverein des KStV Markomannia im „Dritten Reich"
Eberhard Hoffschulte
Wer sich ein wenig mit der Geschichte unserer nun rund 100-jährigen Markomannia befasst, wird in ihr auch die Höhen und Tiefen unseres ausgehenden 20. Jahrhunderts gespiegelt sehen. Das gilt für den Ersten Weltkrieg mit den Opfern, die er auch in unseren Reihen forderte, wie für den Zweiten Weltkrieg mit seiner schier endlosen Totenliste aus unserer Markomannen-Runde. Natürlich hat auch die Nazizeit uns als bekennenden Katholischen Studenten-Verein (KStV) nicht ausgespart. Und ganz maßgeblich wurde unser Verein durch die Möglichkeiten eines eigenen Hauses geprägt, für das im zehnten Jahr des „hoch verehrlichen KStV Markomannia" am 30. April 1911 der Grundstein gelegt worden ist.
Darüber gäbe es viel zu berichten. Nachstehend sollen nur einmal die Fakten zusammengefasst werden, die unseren Hausverein betreffen, mit dem Markomannen-Haus an der Kampstrasse 10 in Münsters Kreuzviertel auf der Nordseite der Altstadt wie auch mit dem Bootshaus in Handorf. Zusätzlich will ich mich beschränken auf die Daten zwischen der „Machtergreifung" der Nationalsozialisten im Jahre 1933 und der Wiederbegründung der Markomannia nach dem Kriege. Zum Schicksal der Markomannia und des Hausvereins ab 1933 sei auch auf den Beitrag von Bb Dr. Franz Lucas (Rheine) hingewiesen, der sich in der Festschrift von 1976 zum 75-jährigen Jubiläum findet (S.43-46). Einigen Aufschluss über das Schicksal der beiden Häuser geben die Unterlagen des Wiedergutmachungsamtes beim Landgericht Münster, die unter dem Aktenzeichen 5 RÜ 129/49 heute beim Staatsarchiv in Münster eingelagert sind. Besonders verdient gemacht hat sich unser Bb Andreas Serries, dem ich herzlich danken möchte dafür, dass er die Akten im Herbst 1999 nicht nur eingesehen, sondern auch entsprechende Auszüge erstellt hat. Ich selbst habe die Akten ebenfalls studiert.
Der Hausverein der Markomannia im Dritten Reich
Im Jahre 1934, also kurz nach dem Beginn des sogenannten „Dritten Reichs", wurde ich von unseren Bundesbrüdern zum Vorsitzenden des Hausvereins gewählt, der Bb Dr. Franz Lucas, Anwalt in Rheine, zum Schatzmeister. So hält es auch das Vereinsregister beim Amtsgericht Münster i. Westfalen unter dem 18. Januar 1934 fest (Blatt 37 der Registerakten): „Gerichtsreferendar Eberhard Hoffschulte in Münster (Vorsitzender), Gerichtsreferendar Franz Lucas in Münster (Schatzmeister)". Mit der „Machtergreifung" 1933 brachte das neue Regime bald Existenzsorgen für katholische Organisationen und Vereine mit sich. Um diesen zu begegnen, vereinigten sich Markomannia und Tuiskonia, die bei häufigem Wechsel der Häuser im Vereinsleben vielfach gemeinsame Wege gegangen sind und sich gut verstanden. Wir machten Kampstraße 10 zu einem „Kameradschaftshaus", wie man das damals nannte. Falls das eines Tages nicht reichen würde, waren vorsorgliche Überlegungen anzustellen. Eine Vermietung des Hauses an den Reichsarbeitsdienst erschien als das geringste Übel.
Da ich durch meinen Beruf in Berlin und anschließend in der Werftverwaltung der Marine in Kiel und dann in Gotenhafen bei Danzig zu weit von Münster entfernt war, übernahm drei Jahre später Bb Georg Spital ab 1937 den Vorsitz. Dementsprechend notiert das Vereinsregister unter dem 31. Dezember 1936: „Anstelle des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds Hoffschulte ist der Augenarzt Dr. med. Georg Spital in Münster als Vorsitzender gewählt". Doch schon bald schlug das Regime der Nationalsozialisten zu, um alle katholischen Verbände zu vernichten oder aber gleichzuschalten: Aufgrund einer Verordnung des Reichspräsidenten Adolf Hitler wurden alle Korporationen aufgelöst. Im Vereinsregister des Amtsgerichts Münster wurde unter Nummer 59 am 17. August 1939 eingetragen: „Der Verein ist durch Erlass des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 20. Juni 1938 aufgrund des § l der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schütze von Volk und Staat vom 28.Februar 1938 (RGBI. l, 83) aufgelöst. Zur Abwicklung ist durch Beschluss des Amtsgerichts vom 17. August 1939 der Dipl. Volkswirt Max Ossig in Münster/Gaustudentenführung bestellt."
Und im gleichen Vereinsregister hält ein Eintrag vom 30. März 1940 fest: „Durch Beschluss des AG wurden an Stelle des Ossig zur Abwicklung bestellt
1.) RA Dr. Hans Eubel,
2.) RA Franz Theissen II,
3.) Treuhänder Dr. Rudolf Maethke,
sämtlich Köln, Hohenzollernring 12, mit der Maßgabe, dass jeder allein vertretungsberechtigt ist." Eine Eintragung im Vereinsregister des Amtsgerichts Münster vom 24. Juli 1948 lautet: „Der Verein ist aufgrund des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 25. Oktober 1947 gemäß der Verordnung vom 15.9.1947 zur Wiederherstellung aufgeführter Vereine wiederhergestellt. Es gilt die frühere Satzung." Die Mitgliederversammlung hatte ergänzend beschlossen, dass dies „unter Vorsitz des alten Vorstandes" geschehe. Das war für B. Lucas und mich dann auch die Legitimation für alles Weitere, was es zu veranlassen galt.
Mit dem Ende der Zeit bei der Marine und als Leiter Werftabwicklung im „Abwicklungsamt für Wehrmachtsvermögen" (der Oberfinanzdirektion Hannover) in Wilhelmshaven kehrte ich 1948 nach Münster zurück und trat in den Dienst der Stadt. So wurde ich auch 1952 gebeten, nach der aus meiner Sicht bedauerlichen Trennung der Markomannia von der Tuiskonia, wieder den Vorsitz unseres Markomannen-Hausvereins zu übernehmen. Ich meinte, Bb Bernhard Salzmann hätte mehr Einflussmöglichkeiten und bat, ihn zu wählen. Salzmann wurde denn auch 1952 gewählt, die Wahl zu seinem Stellvertreter nahm ich an. Bb Salzmann war ja außerdem schon vor dem Krieg und dann wieder ab 1952 unser langjähriger Philistervereins-Vorsitzender bis zu seinem Tod im Jahre 1959. 1959 bis 1965 übernahm ich dann wieder den Vorsitz in unserem Hausverein.
Das Markomannenhaus zwischen Konfiskation und Wiedergutmachung
Seit dem 9. Januar 1936 war - im Hinblick auf die schon damals befürchtete Auflösung der aktiven Korporation - aus den o.g. Überlegungen heraus das Haus Kampstraße 10 an den Reichsarbeitsdienst vermietet für 40.080 RM und gegen die Übernahme allfälliger Schönheitsreparaturen. Von dem bevollmächtigen „Abwickler" RA Franz Theissen II aus Köln wurde das Haus in der Kampstraße 10 am 27. Juni 1941 an den Gau-Studentenführer Karl Hachmann aus Warendorf, dieser in seiner Eigenschaft als Vorstand des „Vereins der Alten Herren (Hausverein) der Kameradschaft Justus Möser zu Münster" für 55.100,- Reichsmark, verkauft. Der Vertrag wurde bei Notar Justus Rohr beurkundet. Zu einer Eintragung im Grundbuch ist es aber nie gekommen. Den Verbleib des Eigentums erläutert nur scheinbar ein Antrag der NSDAP-Reichsleitung in München 33, vom 2. August 1943, mit dem diese beim Finanzamt Münster-Stadt Befreiung von der Grundsteuer „im Auftrage der Grundstückseigentümerin ,,NS-Altherrenbund der Deutschen Studenten, Hochschulring Universität Münster, Altherrenschaft Widukind" beantragt. Zur Begründung heißt es, der Verkauf habe zwar auf den „Verein der Alten Herren (Hausverein) der Kameradschaft Justus Möser zu Münster i. Westf. gelautet. Doch diese habe „sich durch Beschluss der Mitgliederversammlung vom 10. Februar 1943 unter Annahme der Mustersatzung des NS-Altherrenbundes in den NS-Altherrenbund der Deutschen Studenten" eingegliedert, „und zwar unter Änderung des Namens in „NS-Altherrenbund der Deutschen Studenten, Hochschulring Universität Münster, Altherrenschaft Widukind". Der Reichsstudentenführer habe die „Satzung unter dem 16. März 1943 genehmigt, so dass diese Satzungsänderung am 13.4.1943 in das Vereinsregister eingetragen werden konnte".
Hinsichtlich des Inventars der Kampstraße 10 gibt es unterschiedliche Notizen. Einerseits heißt es in einem längeren Schreiben von Bb Dr. Lucas an das Wiedergutmachungsamt (BI. 89 - 93 d.A.), dass das „Inventar von der Gestapo für 8-10.000 RM verschleudert" worden sei. An anderer Stelle (BI. 44 d.A.) schreibt derselbe am 1. Juli 1950, die Gegenstände seien seinerzeit von der Gestapo verkauft worden. „Bekannt ist, dass ein großer Teil von der Abendgesellschaft des Zoologischen Gartens angekauft worden, aber durch Bomben vernichtet ist." Da der Verbleib insgesamt nicht aufzuklären sei, behalte sich der Markomannen-Hausverein den Erstattungsanspruch insoweit vorsorglich vor. Unter Bezug auf einen Art. I Abs. l einer „Allgemeinen Verfügung Nr. 10" stellte Bb Dr. Franz Lucas am 7. Juli 1948 den Antrag auf Rückerstattung des Hauses Kampstraße 10 an die im Monat zuvor „wiederhergestellte" (s.o.) Markomannia. Dabei wurde der Wert des Hauses mit rund 50.000 RM beziffert, der des Inventars auf 12.000 RM. Es kann unterstellt werden, dass diese Wertangaben, wie im notariellen Geschäftsgang üblich, eher zur Feststellung des „Streitwertes" und damit allfälliger Gebühren erfolgt sind. Am 19. Oktober 1948 schrieb Bb Dr. Franz Lucas ergänzend an das Zentralamt für Vermögensverwaltung in Bad Nenndorf „Betr.: Markomannenhausverein e. V. Münster, G/1961: „Bezüglich des Hauses Münster, Kampstr. 10, wird mitgeteilt, dass es einen Einheitswert von 40.900 RM hat. Das Bootshaus an der Werse von Vennemann hat einen Einheitswert, soweit ich mich erinnern kann, von 960 RM. Die Grundstücke sind verloren gegangen durch Zwangsmaßnahmen der Gestapo und das Bootshaus durch Verkauf an den stellvertretenden Gauleiter Stangier. Die Verwaltung des Grundstücks, Kampstraße K) ist bereits wieder in meiner Hand. Die Verwaltung des Bootshauses an der Werse hat ein Treuhänder der Militärregierung inne. Von dem seinerzeit bestellten Liquidator sollte das Haus, Kampstraße 10 verkauft werden. Auf den Kaufpreis ist ein Teil eingezahlt, gegen den mit Mietansprüchen seit dem 1.4.1938 bis zum 1.5.1945 aufgerechnet werden muss. Es wird beantragt, die Sache der Wiedergutmachungsstelle des Oberstadtdirektors in Münster zu übergeben, da unseres Erachtens dieser Wiedergutmachungsfall schnell bereinigt werden kann, zumal da die rechtmäßigen Eigentümer sich bereits wieder in Besitze des Hauses befinden." Noch eine Weile mahlen die Mühlen der Bürokratie: Das Wiedergutmachungsamt vertritt den Standpunkt, der Verein sei durch Erlass vom 20.6.1938 laut Eintragung in das Vereinsregister vom 17.8.1939 aufgelöst und die Güter deshalb in das Vermögen des Reichs übergegangen. Ein vom Vorstand des (wiedererstandenen) Markomannenhausvereins gestellter Antrag auf Rückerstattung reiche deshalb nicht aus, da dieser nicht „Berechtigter" im Sinne des Rückerstattungsgesetzes sei. Berechtigt seien vielmehr die Mitglieder des aufgelösten Vereins und deren Erben. Es bedürfe somit zunächst der Feststellung der seinerzeitigen Mitglieder bzw. deren Erben (!), die von der Anmeldung des Rückübertragungsanspruches zu verständigen seien. Die Rettung kommt mit einem Schreiben vom 13.1.1950 des Oberfinanzpräsidenten Westfalens in Münster, dass von einem Vermögensverfall oder einer Vermögenseinziehung zugunsten des Reiches nichts bekannt sei. Offenbar sei eine Vermögensentziehung („nur") durch die frühere Gestapo erfolgt. Der Oberfinanzpräsident bat, den Regierungspräsidenten (Anm. des Verf: in der Rechtsnachfolge der Polizei) um Abgabe einer Gegenerklärung zu ersuchen. Dieser teilt durch Schreiben vom 20. Januar 1950 mit, dass die Angelegenheit dort nicht bekannt sei. Aber das Wiedergutmachungsamt arbeitet weiter gründlich: In einem erneuten Schreiben an die Oberfinanzdirektion heißt es: Wenn auch das Markomannenhaus im Grundbuch nicht auf das Reich umgeschrieben worden sei, so seien doch Verwaltung und Besitz auf den Preußischen Staat (in Gestalt der Gestapo) übergegangen. (Erst) wenn der Preußische Staat nicht Widerspruch erhebe, sei die Rückgabe des Hauses an den Markomannenhausverein anzuordnen. Immerhin wird jetzt anerkannt, dass der Markomannenhausverein immer noch Eigentümer der Hausbesitzung (geblieben) sei. Die angekündigte Rückerstattungsverfügung könne also nicht das Eigentum betreffen, sondern werde sich darauf beschränken, Besitz und Verwaltung wieder zu übertragen. Dazu müsse aber der Antragsteller noch mitteilen, ob das Grundstück bzw. Haus verpachtet oder vermietet sei, denn auch Pächtern und Mietern sei die Anmeldung des Rückerstattungsanspruchs zuzustellen, damit sie sich dazu binnen zwei Monaten erklären könnten.
Daraufhin meldet Bb Dr. Lucas am 14. Februar 1950 dem Wiedergutmachungsamt, dass das Haus Kampstraße 10 vermietet sei an den Polsterer und Dekorateur Franz Schlattmann, den Kaufmann Wilhelm Brück und den Schreinermeister Johannes Sickmann, alle wohnhaft ebenda. Endlich, am 9. Juni 1950, ist es dann soweit: Das Wiedergutmachungsamt erkennt durch Beschluss zugunsten des Antragstellers, des Markomannenhausvereins e.V. zu Münster und gegenüber dem „Preußischen Staat (Gestapo), Antragsgegner, Bevollmächtigter gemäß Art. 53 R.EG. der Oberfinanzpräsident für Westfalen zu Münster, „...Der Rückerstattungsanspruch ist schlüssig begründet. Der Richtigkeit der zu seiner Begründung vorgebrachten Behauptungen stehen keine Eintragungen in öffentlichen Registern oder öffentlichen Urkunden entgegen. Der Antragsgegner hat deshalb den oben bezeichneten Gegenstand an den Antragsteller zurückzuerstatten (Art. 54 Abs. l REG)."
Ende der Affäre? Mitnichten! Jetzt ist es der Oberfinanzpräsident für Westfalen, der unter dem 20. Juni gegen den Rückerstattungsbeschluss Einspruch erhebt. Seine Ermittlungen seien „noch nicht abgeschlossen". Bb Lucas empörte sich in einer Antwort vom 1. Juli 1950: Das sei nun völlig unverständlich. Es sei doch allgemein bekannt, dass die Gestapo nie einen Kaufpreis gezahlt hat. Die OFD bleibt bei ihrer Argumentation; Dr. Lucas habe doch selbst angegeben, dass das Haus Kampstraße 10 von dem seinerzeit bestellten Liquidator verkauft und ein Teil des Kaufpreises, dessen Höhe nicht angegeben worden sei, eingezahlt worden sei. Und so, als sei der Markomannia nie etwas genommen oder Böses angetan worden, wird zur Begründung des Einspruchs vom OFD-Präsidenten unter dem 8. September nachgeschoben, „eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des Gesetzes Nr. 59 liegt nicht vor. Es handelt sich nur (!) um eine Maßnahme, die der Gleichschaltung und den Zielsetzungen der nationalsozialistischen Hochschulpolitik diente". Die Argumentation hatte einen diabolischen Charme: Wer „nur gleichgeschaltet ist, ist eben von da an Teil des NS-Studentenbundes und muss sich konsequenterweise Kaufpreiszahlungen an diesen entgegenhalten lassen! ... Da machte sich die OFD unbedacht zum späten Vollstrecker der Naziwillkür. Konsequent meldet sie denn auch gleich an: „In Höhe des etwa gezahlten Kaufpreises oder Teilkaufpreises wird hierdurch ein Anspruch für das Reich, das ehemalige Land Preußen oder das treuhänderisch verwaltete Vermögen der vormaligen NSDAP geltend gemacht."
Die rechtliche Lage war also durchaus gefährlich, zumal sich die OFD auf eine Vorentscheidung der Wiedergutmachungskammer Würzburg vom 7. November 1949 und des Oberlandesgerichts München vom 7. Mai 1950 berief. Auf einmal war die Frage wichtig, ob der Hausverein durch die Auflösungsverfügung aufgelöst und somit seine Mitglieder (bzw. deren Erben) nach dem BGB Rechtsnachfolger von Ansprüchen waren, oder ob mit der Markomannia gleichermaßen auch der (rechtlich getrennte) Hausverein in den NS-Studentenbund überführt war, ebenso die Frage, ob der alte Hausverein wieder aufgelebt (mit den Rechten und Ansprüchen des Vereins vor der „Auflösung") oder aber mit dem Wiederaufleben ein neuer Verein gegeben war. Bb Dr. F. Lucas hielt tapfer dagegen: In einem Schreiben vom 20. Oktober 1950 argumentierte er, die Auflösungsverfügung oder ein Beschlagnahmebescheid sei nie zugestellt worden, könne also auch nicht Rechtskraft erhalten haben. Die Anordnung der Gestapo zur Selbstauflösung mit dem Ziel der Überführung des Vermögens „für studentische Zwecke im Rahmen der Aufgaben des Reichsstudentenführers" sei den Mitgliedern schon deshalb verwehrt gewesen, weil nach ihrer eigenen Satzung das Vermögen im Falle der Auflösung des Vereins (automatisch) an die zur Zeit der Auflösung vorhandenen Mitglieder des Vereins fallen sollte etc.. Deswegen habe der damalige (Vorkriegs-) Vorstand des Vereins es auch abgelehnt, der Aufforderung nachzukommen und das Vermögen dem Reichsstudentenwerk zur Verfügung zu stellen und zugleich sein Amt niedergelegt. Dem daraufhin von der Gestapo ernannten Abwickler Max Ossig, den das Gericht auch zum Liquidator ernannt hatte, machte Bb Rechtsanwalt Lucas bewusst das Leben schwer, wie er 1950 in seinem Schreiben an die Wiedergutmachungskammer berichtete:
Ossig konnte die Abwicklung nicht vornehmen, da ihm Bb. Lucas beharrlich die Herausgabe sämtlicher Unterlagen verweigerte. Er schreibt u.a. "Am 9.2.1940 wandte sich der Sonderbeauftragte der Reichsstudentenführung, Dr. Laaff, der anstelle des Herrn Ossig mit der Liquidation betraut worden war ... an die Mitglieder des Markomannenhausvereins und forderte sie auf, ihren Anspruch an dem Vermögen des Vereins dem Reichsstudentenwerk zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Rundschreiben ergibt sich eindeutig, dass das Vermögen des Markomannenhausvereins e.V. weder eingezogen noch dem Reich für verfallen erklärt, noch auf den Preußischen Staat übergegangen ist. Dieses Schreiben ist von den ... Vereinsmitgliedern entweder ablehnend oder überhaupt nicht beantwortet worden. Zum Liquidator wurde dann Herr Rechtsanwalt Theissen in Köln ernannt, der jedoch auch die Liquidation nicht durchgeführt hat, sondern dem Unterzeichneten (Anm.: Dr. Lucas) 1946 übertrug. Der Verein ist dann wieder aufgelebt und die Liquidation nie durchgeführt (worden).Der Unterzeichner hat noch festgestellt, dass der seinerzeit beauftragte Liquidator, Herr RA Theissen II in Köln, das Markomannenhaus an den Verein der Alten Herren (Hausverein der Kameradschaft Justus Möser) 1941 verkauft hatte. Die Umschreibung ist jedoch nicht erfolgt, da der Kaufpreis nicht gezahlt ist. Von der Anzahlung ist lediglich eine Hypothek zurückgezahlt, die jedoch noch nicht gelöscht ist. Dieser Betrag ist von dem Markomannenhausverein gegen die Miete des Käufers, der von 1940 bis 1945 das Haus bewohnt hat, ohne einen Mietzins zu zahlen, aufgerechnet." Am 15. November 1950 kommt es dann zu einer Sitzung der „Wiedergutmachungskammer" beim Landgericht Münster, wo über den Einspruch der OFD zu verhandeln ist. Unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Dr. Pösentrup wird ein Vergleich geschlossen, der die Markomannia letztendlich in ihre Rechte einsetzt. Zusammen mit dem Rechtsanwalt Dr. Lukas erscheint „für den Antragsteller, den Markomannenhausverein e.V. in Münster der Verfasser als „der Vorsitzende des Hausvereins Stadtrechtsrat Hoffschulte", (fälschlich so im Protokoll, obwohl ich nur Stellvertretender Vorsitzender war), und für die OFD Westfalen Assessor Helmuth Pape aus Münster. Der Vergleich lautet, nachdem die OFD offensichtlich ein Einsehen hatte:
„1) Der Vertreter der Oberfinanzdirektion erklärt, daß das Haus Münster/W., Kampstraße 10, niemals in der Verwaltung und dem Besitz der Oberfinanzdirektion bzw. des Oberfinanzpräsidenten gestanden und daß auch für die Zukunft keine Ansprüche geltend gemacht werden.
2) Die Vertreter des Antragstellers sehen damit den geltend gemachten Rückerstattungsanspruch betr. des Hauses Münster/W., Kampstr. 10 als erledigt an.
3) Ass. Pape erklärt, dass der Einspruch der Oberfinanzdirektion als erledigt anzusehen ist.
4) Beide Parteien sind damit einverstanden, daß die Sperre über das Haus Münster/W. Kampstr. 10 alsbald aufgehoben und
daß der bisherige Treuhänder abberufen werde." So tritt fünfeinhalb Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft der Katholische Studentenverein Markomannia bzw. sein Hausverein e.V. wieder in die alten Rechte ein und kann das Haus endlich auch wieder seinen ursprünglich angestrebten Zwecken zuführen als Heimstadt der Verbindung und Haus unserer Treffen, Feste und Wohnung einer kleinen Schar unserer Mitglieder. Ende gut - alles gut? Nicht so für die Oberfinanzdirektion Münster. Sie machte am 11. Juni 1953 an das Wiedergutmachungsamt Münster „außer der Erstattung des Kaufpreises für das Reich noch eine angemessene Verzinsung des Kaufpreises geltend.", hatte aber am 7. Juli 1951 selbst zu erkennen gegeben, dass ihr „Unterlagen, aus denen sich ergibt, wie hoch der vereinbarte Kaufpreis war und an wen und in welcher Höhe Zahlungen auf den Kaufpreis geleistet worden sind, ... hier nicht vorhanden (sind). Derartige Unterlagen sind aber zweifelsfrei bei dem Antragsteller vorhanden." Und natürlich hielt sich die OFD erneut an die Markomannia: „Ich beantrage daher, den Rechtsanwalt und Notar Dr. Julius Rohr ... und den damaligen Kassierer des Markomannenhausvereins zu der Angelegenheit eidlich zu vernehmen." Was den Letzteren betraf, galt offenbar immer noch die Devise „Das Opfer ist der Täter", so, als sei er je Empfänger von Kaufpreiszahlungen gewesen.
Immerhin hatte Notar Dr. J. Rohr unter dem 24. Juli 1951 dem Wiedergutmachungsamt mitgeteilt, dass an ihn am 26. April 1944 25.000 RM überwiesen worden waren, wovon er unter Einbeziehung seiner Notariatsgebühren in Höhe von 2.098,05 insgesamt 14.321,05 RM ausgegeben habe, vor allem zur Tilgung von Hypothekenschulden. Der Rest befand sich 1951 noch auf einem Notaranderkonto bei der Kreissparkasse Münster, freilich in der inzwischen abgewerteten Reichsmark... So kam es am 6. Februar 1952 zu einer erneuten Vergleichsverhandlung beim Wiedergutmachungsamt, die sich auf die Geldforderungen hinsichtlich des ominösen Kaufpreises wie auch die aus ihm getilgten Grundschulden konzentrierte. Der Bestand des Notaranderkontos ging an den Staat, vertreten durch die OFD. Die erforderliche Umstellung (von 10.678,95 RM auf die inzwischen eingeführten DM) blieb seine/ihre Sache. Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Rückerstattungsverfahren wurden als erledigt angesehen. Die Hypothekenbriefe der Kreissparkasse Burgsteinfurt (11.843,56 F.G.M) und Kreissparkasse Münster (6.000 F.G.M.) für die seinerzeit aus den Kaufpreis-Teilzahlungen getilgten Schulden gingen an die Markomannia zwecks Löschung im Grundbuch, da alle „den Hypotheken zugrundeliegenden Schuldforderungen am 15.5.1944 getilgt worden sind."
Das Bootshaus an der Werse in Handorf
Auch um den Besitz bzw. die Rückgabe unseres Bootshauses an der Werse bei der Garten-Gastwirtschaft Vennemann in Handorf mussten wir nach dem Kriege lange kämpfen: Der Grund und Boden, auf dem in Handorf unser Bootshaus steht, war Eigentum der Geschwister Vennemann und blieb dies auch während der Nazizeit. Als Pachtpreis findet sich in den Akten des Zentralamtes für Vermögensverwaltung 1949 die Mitteilung von Bb Lucas, dass dieser seit 1923 88,- DM jährlich betrage. Das Bootshaus in Handorf verkaufte der Abwickler Ossig an den stellvertretenden Gauleiter und Staatsrat Stangier, der es weiter verkaufte an den Kunstmaler Wilhelm Böckeier aus Münster, Kappenberger Damm 168a. Seine Anschrift wird in den Akten des Wiedergutmachungsamtes am 29.9.1949 mit Vohren bei Warendorf/Westf angegeben. Nach dem Krieg taucht der Name des Gastwirts Hans Meurer, Pleistermühle, St. Mauritz bei Münster, als Besitzer auf, der mitteilt, das Bootshaus sei von der Gestapo beschlagnahmt worden und das Vermögen auf den Gauleiter Stellvertreter übergegangen, der das Haus vom Deutschen Studentenring erworben habe. Gemeint war vermutlich der „Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" (NSDStB). Ein Schreiben der Stadtverwaltung Münster vom 16.12.1948 hält jedoch fest, der Gastwirt sei nicht der Eigentümer, sondern sei der von der Britischen Militärregierung eingesetzte Treuhänder. Ein Jahr später hält Bb Lucas in einem Schreiben vom 22.12.1949 dagegen, nicht Meurer, sondern er selbst sei von der Militärregierung als Treuhänder für das Bootshaus eingesetzt. Eigentümer sei Herr Böckeier, der es von Stangier gekauft habe. Die Wiedergutmachungsakte enthält Anträge auf Rückerstattung auch dieses Vermögens der Markomannia unter dem 7. Juli 1948. Nach diesen Unterlagen wurde der Wert auf 2.000 RM geschätzt, das Inventar mit l .500 RM.
In dem oben erwähnten Einspruch des OFD-Präsidenten vom 20. Juni 1950 wurde hinsichtlich des Bootshauses auch der Rückerstattung entgegengehalten, dass insbesondere die Frage nicht geklärt sei, inwieweit seinerzeit ein Kaufpreis gezahlt worden sei - ganz so, als habe die Gestapo je für derartige Beschlagnahmen einen „Kaufpreis" gezahlt. Da ging wohl etwas durcheinander, oder wollte der Rechtsnachfolger des „Dritten Reiches" etwa Zahlungen des „Nacherwerbers" durch den Stellvertretenden Gauleiter an den NS-Studentenbund nunmehr der Markomannia entgegenhalten? Bb Lucas stellte denn auch postwendend unter dem Juli 1950 klar: Dem HV sei sein Bootshaus durch die Gestapo entzogen, die es durch den Beauftragten Ossig dem NS-Studentenbund zur Verfügung gestellt habe. Mit der Begründung, dafür keine Verwendung zu haben, habe dieser das Bootshaus an den Stellvertretenden Gauleiter und Staatsrat Stangier verkauft, und über den Kaufpreis sei der Markomannia nichts bekannt. Wie denn auch?! Mit Schreiben vom 21. Oktober 1950 beantragte Bb Dr. Lucas dann beim Wiedergutmachungsamt in der Rückerstattungssache des HV gegen Böckeier die Anberaumung eines „Sühnetermins". Er hob hervor, die Auflösung des HV und die Beschlagnahme des Vermögens seien keinesfalls nur Maßnahmen, die nur der Gleichschaltung der nationalsozialistischen Hochschulpolitik gedient hätten, sondern „eine Verfolgungmaßnahme aus Gründen der Religion" gewesen. „Die Mitglieder des Markomannenhausvereins setzten sich nur aus Katholiken zusammen, die es grundsätzlich ablehnten, sich den Maßnahmen des Reichsstudentenführers und der NS-Altherrenschaft zu unterwerfen und ihr Vermögen dem Reichsstudentenwerk zur Verfügung zu stellen". Zugleich bot Dr. Lucas an, dem Rückerstattungspflichtigen, dem derzeitigen Besitzer Böckeier, „für seine Auslagen eine angemessene Entschädigung" zu zahlen.
In der Tat hatte Böckeier ganz erhebliche Aufwendungen und Investitionen nachweisen können. Das Bootshaus befand sich, glaubt man den Ausführungen seines Anwalts in einem Schreiben an das Wiedergutmachungsamt vom 17. Juni 1950, zum Zeitpunkt des „Kaufes" im Jahr 1942 in „äußerst verwahrlostem Zustand. Türen und Fenster waren von Dieben erbrochen. Außerdem neigte (sich) das Bootshaus der Werse zu, so dass es zunächst durch den Einbau neuer Stempel gestützt werden musste, um die weitere Gefahr eines Absackens in die Werse abzuwenden. Weiterhin mussten Türen und Fenster erneuert werden, um das Haus vor weiteren Einbrüchen zu sichern.... (Es wurden) ein Steingarten angelegt und Treppenstufen in dem abfallenden Gelände eingebaut... und Ufer befestigt." Eine „Kosten-Aufstellung für den Bootshausumbau" in Handorf (Blatt 40 der Wiedergutmachungsakte) endet mit einem Betrag über 4.186,72 DM. In dieser Höhe beantragte der Kunstmaler Böckeier (neben dem Antrag auf Ablehnung der Rückerstattung der Besitzung an die Markomannia) hilfsweise Ausgleich für die gemachten Aufwendungen.
Die Wiedergutmachungsakte vermerkt unter dem 23. Januar 1951 (BI. 64 d. A.) die Vergleichsbereitschaft des Rechtsanwaltes Dr. Rohr, dass sein Mandant zu einem Kompromiss bereit sei, und dasselbe erklärt auch Bb Dr. Lukas für den Hausverein. So kam es, gut zwei Monate nach dem Vergleich hinsichtlich des Markomannenhauses, auch zu dem beantragten Gütetermin: Der Kunstmaler Wilhelm Böckeier gab das Bootshaus schließlich in einem „Sühnetermin" am 19. Februar 1951 vor dem Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Münster gegen eine Abfindung von 800,- DM zurück an den Hausverein, nunmehr wieder vertreten durch Hoffschulte und Dr. Lucas, so auch in dem Termin. Penibel hält das Protokoll vom 19. Februar 1951 fest: „Die Erschienenen Hoffschulte und Dr. Lukas erklärten: In der vorletzten Generalversammlung des Vereins ist anstelle von Dr. Spital der Erschienene Hoffschulte zum Vorsitzenden des Vereins gewählt worden. Die Eintragung in das Vereinsregister ist jedoch noch nicht erfolgt. Die Erschienenen schlössen sodann zur Erledigung des von dem Antragsteller gegen den Antragsgegner anhängigen Rückerstattungsverfahrens folgenden Vergleich:
§1 Der Antragsgegner gibt das vorerwähnte Bootshaus an den Antragsteller zurück. Der Antragsteller zahlt zur Abfindung des Anspruchs dem Antragsgegner 800 DM, und zwar 400 DM bis zum 1. März 1951 und den Rest bis zum 1. September 1951. Die zur Zeit noch vorhandenen Nutzungen erhält der Antragsteller. Hiermit sind sämtliche beiderseitigen Ansprüche erledigt.
§2 Der Antragsteller tritt seinen Erstattungsanspruch gegen das Reich, den Bund oder das Land wegen des vom Antragsgegner gezahlten Kaufpreises an den Antragsgegner ab. Er behält sich jedoch den Erstattungsanspruch wegen der Boote und des übrigen Inventars, das vom Antragsgegner nicht übernommen worden ist, vor.
§3 Die Erschienenen sind damit einverstanden, daß die bezüglich des Bootshauses schon vor der bestehenden Sperre, sowie der Treuhänderschaft sofort, also nach Durchführung dieses Vergleichs, aufgehoben werde. Sie beantragen, die Aufhebung zu veranlassen."
Offenbar bedurfte ein solcher Vergleich damals noch der ausdrücklichen Genehmigung durch die Wiedergutmachungskammer des Landgerichts. Sie wurde unter Bezug auf Art. 7 des Rückerstattungsgesetzes in der Fassung der Verordnung Nr. 205 der Militärregierung am 28. Februar 1951 erteilt.
Aktivenzeit in den 50ger Jahren
von Heiner Arning
Das Bild eines Alten Herren von seiner Markomannia ist entscheidend durch seine Aktivenzeit geprägt. Was hier aus der Aktivenzeit eines Markomannen berichtet wird, der der Verbindung jetzt 44 Jahre angehört, mag manchen jungen Bundesbruder zu einem Vergleich mit der heutigen Markomannia veranlassen und ihm vielleicht zeigen, was das Veränderliche und was das Bleibende an der Markomannia ist.
Meine Aktivenzeit, die die zehn Semester vom SS 1957 bis zum WS 1961/62 umfasst, stand weitgehend noch im Zeichen eines blühenden Comments alter Prägung. Jedes Semester begann mit einer Semesterantrittskneipe und endete mit einer Semesterabschlusskneipe. Im WS kam dazu mindestens eine Fuchsen- oder Freundschaftskneipe. Die Kommerse zum Stiftungsfest und zum Philisterfest gab es damals wie heute. (Trotzdem wurde bei der Markomannia seit 1957/58 über die Abschaffung der Kneipen diskutiert, wir haben aber damals nichts besseres gefunden) Das Gerüst der Semesterprogramme war gleich: Antrittskneipe -Antrittsgottesdienst im Hohen Dom - Gästeabend - Tanztee -Vorträge - Messe für die Verstorbenen - Stiftungsfest (im Sommer) bzw. Philisterfest (im Winter) - Fahrt ins Blaue (im Sommer) bzw. Damenrevanche (im Winter) - mindestens eine Besichtigungsfahrt (Brauerei - Bundeswehr - Bergwerk) - im Sommer stets als Höhepunkt die Heggetage, im Winter das Karnevalsfest -Abschlusskneipe - Abschlussgottesdienst im Hohen Dom. Dazu kamen die Konvente, für die Füchse die wöchentlich (!) vom Fuchsmajor abgehaltenen Fuchsenstunden und die monatlich morgens um 7 Uhr (!!) im Marianum stattfindenden, vom Studentenpfarrer geleiteten religiösen Fuchsenstunden.
Dieses Gerüst wurde je nach Phantasie des Seniors durch weitere Veranstaltungen ergänzt. Wenn man die Semesterprogramme meiner Aktivenzeit auswertet, kommt man pro Semester im Durchschnitt auf 6 - 8 Veranstaltungen, die dem Prinzip „religio" zugeordnet werden können, 5-7, die zu „scientia" gehören. Die übrigen Veranstaltungen dienten der „amicitia", die praktisch als Hauptprinzip galt. An grundsätzliche politische, insbesondere parteipolitische Auseinandersetzungen kann ich mich nicht erinnern. Wir waren Antikommunisten und mit der Adenauer-Regierung im Großen und Ganzen zufrieden.
Auf die Einhaltung der in Münster gesellschaftlich geltenden Formen wurde auch im Punkt „religio" geachtet; man schwamm im katholischen Milieu, aus dem ja nahezu alle Bundesbrüder kamen. Auf Einhaltung der Etikette wurde auch bei der Kleidung geachtet. Zu Tanzfesten hatte jeder Bundesbruder mit Hemd und Krawatte und in vollständigem Anzug zu erscheinen. Als ich im SS 1957 als krasser Fuchs zu einem Maitanztee in kurzärmeligem offenem Hemd auftauchte, handelte ich mir eine Rüge vor dem AC ein. Auch auf den Konventen konnte legere Kleidung sich nur allmählich durchsetzen. Tempora mutantur et nos mutamur in illis!
Apropos Tanzfeste: Der Damenflor (d.s. die Damen, die vom Damensenior regelmäßig zu allen Festen eingeladen wurden) wurde von Damensenior und Damensenorita streng gehütet. Wer ein Fest mit einer bestimmten Dame zu feiern wünschte, musste sich dieserhalb an den Damensenior mit der Bitte wenden, ihm besagte Dame für dieses Fest zuzuteilen. Etwa vierzehn Tage vor einem Fest hing am Schwarzen Brett in der Kellerkneipe eine Liste, aus der jeder Bundesbruder entnehmen konnte, welche Dame er zu diesem Fest abzuholen hatte. Falls er sie noch nicht kannte, machte er einige Tage vor dem Fest einen Antrittsbesuch. Wenn auch gestandene Burschen und natürlich Inaktive erfolgreich beim Damensenior darum bitten konnten, mit der von ihnen bevorzugten Dame feiern zu dürfen, so hatten Füchse doch kaum eine Wahl. Diese - den Damen des Damenflors bekannte - Methode hatte den Vorteil, dass es bei den Festen so gut wie keine „Pärchenwirtschaft" gab und kaum jemand ständig mit derselben Dame tanzte. Das war der Feststimmung durchaus förderlich! Hatte ein Bundesbruder, der sich mit seiner „femina cordis" einig geworden war, den Wunsch, von nun an jedes Fest mit ihr zu feiern, so war ihm das nur nach Abgabe der sogenannten „Erklärung" vor dem BC gestattet. Unter Punkt „Verschiedenes" stand er auf dem BC auf und erklärte wörtlich: „Ich bitte, von jetzt an alle Feste mit Fräulein NN feiern zu dürfen, da ich mich in absehbarer Zeit mit ihr zu verloben gedenke". Er durfte dann.
Klagen über mangelnde Aktivität der Bundesbrüder und Bitten an die Alten Herren, doch öfter auf dem Haus zu erscheinen, gab es auch 1957 schon. Dem Chronisten kommt es aber so vor, als ob sich damals kaum ein Bundesbruder - wenn er nicht examenshalber beurlaubt war - mit Studienbelastung erfolgreich entschuldigen konnte. Wer zu hochoffiziellen oder offiziellen Veranstaltungen als aktiver Bursche oder als Fuchs nicht kam, zahlte 5 DM bzw. 2 DM Strafe. Und man fand - wenn auch zuweilen mit erheblicher Mühe - immer genügend viele Bundesbrüder, die am Bootshaus oder im Garten des Hauses erforderliche Arbeiten verrichteten oder zu den Veranstaltungen die Räume des Hauses herrichteten. Dann und wann wurde ein Bundesbruder wegen Inaktivität aus dem Verein entlassen, manche Bundesbrüder erfüllten so eben gerade noch die Pflichten, die die Satzung (die übrigens im SS 1959 neu gefasst wurde) von ihnen verlangte. Eine aktive „Kerntruppe", die man an vielen Abenden besonders in jenen Jahren im „Nordstern", der damals noch kein „Hähnchenparadies" war, treffen konnte, bleibt in der Erinnerung die aktive Markomannia. Fast alle, die dazugehörten, haben pünktlich gute Examina abgelegt!
Die Jahre 1958-1961 sind die Jahre des (2.) Markomannenquartetts. Herbert Pröpper, Max Kevenhörster, Adolf Spieske und Knut Wening waren mit ihren zu Schlagermelodien selbst getexteten Glossen zu Ereignissen aus dem Vereinsleben der Höhepunkt jedes Stiftungsfestballs und des nächsttägigen Frühschoppens. Ihre Lieder wurden noch Wochen nach dem Fest von den Bundesbrüdern gesungen, besonders intensiv spät in der Nacht und nach reichlichem Alkoholgenuss „auf der Giftbude" (so hieß das kleine Zimmer auf dem Treppenabsatz gegenüber der Garderobe. Bei aller Würdigung ihrer Nachfolger meine ich, dass dieses Quartett bisher nicht wieder erreicht oder gar übertroffen worden ist.
Die Zimmer des Hauses waren meiner Erinnerung nach in diesen Jahren stets voll belegt, und zwar die meisten als Doppelzimmer. Damen durften nach der - gewöhnlich - auch eingehaltenen Hausordnung nicht „auf die Etage". Mehrere Bundesbrüder haben bis zum erfolgreichen Abschluss ihres Studiums auf dem Haus gewohnt, ohne den Anfechtungen der Kellerkneipe stets widerstehen zu müssen. Einzelne Ereignisse meiner Aktivenzeit haben sich in meine Erinnerung besonders tief eingegraben. Das gilt besonders für die Heggetage, zu denen die Markomannia seit 1956 jährlich an Fronleichnam aufbrach. Bei den Spaziergängen rund um die Hegge und abends im „Türkenkeller" kam man sich in wenigen Tagen persönlich viel näher als sonst in Semestern. Manche Freundschaften sind in diesen Tagen geschlossen worden.
Adolf Spieske war unser Fuchsmajor. In meiner Erinnerung sind aus diesem Semester mehrere Fuchsenbummel zu „Mutter Löffken" (= Hof zur Linde, damals noch kein vornehmes Speiserestaurant, sondern eine normale, gemütliche Landkneipe) nach Handorf haften geblieben. Nachts zogen wir per pedes und alkoholschwer von Handorf aufs Haus. Dabei entdeckten wir einmal, aus Handorf zurückgekommen, dass das Bett unseres lieben Bb Tom Tietze noch unberührt war. Wir hielten das nicht für richtig und legten ein vor dem Haus abgestelltes, schmutziges Fahrrad (Herrenfahrrad!), nachdem wir es etwas mühsam die Treppen hinaufgetragen hatten, in Toms Bett und deckten es ordentlich zu. Als Tom Tietze später (nicht mehr ganz nüchtern) ins Bett steigen wollte und die Bescherung entdeckte, wurden durch den vulkanischen Wutausbruch, der der Entdeckung folgte („Wenn ich nicht schlafen kann, soll hier keiner schlafen!"), alle Hausbewohner aus dem Schlaf geweckt. Und dabei hatten wir es so gut gemeint!
Im Januar 1958 wurde aus einem ganz inoffiziellen Treffen in der Kellerkneipe die legendär gewordene und vom Markomannenquartett besungene Geisterkneipe. Gegen Mitternacht bekleideten die leicht angetrunkenen Bundesbrüder, u.a. Fofo Meyer, Adolf Spieske, Roderich Egen, Tom Tietze, Jürgen Hopmann, Klaus Weber und der Chronist, sich mit Bademänteln und Bettlaken und zogen psalmodierend und Kerzen tragend in einer Geisterprozession um die Kreuzkirche. Anschließend wurde in der Kellerkneipe der Altvordern (maiores) in Reden und Liedern und mit Trinksprüchen gedacht. Das Ende der Veranstaltung liegt im Dunkeln! Im Februar 1958 erlebte ich zum ersten, aber nicht zum letzten Mal die langen Nächte und Tage des Markomannenkarnevals: Am Samstagabend Karnevalsfest auf dem Haus, nachdem die Räume zwei Wochen lang Abend für Abend geschmückt worden waren. Am Sonntagabend - wieder bis in den späten Morgen - Neuauflage des Festes. Am Rosenmontag um 13 Uhr Sammeln bei Pinkus Müller, Abnahme des Rosenmontagszuges am Rosenplatz und Polonaise über den „Liebeshügel" zum Haus. Dort drittes Fest. Am Dienstagabend stille Feier der leicht erschöpften Krieger auf dem Haus bis Mitternacht.
Das SS 1959 erscheint mir rückblickend als mein schönstes Semester. Der Sommer war lang und heiss. Fast jeden Nachmittag verbrachten viele Bundesbrüder am Bootshaus. Man schwamm in der Werse (es kommt mir so vor, als sei sie damals noch sauberer gewesen), lag im Liegestuhl auf dem Bootssteg und paddelte so gegen 16 Uhr mit der Pünte zu Vennemann oder bis zu „Mutter Löffken", um einige Krüge Bier zu sich zu nehmen. Häufig wurde der Nachmittag stufenlos in den Abend übergeleitet, der auf dem Haus oder bei Pinkus Müller begann und irgendwann im „Nordstern" oder noch später in der „Giftbude" auf dem Haus endete. Ich sehe noch Herbert Pröpper in dem kleinen, schlecht belüfteten Raum Gitarre spielen, während die Corona irgendwo saß oder lag und mitsang. Diese Abende in der „Giftbude" haben außerordentlich gemeinschaftsfördernd gewirkt.
Für die heutigen Aktiven klingt es vermutlich fast unglaubhaft, wenn ich berichte, dass erst auf dem Konvent des Stiftungsfestes im SS 1959 der Duz-Komment innerhalb der Markomannia zwischen Aktiven und AHAH eingeführt wurde. Bis dahin wurden die AHAH von den Aktiven gesiezt. Aus dem WS 1960/61 erinnere ich mich besonders vieler Examensfeiern. Die Juristen, die in Hamm ihr Referendarexamen bestanden hatten, wurden feierlich vom Hauptbahnhof abgeholt. Auf dem Bahnsteig wurden sie mit einem Lied begrüßt und dann auf den Schultern von Bundesbrüdern auf den Bahnhofsvorplatz getragen, wo ein zweirädriger Karren stand, auf dem ein Chargensessel, geschmückt mit unserer Fahne, befestigt war. Auf diesem Sessel sitzend wurde der frisch Examinierte über die Bahnhofstraße, die Salzstraße und den Spiekerhof zum Haus gefahren. Unterwegs wurde er am Lambertibrunnen von einem Bundesbruder zum Referendar getauft. Die begleitenden Bundesbrüder stärkten sich unterwegs, nach und zwischen kräftigen Gesängen, aus einem Kasten Bier, der ebenfalls auf dem Karren stand. Auf dem Haus war in der Kellerkneipe bereits ein Fass Bier vorbereitet, das nach Ankunft der Corona von „Tonne" Hartmann, unserem Faxen, angestochen wurde.
Das Sommersemester 1961 stand im Zeichen unseres Jubiläumsstiftungsfestes anlässlich des 60jährigen Bestehens Markomanniae. Nach dem Festkommers im Zwei-Löwen-Klub traf man sich im immer kleiner werdenden Kreise. Die ganz Unentwegten fanden sich morgens um 7.30 Uhr in der Küche des Hauses wieder, wo bei Spiegeleiern die letzten Kräfte mobilisiert wurden. Dann musste man aber doch ins Bett gehen, weil um 10 Uhr bereits der Gedenkgottesdienst für die gefallenen und verstorbenen Bundesbrüder in der Kapelle der Hildegardisschule angesetzt war. Nicht alle haben es leider bis dahin geschafft. Am Samstagmittag fand ein gemeinsames Mittagessen in der „Kaiser-Friedrich-Halle" am Alten Fischmarkt (heute eine Diskothek) statt. Zum Festball am Samstagabend war der Saal des Zwei-Löwen-Klubs so besetzt, dass es sehr eng wurde. Am Sonntag, nach Gottesdienst, Frühschoppen und Nachmittag am Bootshaus, besuchte die Markomannia abends das Zimmertheater (heute Wolfgang-Borchert-Theater), in dem für uns eine Sondervorstellung der Komödie „Der Mustergatte" stattfand. Im Anschluss an die Vorstellung wurde auf dem Haus noch getanzt. Am Montag ging der Exbummel wieder zum Bootshaus und von dort abends zu Pröbsting, wo dann das Jubiläumsfest endgültig beschlossen wurde.
In der Markomannia gab es 1957 noch einen gemischten Chor, der regelmäßig probte und gelegentlich Abende für die Bundesbrüder musikalisch gestaltete. Nachdem sein Leiter, Bb Konrad Keller, Münster verlassen hatte, hauchte der Chor leider seinen Geist aus. Damals gab es noch kein Studentenparlament, sondern nur den AStA, der Exekutive und Legislative zugleich war und von den Studenten gewählt wurde. Die Mehrheit seiner Mitglieder bestand aus katholischen Korporationsstudenten, die sich im Katholischen Hochschulring (KHR) zusammengeschlossen hatten. Im SS 1957 wurde unser Bb Adolf Spieske als Vertreter der Vorkliniker der Medizinischen Fakultät in den AStA gewählt.
Im WS 1957/58 rezipierten wir zum ersten Mal in der Geschichte Markomanniae einen Ausländer als Fuchsen, unseren Bb Marijan Stanisic, der aus Kroatien kam. Während seines Medizinstudiums beteiligte er sich stets aktiv am Vereinsleben. Heute lebt er als Arzt in Sankt Gallen in der Schweiz. Im SS 1957 wurde das Institut der „Brandung" der Füchse eingeführt, das inzwischen wieder aufgegeben wurde. Am Ende des ersten Fuchsensemesters wurde dem Jungfuchsen nach Erörterung auf dem BC die Meinung des BC über ihn durch den Senior vorgetragen; anschließend äußerte er sich dazu. Durch Abstimmung des BC musste er anschließend gebrandet werden. Dadurch sollten Neumitglieder, die nicht zu uns passten, frühzeitig - nämlich schon im ersten Semester - ohne Schwierigkeiten wieder entlassen werden können. Im WS 1961/62, mit dem meine Aktivenzeit endete, war ich als Referendar Fuchsmajor mit einem Fuchsenstall von 10 Füchsen. Meine Aktivenzeit steht in meiner Erinnerung in goldenem Licht. Ich bin glücklich, diese Semester erlebt und während dieser Zeit manche Freunde gefunden zu haben.
Vielleicht interessiert insbesondere die jüngeren Bundesbrüder zum Schluss noch eine kleine Statistik über Aufnahmen von Füchsen und Kartellbrüdern sowie die Größe der Aktivitas während der von mir geschilderten Zeit. Hier ist sie:
Semester
Füchse
Kartellbrüder
Bestand der Aktivitas
1957
7
5
78
1957/58
1
1
?
1958
10
5
?
1958/59
1
5
85
1959
8
4
91
1959/60
1
87
1960
11
?
1960/61
2
2
77
1961
10
5
80
Die 60er Jahre im Spiegel der Konventsprotokolle und Markomannenmitteilungen
von Thomas Wilke
Beatles, Flower-Power, Woodstock, der Schah-Besuch, das Attentat auf Rudi Dutschke und ähnliche große Ereignisse oder Personen gehören zu den Dingen, die die 60er-Jahre geprägt haben (zumindest in der Rückschau). Wie gerne hätten wir Nachgeborene diese Zeiten bewusst miterlebt und mitgestaltet, oder war doch vielleicht alles gar nicht so großartig und bewegend? Anhand der Konventsprotokolle aus den Jahren 1964 („Help!") bis 1968 („The Beatles" oder das „Weiße Album") versucht unsere Studie zu klären, ob und wie sich diese Ereignisse in der Markomannia niedergeschlagen haben.
Die Ergebnisse sind überwiegend erheiternd bis ernüchternd, eine wirkliche Studentenrevolte hat hier nicht stattgefunden oder hat zumindest keinerlei Eingang in das protokollierte Geschehen der Konvente bis zum Februar 1968 gefunden. Im Juni 1967 (massive Unruhen anläßlich des Schah-Besuchs; der Student Benno Ohnsorg wird am 2.6.1967 im Rahmen der Demonstrationen in Berlin von der Polizei erschossen) flackert kurz ein Fünkchen politisches Interesse auf:
7.6.1967: „TOP 8: Vom Convent wurde beschlossen, eine Gegenstellungnahme in Bezug auf die Unruhen und Demonstrationen der Studentenschaft in die Zeitung zu setzen. Die BbBb a, b und c wurden beauftragt, diesen Artikel auszuarbeiten und einzureichen.
Was aus diesem Artikel geworden ist, wie sein Tenor war und ob er tatsächlich veröffentlicht wurde, lässt sich den Protokollen nicht entnehmen, die Angelegenheit geht im Konventseinerlei von Burschungen, freundschaftlichen und weniger freundschaftlichen Entlassungen unter.
Teilweise ist es ergreifend, wie wenig sich eigentlich im bundesbrüderlichen und insbesondere auch im weniger bundesbrüderlichen Verhalten untereinander in all den Jahren verändert hat. Aus dem erfolglosen Versuch, den Ausbruch der wilden 60er Jahre in der Markomannia aus den Konventsprotokollen zu rekonstruieren, wurde so eine Sammlung von Stilblüten aus der Zeit des Schwanengesanges auf das Verbindungsleben alten Stils. Mit dem letzten Protokoll des Dechargekonventes vom 13.2.1968 brechen die Konventsprotokolle plötzlich ab. Nach den Aussagen Überlebender wurde die Aktivitas dann doch noch von dem Geist revolutionärer Veränderungen ergriffen, er hat in der Folge auch den vermeintlichen Zopf des Protokollieren vorübergehend abgeschnitten. Schade, so kann man seinem Chronisten das Leben schwer machen. Wir hoffen aber, Zeugen aus dieser Phase noch an anderer Stelle zum Sprechen zu bringen!
Einige Ereignisse der Jahre 1967 und 1968 seien als allgemeiner Rahmen zur groben Orientierung genannt:
Juni 1967: Der persische Schah Reza Pahlevi besucht die Bundesrepublik, massive Unruhen und Straßenkrawalle in Berlin mit massivem Polizeieinsatz
11.4.1968: Attentat auf Rudi Dutschke
30.5.1968: Die Notstandsgesetze werden vom Bundestag angenommen
27.7.1968: Verkündung der Enzyklika „Humanae vitae" durch Papst Paul VI
27.8.1968: Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR, Absetzung von Dubcek und Ende des Prager Frühling
8.11.1969: Nixon wird Präsident der USA
Doch zurück den Ereignissen des Vereinslebens, wie sie sich in den Protokollen und Markomannen-Mitteilungen aus dieser Zeit widerspiegeln. Hervorzuheben ist die enorme Personalstärke auf den Konventen, hierzu einige Beispiele, untermalt von einer sehr schönen und großzügigen Angewohnheit eines prominenten AH, die auch heute noch zur Nachahmung empfohlen wird:
24. 6.1964: anwesend: 34 Burschen und 3 AHAH.
Zu Beginn dankte die Aktivitas AH Viktor Egen für das gestiftete Fass Bier.
6. 7.1964: anwesend: 46 Burschen
5. 2. 1965: anwesend 53 Burschen, 2 AHAH!
Der eifrige Besuch der Konvente vollzieht sich vor dem Hintergrund einer starken Aktivitas: Laut Markomannen-Mitteilungen ist der Stand der Aktivitas zum 30.6.1965:
Füchse 04
Burschen 17
Inaktive i.l 23
Inaktive e.l. 45
Gesamt: 89
Zunächst einmal beeindruckt die Kleiderordnung zum Konvent, wenn sich auch schon in den frühen 60er-Jahren zaghaft erste Proteste dagegen regen, die aber prompt abgeschmettert werden:
29.5.1964: Auf Antrag von... wurde der BC für drei Minuten unterbrochen, um einigen BbBb Gelegenheit zu geben, ihre Kleidung zu vervollständigen.
14.7.1964: Der Antrag von ..., die Pflicht, beim Konvent einen Schlips zu tragen, solle abgeschafft werden, wurde mit 22 Gegenstimmen abgelehnt. Das Thema ist damit offenbar erledigt und taucht fortan nicht mehr auf. -
Interessant für uns Nachgeborene ist auch der steinige Weg in den Verein: Der Bewerber erklärte nicht etwa einfach seinen Eintritt, sondern er wurde vom Konvent aufgefordert, einen Antrag auf Aufnahme in den Verein zu stellen. Beeindruckend auch die Tatsache, dass man zeitweise überhaupt keine Notwendigkeit sah, Keilarbeit zu betreiben:
24.6.1964: „Der FM stellte den Antrag, Herrn stud. theol N.N. und Herrn Sch. auffordern zu dürfen, einen Antrag auf Rezeption zu stellen."
20.11.1964: "e) Die Keilung von Füchsen im WS 64/65 wird als nicht nötig abgelehnt."
Nicht minder schwierig ist der Weg aus der Aktivitas, gemeint ist hier der einzig empfehlenswerte Weg, nämlich der der Philistrierung:
14.7.1964: „Auf Anfrage von AH H. A. an Bb ..., ob in absehbarer Zeit mit seiner Philistrierung zu rechnen sei, gab ... die überraschende Antwort, dass das Gesuch um Philistrierung bereits geschrieben sei und dem Philistervorstand in den nächsten Stunden zugehen werde.
Der in den letzten Stunden trotz Biersperre recht turbulente BC endete um 1:20 Uhr." Ein leidiges Problem: Die Damenliste. Leider finden sich hier auch nicht nur positive Aspekte. So heißt es am 5.11.1964: :::„Verlesung der Damenliste. In der Diskussion wird bemängelt, dass viele Damen schon zu lange bei uns seien und vorgeschlagen, die Damenliste künftig am Ende des Semesters zu diskutieren." Und am Dechargekonvent vom 17.7.1967 werden folgende Grundsätze eingeschärft:
„2. Verteilung der Damen: Für die Damenverteilung wurden vom Convent zwei Grundsätze genannt:
Die Damen des engeren Flors müssten den jüngeren BbBb zur Verfügung stehen
Die älteren BbBb müssten sich um die neueren Damen kümmern.
Auf dem Convent sei von einigen die Meinung vertreten worden, dass die Durchführung dieser Grundsätze nicht gelungen sei. Ausserdem seien Damen, die schon außerhalb des Flors waren, wieder auf die Damenliste gesetzt worden. Während der Feste seien Damen getauscht worden."Der Damenflor wurde übrigens vermutlich im Verlauf der Jahre 1967 oder 1968 offiziell zu Grabe getragen und hinterließ die Damen in einer „unbefriedigenden Zwitterstellung im Verein (MM 139 Halbjahr, S. 5). Ein selbstverständlich unhaltbarer Zustand. So wurden schon im WS 1969/70 „Geist und Sinn eines Damenflors ohne die alte Form" wiederbelebt. „Unter der klugen Führung unserer lieben Damenseniorita N.N. -der an dieser Stelle unser aufrichtigster Dank gilt - haben die „Eisernen 13" (welch schöner Kosename!) das Verbindungsleben wesentlich mitgestaltet, geprägt und bereichert. Sie waren gewissermaßen ein lebendiger Bestandteil und nicht nur ein notwendiger Annex des Vereins." Aber eben auch nur gewissermaßen, diese Sprache ist verräterisch!
Der amüsierte Blick fällt auf folgendes Zitat vom 5.2.1965: „Verschiedenes: Gustav Hansmann fahndet nach weiteren Hausbewohnern für die leer stehenden Buden." Bestimmte Dinge bleiben offenbar durch die Jahrzehnte immer die gleichen:
17.5.1965: „VV Hannover: Der AH Viktor Egen berichtet über die anliegenden Fragen der VV. Wichtigster Punkt ist die Aufnahme von Nichtkatholiken in den KV." Im Westen nichts Neues.
24.5.1965: „Der Senior rügt die hohen Schulden der BbBb bei Frau Hartmann."
14.6.1965: „Der Senior kritisiert negative Äußerungen der Bundesbrüder über den Verein sowie Trunkenheit bei Gästeveranstaltungen.":::
Im Rahmen von Rezeptionen, Brandungen und Entlastungen finden sich immer wieder sehr persönliche Äußerungen, die natürlich eine Nennung von Namen hier unmöglich machen. Im Verlauf einer „Brandung" (§6) heisst es über Fuchs A: „Zwar hat er es aufgrund seines Studiums und einer Verletzung nicht leicht gehabt, doch wird ihm empfohlen, auch bei inoffiziellen Veranstaltungen und in den Semesterferien Interesse am Verein zu zeigen. A wies daraufhin, dass ihn auch das Geigespielen sehr viel Zeit koste." Über Fuchs B: „Seine lässige, fast schnodderige Art bedarf einer festen Führung. Sobald er in dieser Weise angesprochen wird, zeigt er sich durchaus positiv. B wünscht sich eine konstruktive Kritik im bundesbrüderlichen persönlichen Gespräch." Über Fuchs C: „Kritisiert wurde sein etwas großspuriges Auftreten (Reserveleutnant) und sein zu geringes Interesse an i.o. Veranstaltungen. Er solle auch mal bei kleineren Sachen mit anfassen. Positiv wurde vermerkt, dass er keine Betriebsnudel sei, sondern seine Kraft zielstrebig einsetze und sich auch selbst konkrete Gedanken mache. C kritisierte, dass man sich allgemein zu wenig um die Gäste gekümmert habe."
Bis heute Mitglied im Verein ist von diesen drei klinisch getesteten Kandidaten lediglich der „großspurige Reserveleutnant"! Am 16.2.1966 kommt es zu einer Entlastung des Hauswartes: „... wurde einstimmig ohne Enthaltung entlastet und per accl. wiedergewählt. Doch wurde ihm folgende Mahnung mit auf den Weg gegeben. Es sei erwiesen, dass er die Damen beim Tanz geradezu unmäßig schwäche. Außerdem scheine es ihm schwer zu fallen, den schmalen Pfad zwischen Sättigung und Verfressenheit zu gehen, weshalb er zum „Gröfraz" = größter Fresser aller Zeiten gekürt wurde." Letztere Passage wurde laut BC vom 5.6.1965 getilgt, jedoch nicht unleserlich gemacht. Kommentar: „Der Konvent tastete zwar den Wahrheitsgehalt dieser Vorwürfe nicht an, fand sie aber an der gemachten Stelle unpassend und stimmte der Tilgung zu."
Es finden sich außerdem zahlreiche direkte und indirekte Andeutungen auf Intrigen, Streitereien und Zerwürfnisse in der Aktivitas, deren genaue Hintergründe sich aber aus den Protokollen nicht mehr erschließen lassen. (In den Protokollen nicht erwähnt wird beispielsweise ein Streit um die Frage, wer ein guter Bb sei, und wie man es mit den gesellschaftspolitischen Aktivitäten hielte; es kam sogar zu einer Sezession auf dem CC, s.u.! Anm. d. Red.) Leider hat der Protokollant die wirklich interessanten Punkte meistens weggelassen, vermutlich weil sie zum Zeitpunkt des Protokolls jedermann noch unmittelbar vor Augen waren. Uns leider nicht mehr! So schließen wir das Konventsbuch mit dem klassischen Kommentar des unermüdlichen Forschers: „We are as confused as before, but on a higher level."
Enttäuscht wandte sich der Chronist nun in der Hoffnung auf weitere Auskünfte den Markomannen-Mitteilungen zu, und zunächst bot sich hier in den Ausgaben der 60er Jahre das gleiche Bild: Business as usual, Berichte von Heggetagungen, Stiftungs- und Philisterfesten, Markomannenrallyes, die Markomannenchronik und Nekrologe auf verstorbene BbBb, eigentlich so, wie wir diese verdiente Zeitschrift auch heute kennen. Auf den zweiten Blick fällt eine kleine Besonderheit auf: Von 1965 bis 1969 fehlt das obligatorische Hirtenwort des Philisterseniors, die MM beginnen jeweils mit einem Grußwort des Aktivenseniors. Erst nach den Unruhen von 1968 wird das Grußwort des AHx wieder fester Bestandteil der MM. Vielleicht hatte man doch das Gefühl, der Aktivitas zu viel Freiheit eingeräumt und sich als Philisterium zu weit zurückgenommen zu haben.
Ohne Vorwarnung bricht im Band über das 135. Halbjahr vom 15.6.1968 urplötzlich eine von vielen Seiten geführte Debatte über die Misere und die Zukunft des Vereines los. Ursache waren offenbar hitzige Diskussionen auf dem CC zum Stiftungsfest. In der Hitze der Diskussion geht dabei teilweise das Gefühl für Grammatik und Satzzusammenhänge verloren, was jedoch nichts an der Bedeutung der Frage ändert: „Da unsere jetzige Organisation also weder von der Sache zu rechtfertigen ist, noch vom Ziel unseres Vereins verlangt wird, noch natur- oder von Gott gewollt ist, mit anderen Worten, dass diese Organisation nicht selbstverständlich ist, so sehen wir doch einmal von ihr ab und fragen uns, wie ein Verein heute eigentlich aussehen müsste." (MM 135. Halbjahr S. 9) Ein weiterer aktiver Bundesbruder klagt: „Jedoch vor 4-5 Semestern hat sich spätestens gezeigt, und das muss einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass mit der Auffassung der Verbindung als eine Art gesellschaftlichen Clubs kaum noch junge Leute, Abiturienten, angesprochen werden können.... was nutzt es, wenn wir z. B. einen ausländischen Kommilitonen einladen zum Besuch einer Verbindung, die in Konventionen und Vereinsparagraphen erstarrt ist und dem Gast nichts bieten kann an freier, geistiger Auseinandersetzung." (ebd., S. 6-7) Wenig später wird vom gleichen Autor die Chance der Jugend beschworen: „Ich glaube, die Erfahrungen der jüngsten Zeit haben gelehrt, dass auch die Jugend mit ihrem manchmal allerdings auch über das Ziel hinaus schießenden Idealismus durchaus Recht hat und auch tatsächlich etwas Besseres auf die Beine stellen kann. Ich weiß sehr wohl, und wir alle wissen es, dass wir später auf manches Ideal, manchen Wunschtraum werden verzichten müssen. Leider, leider, dass unsere Flügel in der Gesellschaft unter Umständen erheblich beschnitten werden. Warum aber hindert man uns daran, jetzt, wo wir die Möglichkeit noch besitzen, in unserer Gemeinschaft Gleichgesinnter unseren Idealen und Zielen möglichst nahe zu kommen. Liebe AHAH, denkt einmal zurück an Eure Jugend, was wolltet Ihr damals alles erreichen, wie weit flogen Eure Gedanken?... Zwängt uns keine Konventionen auf, die für uns wirklich nicht von Bedeutung und Wichtigkeit sind und die Ihr vielleicht selber manchmal nur allzu gerne sprengen wollt." (ebd., S. 7)
Mit dem Jahr 1968 endet die Zeit des zweimaligen Erscheinens der MM, die nächste Ausgabe vom Oktober 1969 gibt sich etwas ruhiger. Im Vordergrund der Diskussion steht jetzt die Entscheidung des CC vom 17.5.1969, nur katholische Christen als Vollmitglieder aufzunehmen. Dieser Antrag wurde offenbar von den anwesenden Aktiven fast geschlossen abgelehnt, vom CC insgesamt jedoch angenommen. Eine Diskussion über die grundsätzliche Verfassung des Vereins findet zumindest in den MM fortan kein Sprachrohr mehr. Dafür wird die Vereinsordnung geändert:
1. Der Fuchsenstatus ist als solcher abgeschafft (Probezeit von 2-6 Monaten, dann Aussprache)
2. Abschaffung der Titel "Fuchs" und "Bursch"
3. Abschaffung des Inaktivenstatus
4. Vereinfachung des Ausschlussverfahrens
1972 gelangen die MM nicht zur Druckreife, im Wintersemester 1972/73 wird erstmals seit vier Semestern wieder eine Festkneipe zum Philisterfest geschlagen. „Der Einzug der Chargen, ein Lied zu Beginn und der Ablauf des Kneipcomment ließen jedoch bald die Meinung entstehen, dass hier etwas ablief, dessen Übertreibung zu vermeiden, dessen Institution jedoch von Wert war." (MM 145. Halbjahr S. 7). Gut gebrüllt, Löwe!
Ein ebenso denkwürdiges Ereignis fällt ebenfalls in das Jahr 1972: Am 21. Oktober wird die neue Kellerkneipe eingeweiht. Im Wintersemester 1973/74 gibt es erstmals keinen Aktivenvorstand, sondern „ein aus der Not geborenes Gremium von etwa einem Dutzend Markomannen meist höheren Semesters" (MM 148. Halbjahr S. 9, -> Elferrat). Im SS 1974 amtiert dann wieder ein Vorstand gewohnter Art. Die MM sind längst in ihr angestammtes Fahrwasser zurückgekehrt, berichten über den üblichen Jahreskreis der Veranstaltungen und überbringen wie gewohnt die Botschaft des Philisterseniors, dass selten zuvor die Lage so ernst gewesen sei wie heute.
l976 übernimmt Dr. Viktor Egen das Amt des Philisterseniors von Heinrich Austermann, der diese Aufgabe seit 1962 innehatte und fortan als Ehrenphilistersenior fungiert. Am 28.4.1977 wird Frau Hartmann die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Es ist schön, dass solche Ehrungen tatsächlich auch Menschen zuteil werden können, die sie tatsächlich verdient haben. ve 1978 tritt der Verfasser in die Markomannia ein ohne zu ahnen, auf was er sich da eingelassen hat. Möge dieses Werk dem einen oder anderen wiedererwachende Erinnerungen an selbst Miterlebtes oder Appetit auf weiteres Forschen in vorhandenen Dokumenten bescheren oder einfach nur etwas Freude beim Lesen bereiten.
Studentenbewegung
von Hans-Ulrich Völger
Wie ist es in den Semestern, als die Außerparlamentarische Opposition (APO), die 68er, an den Universitäten ihr Unwesen trieb, in der Markomannia zugegangen?
Als Student habe ich in den besagten Zeiten gelernt - und das war eine Forderung der 68er und für manche Fächern neu - dass man zu Beginn einer Abhandlung Voraussetzungen und Methoden offen zu legen hat. Und so will ich denn vorsichtshalber anmerken, dass die Zustände und Ereignisse, über die ich berichte, sich über den Zeitraum meiner Aktiven- und Inaktivenzeit, also von SS 1964 bis SS 1970, erstrecken. Ferner werde ich mich zwar um Objektivität bemühen, bin mir aber bewusst, dass ich der Forderung des grossen Historikers Leopold von Ranke („Ich wünschte mein Selbst gleichsam auszulöschen und nur die Dinge reden ... zu lassen.") weder nachkommen kann noch will. Abgesehen davon, dass Ranke sein selbst gestecktes Ziel auch nicht erreicht hat, dürfte der Bericht eines Zeitzeugen ohne Perspektivität und Wertung sehr trocken ausfallen; es würde ihm das nötige Kolorit fehlen. Da die Zeit, über die ich berichten möchte, schon gut eine Generation zurückliegt (die Kinder der damaligen Studenten sind bereits selbst wieder Studentinnen und Studenten), will ich zunächst einmal zu erläutern versuchen, was damals anders war in Universität, Studium und den Formen des Zusammenlebens, damit anschließend deutlich wird, welchen Einbruch die APO-Jahre bedeuteten.
Im Vergleich zu heute legte bis zur Mitte der Sechzigerjahre ein nur geringer Prozentsatz der Schüler das Abitur ab und studierte danach an einer Hochschule. Hatte sich das öffentliche Interesse nach 1945 vorwiegend auf den Aufbau der Wirtschaft konzentriert, war eine Reform der weiterführenden Schulen, vor allem der Ausbau und die Demokratisierung der Universitäten unterblieben. Für uns Studenten bedeutete dies, dass in der Universität die Ordinarien ziemlich uneingeschränkt und häufig recht willkürlich herrschten, wobei die Interessen der Studierenden nur wenig Berücksichtigung fanden. Das schlug sich u.a. darin nieder, dass kaum brauchbare Anstrengungen existierten, die Studiengänge zu entrümpeln, durch sinnvolle Studienordnungen die de facto ausufernde Studiendauer zu verkürzen, die Lehrveranstaltungen effektiv zu gestalten. Für einen unbeschwert sich des Lebens freuenden Studenten, wenn er nicht gerade ein Fach erwischt hatte, in dem es strenger zuging, hatten die Eigenschaften der alten Ordinarienuniversität allerdings durchaus auch angenehme Seiten. Man besaß recht viel Spielraum hinsichtlich der Reihenfolge und Anzahl der Lehrveranstaltungen. Es war also nicht tragisch, wenn man sich zwischendurch ein paar Tage Pause gönnte und über den Zapfen haute, z. B. den Verlockungen des Bootshauses, des Kanalübergangs, KÜ genannt (denn öffentliche Bäder gab es in Münster damals wenige) oder der Kellerkneipe etwas heftiger nachgab. Auf Grund der weniger verschulten Studiengänge war es ferner möglich und üblich, häufiger den Studienort zu wechseln. Wie man aus den Nachrufen der AHAH entnehmen kann, waren drei Studienorte während eines Studiums nicht selten. So kam man im Kartellverband herum, Doppelphilistrierungen waren üblich, und es gab typische Verflechtungen zwischen bestimmten Kartellvereinen, z. B. gingen viele Markomannen, wenn sie in Freiburg studierten, in die Brisgovia und umgekehrt. Wer es sich leisten konnte, legte auch wohl ein Feriensemester ein, das vornehmlich der Kultur und/oder dem Skifahren (München, Innsbruck, Wien) gewidmet war.
All dies trug sicherlich (auch) dazu bei, über den regionalen Tellerrand zu schauen. Solche Ortswechsel gingen damals allerdings noch nicht - mit Ausnahme Österreichs - über die nationalen Grenzen hinaus. Schüler- und Studentenaustausche mit dem europäischen Ausland oder Übersee kamen erst allmählich in Gang. Hier wirkten noch Vorbehalte des Auslands gegenüber der deutschen Vergangenheit nach. Außerdem spielten auch wohl auf Grund der noch weit verbreiteten altsprachlichen Gymnasialbildung mangelnde Neusprachenkenntnisse eine Rolle. Zwei weitere Aspekte müssen noch erwähnt werden, um das Bild abzurunden: Umgangsformen und Wohnkultur. Es herrschte damals eine Reihe ungeschriebener (in Benimm-Büchern allerdings dargestellter) Gesetze der Höflichkeit und des Benehmens. Unter Fremden bzw. gegenüber älteren und gesellschaftlich ranghöheren Personen pflegte man sich förmlicher, steifer zu benehmen als heute. Man könnte dies an einem Vergleich verdeutlichen. Während man heute (zugegeben plakativ) von der Disco-Jugend spricht und damit gleichzeitig Verhaltens- und Begegnungsweisen bezeichnet, würde unsere Generation damals wohl eher durch den Begriff Gesellschaftstanz charakterisiert worden sein, wenn es auch hier und da schon bedenkliche Aufweichungserscheinungen gab, wie unsere Altvorderen anzumerken pflegten. Ein plastisches Bild, wie es bei Tanzfesten der Markomannia zuging, gibt Heiner Arning (s. o.). Der dort beschriebene Comment galt mit einigen Erleichterungen bis zum Ende der von mir beschriebenen Zeitspanne. Dies schloss ein, dass man zu den offiziellen Kneipen im schwarzen Anzug mit silbernem Binder und auf den Konventen ebenfalls mit Krawatte zu erscheinen hatte. Dieselbe Kleiderordnung galt bei der Ablegung mündlicher Staatsexamina und dergleichen. Die Kommilitonen, so redete der Professor sein Auditorium an, pflegten sich zu Siezen, solange sie nicht Freundschaft getrunken hatten. Dasselbe galt für Gäste, bis sie rezipiert waren.
Da Zimmer in Studentenheimen nur schwer zu ergattern waren und z.T. noch zu zweit bewohnt wurden, lebte die überwiegende Anzahl der Studentinnen und Studenten wie zurzeit der Feuerzangenbowle auf einer Bude; das waren mehr oder minder hässlich möblierte Zimmer in einer geschlossenen Wohnung, also inmitten des Familienlebens des jeweiligen Vermieters. Am Badezimmer hatte man folglich nur Mitbenutzungsrechte, wenn sie sich nicht gar auf ein Waschbecken (in Glücksfällen mit Warmwasser) auf der Bude beschränkten. Selig, wer einen Zweiplattenkocher anschließen durfte. Damenbesuch war zumeist nicht gestattet oder unterlag bisweilen kuriosen Restriktionen, was stets eine unerschöpfliche Quelle von Querelen, Rauswürfen und wuchernden Anekdoten war. Da fühlten wir Bewohner der Etage auf dem Markomannenhaus uns als die Könige. Wir waren nicht dem Lebensrhythmus einer Wirtsfamilie oder den Schrullen einer ältlichen Vermieterin ausgesetzt, besaßen - damals ein richtiger Luxus! - ein Bad mit mehreren Duschkabinen, in denen man ungestraft singen durfte. Was besagte es da schon, wenn der Bundesbruder nebenan ohne Ankündigung plötzlich den Warmwasserhahn abdrehte und die marode Gastherme als Antwort darauf glühend heißes Wasser verströmte oder ein anderer, dem der Gesang nicht gefiel, einen Eimer eiskaltes Wasser in die Kabine goss? Und dann gab es noch eine große Küche, in der man nach Herzenslust frühstücken oder kochen konnte. Manch einer hatte zwar zum Leidwesen des Hauswartes und unserer geduldigen Hausmeisterin, Frau Hartmann, Probleme, die Begriffe Kochkunst und Sauwirtschaft trennscharf zu definieren sowie bei den Lebensmittelvorräten Mein und Dein zu unterscheiden. Dieser Umstand und die Tatsache, dass in regelmäßigen Abstände Horden von Zechern aus der Kellerkneipe um Mitternacht in die Küche einfielen, die Vorratsschränke plünderten, um sich an fremden Spiegeleiern zu vergehen, warf allerdings Schatten auf die Idylle und führte dazu, dass wir unsere Eiervorräte mittels Filzschreiber mit unserem Namenszug versahen, was uns in die Lage versetzte, auch hartnäckig oder frech leugnenden Missetätern die corpora delicti in Gestalt der gekennzeichneten Eierschalen unter die Nase zu halten und zur Restitution zu zwingen. Kurz: Wir waren also schon eine richtige WG, auch wenn man den Ausdruck noch nicht kannte.
Nun könnte mancher jetzt vielleicht zu dem Schluss kommen, dass die vorstehenden Zeilen die Beschreibung einer bukolischen Idylle und der Abgesang auf das goldenen Zeitalter sei, das in den Folgejahren durch die wilden Horden der Revolution in der Versenkung verschwand, oder - sagen wir es jenen Zeiten angepasster - auf den Müllhaufen der Geschichte befördert wurde. Bemühen wir lieber eine andere inzwischen historisch gewordene Figur, den legendären, zeitweilig auf dem Markommenhaus lehrenden Repetitor Alpmann mit einem seiner Standardsätze: Lehrstuhlverdächtig! - Könnte man meinen; hier aber nicht! - womit er zweifellos Recht hatte. Und das hat etwas mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu tun, was nachstehend näher erklärt werden soll.
Die innenpolitischen Ereignisse der Jahre 1967 ff. will ich hier nicht referieren, weil sie inzwischen in allen Schulgeschichtsbüchern verzeichnet sind. Ich erinnere nur an die Stichworte Schah-Besuch in Berlin, Tod des Studenten Benno Ohnesorg; Mordversuch am Studentenführer Rudi Dutschke, Ausschreitungen zu Ostern 1968, unter anderem gegen Gebäude des Springer-Konzerns; Proteste gegen die Notstandsgesetzgebung. Diese Schlüsselwörter bezeichnen Ereignisse, die man der innenpolitischen Großwetterlage zuordnen muss. Sie geschahen in Großstädten wie Berlin, Hamburg, München. In Münster dagegen erlebten wir nur die Ausläufer dieser Beben. Zwar gab es aufgeregte Vollversammlungen, in denen zum Sturm auf die bürgerlich-kapitalistischen Festungen geblasen wurde. Anlässlich einer Demonstration gegen die Notstandsgesetze bewegte sich auch wohl ein größerer Zug durch die Stadt, der nicht nur aus Studenten bestand; im Wesentlichen aber fand die Revolution im Saale, sprich Hörsaale, statt. Nach meinen Beobachtungen beschränkten sich die Protestereignisse weitestgehend auf den inneruniversitären Raum. (Erst in späteren Jahren - ab ca. 1972 - griffen diese Formen des Protestes und des Aufbegehrens auch auf münstersche Gymnasien über.) Denn die Verbundenheit mit den werktätigen Massen, obwohl gebetsmühlenartig im Munde geführt, war ein aus der marxistischen Theorie übernommenes Dogma, keineswegs aber gelebte oder erlebte Praxis. Überhaupt war es bei den Speerspitzen der Revolution, also dem SDS (Sozialistischen deutschen Studentenbund) und den Splittergruppen der Kommunistischen Partei (en) sowie den naiven Mitläufern aus der Studentenschaft mit Realitätssinn und Bodenhaftung eher schlecht bestellt: Die gesellschaftliche Wirklichkeit fand bei dieser Klientel in den Büchern statt. Man glaubte, weil man in einigen Universitätsinstituten für Aufruhr gesorgt hatte, die Weltrevolution sei nahe.
Ein bezeichnendes Schlaglicht wirft folgendes Erlebnis: Aus der oberen Etage des einmal wieder besetzten Fürstenberghauses hingen eines Nachmittags Transparente des Inhalts, dass Münster nunmehr sozialistisch sei. Offensichtlich glaubten die Akteure nur zu gern daran. Dabei konnten sie von ihrem Fenster, wenn ihr von Euphorie umflorter Blick das zugelassen hätte, auf das Rathaus blicken, in dem die schwarze Mehrheit fest im Sattel saß, während der starke Alltags- und Geschäftsverkehr, ohne von dem Transparent Notiz zu nehmen, um Domplatz und Fürstenberghaus brandete. Trotz und wegen dieser Fehl- und Selbstüberschätzung herrschte vor allem in den Philologien, den Geschichts- und Sozialwissenschaften ein ziemlicher Wirbel. Als Historiker drängt sich mir die Parallele zur Revolution von 1848 auf. Wie damals die alten Regenten in den deutschen Partikularstaaten ohne Widerstand nachgaben, knickten Ende der Sechzigerjahre die Professoren erstaunlich rasch ein, standen hilflos den neuen Verhaltensformen des Studentenprotestes und den Forderungen nach Entmachtung und Mitbestimmung gegenüber. So wurden durch Sit-ins Seminare und Vorlesungen gesprengt, Institute besetzt, Farbeier geworfen, Wasserschläuche zweckentfremdet und jedem beständig Diskussionen aufgezwungen. Zeitweilig geriet der Studienbetrieb bedenklich ins Wanken, und man musste befürchten, dass einige Dekane zur Notbremse greifen -wie dies andernorts geschehen war - und die Institute schließen würden. In diesen Jahren begann sich das Fürstenberghaus in ein schmuddeliges Altpapierlager zu verwandeln. Jeder heftete Wandzeitungen an oder überklebte ältere Exemplare, bis sich die zu dick gewordene Lage von den Wänden schälte, um sich auf dem Boden sanft zur Ruhe zu legen. Jeder, der etwas zu sagen hatte, verteilte Flugblätter, die jetzt „Papers" hießen. Wer die Mensa am Aasee aufsuchte - eine andere gab es noch nicht -, trat eine Art Spießrutenlauf durch ein Spalier paperverteilender Personen an, sodass man - da sich jede Gruppierung gerne langatmig explizierte, die Essensausgabe stets mit einem dicken Stapel hektographierter Zettel erreichte. Wer inner- und außerhalb der Universität verkehrte und die Augen offenhielt, musste sich als Wanderer zwischen zwei Welten vorkommen, die wenig gemein hatten und die sich mit gänzlichem Unverständnis betrachteten.
Damit erhellt sich auch das oben erwähnte Paradoxon von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Zu welcher der beiden Welten die Markomannia gehörte, dürfte nicht schwer zu erraten sein. Gewiss nicht zu der der Revolution, wenn man von dem soeben dargestellten Gegensatz, revolutionäre Studenten gegen den Rest Münsters, ausgeht. Die APO hatte die BbBb, obwohl sie allesamt Studenten waren, nicht zu ihren Gefolgsleuten gemacht. Nicht dass die Zeit spurlos an ihnen vorüber gegangen wäre. Sie waren aber ebenso Reagierende auf das, was sich abspielte, wie andere Bürger in Münster und darüber hinaus auch, die über die Ereignisse diskutierten, z. T. den Kopf schüttelten, z. T. sich aber dichter an den Ereignissen und den sie vorantreibenden Personen befanden und deswegen einiges differenzierter sahen, es sogar erklären konnten, wenn sie es auch nicht billigten. Dafür standen sie teils bewusst, teils aus der Selbstverständlichkeit ihres Herkommens auf einem anderen weltanschaulichen Fundament. Ferner war allein schon das Gros der Studienrichtungen und Berufsziele gegenüber Utopien zu fest geerdet und praxisverbunden. Von daher war man, je nach Person, mehr oder minder stark aufgeschlossen gegenüber Reformen. An das Heil aus der Revolution aber glaubte man nicht. Mochten die Markomannen aus der Sicht eines wesensfesten SDS-Genossen ein Hort des Klerikalfaschismus sein (der Faschismus-Vorwurf wurde allenthalben gegenüber denen erhoben, die abweichender Meinungen waren), so besassen sie bei veränderter Brennweite durchaus fortschrittliche Elemente. Eine Verbindung, die in diesen Zeiten nicht nur überleben wollte, sondern der dies ziemlich mühelos gelang, mußte eine Reihe von Positiva aufweisen.
Ihrem Ursprung nach leiten sich die katholischen Studentenverbindungen aus den Zeiten des unangefochtenen Milieukatholizismus her. Dieser pflegte seine Mitglieder nach einem ständischen Gesellschaftsmodell zu gliedern und in entsprechenden Verbänden zu organisieren. Hierbei griff man auf in der jeweiligen Zeit beliebte Verbandsmodelle und Ideen zurück. Im Bereich der Studenten und Akademiker war die Studentenverbindung die seit dem 19. Jahrhundert unangefochtene Form der Vereinigung, die folgerichtig den Zielen des Verbandskatholizismus gemäß umgestaltet wurde. Zwar war das Verbindungswesen durch das Dritte Reich - dieses war im Gegensatz zur Weimarer Republik der eigentliche Liquidator der kaiserzeitlichen Gesellschaftsstrukturen - in seinem studentischen Flügel zunächst zerstört worden. Zwölf Jahre waren jedoch zu kurz, um auch die AHAH-Verbände auslöschen zu können, so daß es nach dem Krieg im Zuge restaurativer Tendenzen in Gesellschaft und Universität zu einer kräftigen Wiederbelebung des Verbindungswesens kam. Allerdings konnte der frühere Ausschließlichkeitsanspruch, allein die Studentenschaft zu organisieren und zu vertreten, nicht mehr aufrechterhalten werden.
Zu Ende der 60er Jahre vollzog sich ein zunehmender Wandel, in dessen Sog die katholischen Verbindungen auf zweierlei Weise -als Verbindungen und als katholische Verbände - gerieten. Der selbstverständliche Drang, als junger Student einer Verbindung beizutreten, ließ nach. Gleichzeitig ergriff eine weitere Tendenz zur Säkularisierung die Gesellschaft. Das, was sich heute vollendet hat, das Absterben des Milieukatholizismus, schritt beschleunigt voran. Die Bindekraft von Großorganisationen ließ auch im katholischen Raum deutlich gegenüber einem Zug zur Individualisierung und der Pluralität von Lebensstilen nach. So war es nicht mehr selbstverständlich wie in der Generation davor, dass junge Katholiken sich für kirchliche Ziele in katholischen Verbänden sammelten. Diese Tendenzen wurden durch den Wandel der Kirche im Vaticanum II in eben diesen Jahren unterstützt. Die religiös und theologisch interessierte Jugend - man denke nur an die Fülle der Laientheologen an der renommierten und für ihre Modernität weithin bekannten Münsteraner Fakultät - entwickelte ein neues Religions- und Kirchenverständnis, das sich von dem der hierarchisch regierten, uniformen und auf die Durchsetzung kirchlichen Einflusses ausgerichteten Verbände des alten politischen Katholizismus entfernte. Als ein Beispiel sei hier die Liturgiereform aufgeführt, die in der rührigen Studentengemeinde schon vor ihrer Einführung in den Gemeinden teilweise vorweggenommen worden war. Die alte Zweiteilung zwischen Altarraum und Gemeinde der Laien, was z. B. vor der Liturgiereform dadurch zum Ausdruck kam, dass der Priester die Messe auf Latein feierte, während ein Vorbeter im Kirchenschiff dies übersetzte und mit der Gemeinde betete, sollte endgültig aufgehoben, der Gläubige unmittelbar angesprochen und einbezogen werden. Zu diesen neuen Formen der Messfeier wollten die traditionell im Altarraum stehenden Fahnenabordnungen in Wichs nicht mehr recht passen, denn nun musste der Gläubige nicht mehr ausdrücklich und zusätzlich durch Vertreter seines Verbandes im Altarraum repräsentiert werden. Ich erinnere mich noch gut an Diskussionen zwischen der Studentengemeinde und Korporationsvertretern, bei denen beide Seiten von ihrem unterschiedlichen Ansatz her (noch) kein rechtes Verständnis füreinander zu entwickeln vermochten.
In diesen Zeiten der Krise schrumpften die Zahlen bei den reichlich vertretenen katholischen Verbindungen auch in Münster beträchtlich. Da es nicht mehr selbstverständlich war beizutreten (und die Spekulation auf berufliche Protektion in unseren Verbänden keine ausreichend motivierende Rolle spielte), musste der einzelne Verein schon anderweitig attraktiv sein. Hemdsärmelige Bierseligkeit alleine reichte dazu nicht mehr aus; nassforsche Töne und das Beharren auf abgestandenem Comment sowie demonstratives Farbentragen noch viel weniger (obwohl es dafür immer eine Nische und eine entsprechende Klientel geben wird). Was zeichnete nun die Markomannia aus? Kurz vor meinem Eintritt hatte man die Konsequenzen daraus gezogen, dass viele Studenten vor dem Studium ihre Bundeswehrdienstzeit abgeleistet hatten. (Der Zivildienst unterlag strengen Gewissensprüfungen, die nur wenige bestanden. Angesichts des realen Ost-West-Gegensatzes war der Wehrdienst etwas Normales.) Eine ganze Reihe von Leuten hatte um einige Monate verlängert, was pekuniär einträglich war und anschließend als Offiziere entlassen worden. Diese konnten nicht wie frisch gebackene Abiturienten behandelt werden. Ferner hatte man sich zu einem breiter gefassten Rekrutierungsverfahren in der Markomannia entschlossen und dies auf andere als die traditionell vertretenen Fakultäten und bewusst auf Studenten ausgedehnt, die nicht durch Familie, Bekanntenkreis oder Ansässigkeit in Münster mit der Markomannia verbunden waren. Da dieses Vorgehen viel Anklang und Zulauf brachte, kamen neue Ideen und Zielvorstellungen in den Verein, und es bot sich in einer Verbindung mit zahlreichen Füchsen die Gelegenheit, vielen Personen mit unterschiedlichsten Charakteren und Neigungen zu begegnen, was die Chancen erhöhte, Bekanntschaften und Freundschaften über das offizielle Vereinstreiben hinaus zu knüpfen. Gleich bei den ersten Begegnungen fiel mir der zivile, höfliche Umgangston und die stilvolle Geselligkeit bei Festen auf, was allerdings dem Amüsement und auch der Ausgelassenheit in späterer Stunde keinen Abbruch tat. Hier gab es auch im Zuge der 68er Jahre keine wirklichen Aufweichungserscheinungen. Man flüchtete weder in germanentümelnde, plumpe Vertraulichkeiten und kollektiven Trinkzwang, noch viel weniger gingen die Markomannen zu dem pseudosozialistischen Duzkult über, den die 68er gegenüber jedermann praktizierten. Auch der Gammellook fand keinen Anklang. Die studentischen Traditionsformen wurden mit Maßen und nicht zu häufig gepflegt, das Zeremoniell nicht mit Biereifer, sondern mit leichtem Augenzwinkern zelebriert. Ein weiterer positiver Aspekt, über den ich mich immer mit Freude gewundert habe, ist, dass die AHAH die Aktiven zwar tatkräftig unterstützten, ihnen aber so gut wie nie hineinredeten. Obwohl die Altherrenschaft doch wahrlich nicht aus Jüngern der damals sich gerade en vogue befindenden antiautoritären Bewegung zusammensetzte, besaß man erstaunlich viel Fingerspitzengefühl dafür, dass man Jugend eigenverantwortlich planen und handeln lassen muss. Aus all diesen Dingen spricht die Kraft, sich gegen den aktuellen Trend anderer Verbindungen zu stemmen, der in Richtung Niedergang wies, und zukunftsgewandtere Formen mit Leben zu erfüllen. Kurz gesagt, die Markomannia war - an den übrigen Verbindungen gemessen - fortschrittlich.
Die Modernisierung lässt sich auch an folgenden Anekdoten plastisch verdeutlichen. Ein älterer Bb, wegen seines Charakters und seiner distinguierten Umgangsformen geschätzt, wegen seiner Ausstrahlung auf das schönere Geschlecht bewundert, fuhr, wie das damals nicht selten vorkam, einen gebrauchten VW-Käfer (zumeist waren diese Vehikel sehr gebraucht). Beim Fachsimpeln über die geliebten fahrbaren Untersätze wurde er gefragt: Wieviel Öl frisst deiner denn? Jeder Gebrauchtwagenbesitzer zog damals eifrig den Peilstab und kontrollierte den Ölstand, denn alte VW liefen meist gut, neigten aber bisweilen zu Ölverbrauch. Einen Kolbenfresser wollte man natürlich nicht riskieren. Der Runde fiel auf, dass angesprochener BbBb ungläubig schaute: Wieso Öl? Ich tanke nur Benzin. Es stellte sich heraus, dass er - eben ganz Herrenfahrer - sein Auto regelmäßig und vertrauensvoll in die Hände eines Tankstellenbesitzers gab, der dann alles Nötige richtete: Ölstandskontrolle, Ölwechsel, Schmieren der Radlager usw... Der Bb lenkte das Auto, für die handwerklichen Details interessierte er sich nicht eigentlich, dafür waren die Handwerker da. Da wir anderen uns der Motorisierung - fortschrittlich, wie wir uns dünkten - verbunden wussten, haben wir sehr über solche Unwissenheit gelacht. Zu Unrecht, denn auf anderen Gebieten verfuhren wir selbstverständlich genauso. Noch beschränkten sich die Stände auf ihren ureigenen Bereich, die Schuster blieben bei ihren Leisten: Die Akademiker dachten, die Handwerker handwerkten; nur trinken taten wohl beide, wenn auch an getrennten Orten.
Die Heimwerkerbewegung war noch nicht geboren. Dies sollte sich ändern, als ein Brisgove eintrat und zum Hauswart der Wohnetage gekürt wurde. Zu unserem Erstaunen erschien er nicht nur mit einem ausgedienten Postauto (das nur einen Sitz enthielt und bei dem jeder weitere Mitfahrer einen Küchenstuhl mitbringen musste), sondern auch mit zwei Munitionskisten. Eine war mit Köstlichkeiten vom heimischen Bauernhof gefüllt, die andere mit Werkzeug. Ab jetzt wurden Kleinigkeiten, die aus mangelnder Initiative, Sachkunde und Geld seit langem unerledigt geblieben waren, unter kundiger Leitung von Bernd Honsel ausgebessert und repariert. Sogar an die Tapezierung der Küchendecke wagten wir uns, scheiterten aber kläglich an der brüchigen Rohrdecke, der beizukommen uns noch die tieferen Geheimnisse der Kleisterzubereitung fehlten. Nachdem Frau Hartmanns Schwiegersohn einige Zeit zugesehen hatte, die Tapeten immer mehr auf unseren Köpfen als auf der Decke klebten, machte er uns ein wohlfeiles Angebot, die Arbeit zu Ende zu bringen, was wir umgehend erleichtert annahmen.
Ebenso auf politischem Gebiet machten sich Ende der Sechzigerjahre zaghaft neue Ansätze bemerkbar, auch wenn diese meilenweit von den oben beschriebenen APO-Tendenzen entfernt waren. Die Große Koalition hatte die SPD regierungsfähig erscheinen und werden lassen, sodass es 1969 zur ersten sozialliberalen Regierung der Bundesrepublik Deutschland kam. Hatte sich das katholische Lager bisher wie selbstverständlich der CDU zugezählt, so gab es jetzt Tendenzen, die gewandelte SPD zu akzeptieren und für einen politischen Neuanfang einzutreten. Als mein Leibbursche, der sich bereits im Examen befand, in die SPD eintrat und dies auch bekannt gab, galt das für einen Teil der Aktivitas als die Konsequenz aus einer sich seit längerem anbahnenden Wandlung. Für eine ganze Reihe von AHAH und BbBb aber brach eine Welt zusammen, so dass konsterniert die Frage erörtert wurde, ob man ihn noch als Mitglied führen könne.
Allerdings waren dies nicht die einzigen Querelen und Verwerfungen, die der Anbruch einer neuen Zeit mit sich brachte. War soeben von Wandlungen die Rede, so soll auch nicht verschwiegen werden, dass die Bandbreite zur Erneuerung begrenzt war. Jenseits dieser Grenze zeigten sich starke Kräfte der Beharrung, der Unflexibilität oder wie man es nennen mag. Dies lag u.a. auch in der Struktur der Markomannia als einer Verbindung sowie in ihrer speziellen Tradition begründet. Es gab einen nicht unbeträchtlichen Anteil an Vereinsmitgliedern, die unmittelbar aus Münster oder den später eingemeindeten Ortsteilen stammten und über familiäre oder freundschaftliche Bindungen in die Markomannia gekommen waren. Viele aus dieser Gruppe betonten die Bedeutung, die die Markomannia und sie selbst in der münsterschen Gesellschaft besassen. Da sie als Ortsansässige neben der Markomannia noch vielfältige Kontakte fortführen konnten, spielte die Verbindung nicht die durchgängig primäre Rolle, die viele der Ortsfremden in ihr als einer Gemeinschaft sahen, die am Studienort Familie, Freunde und Bekannte ersetzte. Naturgemäß war die erstgenannte Gruppe wenig oder gar nicht an Veränderungen und Diskussionen darum interessiert.
Ein weiterer hemmender Faktor stellte die in Semesterintervallen organisierte Leitung und Programmstruktur der Verbindungen dar. Zwar enthielt das Semesterprogramm neben der Wiederkehr der traditionellen Programmpunkte auch die Auseinandersetzung mit mehr oder minder aktuellen und religiösen Problemen, die in programmbegleitenden Vorträgen und der Hegge-Tagung ihren Niederschlag fanden. Aber gerade hier wird deutlich, dass sich die Planung häufig eher zufällig und ohne Kontinuität durch die auf nur ein Semester gewählten Vorstände bewegte. Oft merkte man, dass die Themen nicht echtem Bedürfnis entsprangen, sondern aus organisatorischen und motivationalen Kompromissen hervorgegangen waren und der Abarbeitung eines Pflichtpensums entsprachen. Ferner gab es kaum Themen, die die BbBb geistig so stark umtreiben würden, dass sie sich von Grund aus gefordert gefühlt hätten. So war auch die Abstimmung des KV um das Prinzip religio (Dürfen Nicht-Katholiken Vollmitglieder werden?) ein nur punktuelles Ereignis, das nicht zu einer echten Belebung der religiösen Praxis im Verein führte. Im politischen Bereich fand eine tiefergreifende Auseinandersetzung mit den 68ern nicht statt. Zwar gab es immer wieder Aufrufe, sich in der Hochschulpolitik zu engagieren, Paroli zu bieten. Die Chancen waren jedoch denkbar gering, Studium und Verbindung absorbierten so viele Kräfte, dass zu einer solchen - auch ungeliebten - politischen Betätigung keine Zeit blieb.
Eine zukunftsweisende Wandlung wäre m. E. nur möglich gewesen bei einer Bündelung der Interessen in Hinblick auf ein herausragendes Betätigungsfeld, das alle BbBb über die relativ unverbindliche Geselligkeit hinaus kontinuierlich in einem Projekt, das sowohl der religio wie der humanitas verpflichtet gewesen wäre, eingebunden hätte. Aus heutiger Sicht hätte sich z. B. ein kirchliches Entwicklungshilfeprojekt angeboten. Die Idee der Entwicklungshilfe war damals eine noch junge und viele Menschen zunehmend begeisternde Bewegung, die in der Kirche den alten Missionsgedanken zu verändern begann. Zwar gab es die eine oder andere von einzelnen BbBb und Gruppen initiierte Aktion. Das aber waren zeitlich begrenzte Einzelvorhaben; aus unserer damaligen Sicht gab es kein Projekt, das die Ausstrahlung besessen hätte, alle Mitglieder, die unter anderen Bedingungen und Motivationen eingetreten waren und zusammengehalten wurden, zu derartigen Veränderungen zu bewegen. Es fehlte auch wohl eine entsprechend charismatische Persönlichkeit.
Rückblickend hat sich die Markomannia also dank ihrer spezifischen Eigenart ziemlich unbeschadet über die Jahre der 68er-Bewegung hinaus bewegt. Weder haben sich die Markomannen mit diesen Ideen infiziert, noch haben sie Kräfte entfaltet, die eine Gegen- oder Alternativbewegung hervorgebracht und den Verein entscheidend verändert hätten. In mancher Hinsicht sind die Vereinsmitglieder aber doch so nachhaltig von den Jahren geprägt worden wie alle anderen auch. Wenn heute z. B. Senioren aus dem Altersheim mit einem Transparent sich vor die Tür der Stadtverwaltung oder des Bürgermeisters setzen und penetrant dort protestieren, bis man ihre Forderungen erfüllt hat, so haben hier die Protestmethoden der APO-Zeit direkt abgefärbt. Die Generation vor ihnen, vor den siebziger Jahren, hätte nie gewagt, sich dergleichen herauszunehmen. Hier ist nicht nur demokratisches Selbstbewusstein wirksam, sondern die Zutaten Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten und öffentlichkeitswirksames Spektakel sind APO-Erbe.
Nachtrag d. Red.: Die Phase der Studentenbewegung ging nahtlos über in das Bestreben einer neuen Studentengeneration, die sich bei drohenden Anzeichen einer Krise auf dem akademischen Arbeitsmarkt wieder stärker der Karriereplanung zuwenden musste. Denn inzwischen hatten die linksseligen Kreuzzügler auf ihrem „Marsch durch die Institutionen" vielfach die ersehnte Beamtenstelle erreicht. Nach den Jahren ungehemmter Stellenausweitung und Verschuldung verhängten die Landesregierungen im Herbst 1975 erstmals Notmaßnahmen der Haushaltssicherung. Die damit verbundenen Anstellungssperren bekamen die erfolgreichen Studienabgänger als erste zu spüren. In der Regel blieb ihnen der für einige Berufe typische Weg in den öffentlichen Dienst für dreissig Jahre verwehrt.
Mediengeneration
Ragout fin mit Nasi Goreng Geschichten vom Haus (1984 - 1989)
"Ich mag es Ihnen gar nicht sagen." Das waren jeweils die einleitenden Worte von Frau Hartmann, wenn wir zwecks Begleichung unserer Getränkerechnung bei ihr vorsprachen. So war sie halt, unsere Frau Hartmann, die immer gute Seele des Hauses. Viel hat sie mit den Bundesbrüdern erlebt. Immer war sie verständnisvoll, mitfühlend und hat diskret die ihr sicher in großer Zahl bekannten, höchstpersönlichen Erlebnisse für sich behalten. Vor allem gegenüber morgendlich anrufenden Eltern gab sie nach kurzen Durchstellversuchen zur Etage und einem prüfenden Blick auf die Getränkeliste des Vorabends prompt und gerne die Auskunft: „Ihr Sohn ist bestimmt schon an der Uni". Doch zurück zu den Bierschulden. Leider nannte Frau Hartmann uns doch die entsprechenden Beträge, welche uns wiederum zumindest für einige Stunden trübsinnig werden ließen. Aber das Leben mit der Markomannia, insbesondere auf dem Haus, bot immer wieder allerlei Aufmunterndes, Neues und Abwechslungsreiches, so dass dieser Zustand nicht lange andauerte.
Über die offiziellen Veranstaltungen wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht berichten. Insoweit empfehlen wir das immer wieder anregende Stöbern in alten Semesterprogrammen und Markomannen-Mitteilungen. Uns geht es um die Erinnerungen an das Leben neben und zwischen Studium und Semesterprogramm. Es war schon eine feine Sache, die Studienzeit weitgehend auf dem Haus wohnen und auch verbringen zu können. Ein Tag auf der Wohnetage - vor den großen Renovierungen - begann nach der morgendlichen Dusche, die sich durch den zum 100-sten Mal reparierten Gasboiler oftmals ernüchternd gestaltete, mit einem ausgiebigen Brunch und dem sich erst langsam entwickelnden Frühstücksfernsehen.
Dann konnten die Herausforderungen beginnen. Nicht selten ging es zur Uni. Aber auch das Bootshaus, die Stadt und viele Exkursionen hatten ihre Reize. Zudem war die Wohnetage bedeutendes Kommunikationszentrum. Das lag nicht in erster Linie an der Ausstattung mit modernen Medien. Zu Zeiten, in denen Garfield und Werner noch echte Brüller waren und der PC in Studentenbuden noch keinen Einzug gehalten hatte, war ein alter Fernseher in der Küche, der drei Programme zeigte, die Hauptattraktion - natürlich neben dem Kühlschrank, der vom Abenteuerlichen bis zum Schrecklichen alles in sich barg. Die Etage war vielmehr auch Treffpunkt für alle Bundesbrüder, die gerne mal kurz reinschauten, um den neuesten Klatsch zu erfahren und dann doch länger blieben, gegebenenfalls auf ein Bierchen. Unübertrefflich waren die Abende in der Küche, z. B. bei den von Bundesbruder Stephan Jansen veranstalteten Diaabenden mit Fotos, für deren Vernichtung mancher Bundesbruder heute gutes Geld zahlen würde, oder bei Videovorführungen, bei denen wir zum 35. Mal „Müllers Büro" oder zum 28. Mal „M.A.S.H." sahen. Echte Kenner der Fernsehserie „Alf" findet man ohnehin vorwiegend unter ehemaligen Hausbewohnern. Die Küche diente sogar als Kunsthalle. So ist in diesem Zusammenhang die Vernissage zu nennen, in deren Verlauf Kunstwerke vielversprechender Bundesbrüder zu bewundern waren, z.B. in Anlehnung an sein großes Vorbild „Jossis Fettecke", zu deren Installation er die vielfältigen Möglichkeiten einer Fritteuse nutzte. Erwähnenswert ist auch das Werk des jungen Christoph Gerwers in seiner Sommerferienvernissage, das die verbindende Wirkung abgestandenen und gesüßten Kaffees auf Porzellan demonstrierte. Von besonderer Ausdruckskraft war auch stets die Dauerausstellung wechselnder Künstler „Überquellender Aschenbecher auf Fenstersims".
Ihrem eigentlichen Zweck diente die Küche aber auch. So kam es dort zur Entwicklung unserer absoluten Spitzenessen wie „Ragout fin mit Nasi Goreng" und „Pyramidenpizzen", bei denen es sich um handelsübliche Pizzen handelte, die jeweils mit mehren Dosen erlesener Köstlichkeiten komplettiert wurden. So bot die Etage vor allem uns Hausbewohnern immer viel Kurzweil. Unvergessen ist in diesem Zusammenhang das Luftgewehrschießen auf dem Etagenflur bei striktem Verbot für die nichtteilnehmenden Bundesbrüder, die Zimmer zu verlassen. Die Resultate der etwas Ungeübteren führten anschliessend zur Ausschmückung des Flurs mit Bildern.
Ort ewiger Freude war aber auch die Kellerkneipe, die vor der Renovierung mit ihrer Schrankwand die Ausstrahlung eines Gelsenkirchener Wohnzimmers der 70er Jahre hatte. Sie war ein Magnet für Besucher - gern gesehene und gern verabschiedete. Zu letzteren gehörte auch die Schar Münsteraner Corps-Studenten, die anlässlich eines Stadtbummels von einem schlaftrunkenen Bundesbruder netterweise eingelassen wurden, unsere Kellerkneipe sofort in ihr Herz schlössen und nach unzähligen Trinkspielchen sich erst im Morgengrauen wieder trennen konnten. Frau Hartmann, der wir nach vollendetem Werk noch einen guten Morgen wünschen konnten, stellte im Laufe des späteren Tages einmal mehr ihr gutes Herz mit den Worten unter Beweis „man hat Ihnen aber gar nichts angemerkt". In der Kellerkneipe verbrachten wir unzählige Abende vor, nach, bei oder ohne Veranstaltungen, was zur Renaissance einer in Vergessenheit geratenen Institution führte - der Tankerflotte. Die Tankerflotte war auch die Wurzel des neuen Markomannenquartetts bis -sextetts, das die Bälle mehrerer Semester mit Einlagen bediente. „Mein kleiner grüner Kaktus" und „Verbindungstango" sind uns in steter Erinnerung und haben auch für manche Flasche Markomannen-Sekt auf dem Ball gesorgt, die von unserem lieben Viktor Egen sen. in Anerkennung treuer Dienste überreicht wurde.
Ein besonderes Verhältnis bestand auch zu unseren Hausnachbarn in der Kampstraße, sei es als Betroffene nächtlicher Veranstaltungen im Garten oder im Haus. So kam es leider auch einmal dazu, dass bei einem Verbindungs-SDI-Spiel, bei dem versucht wird, eine anfliegende gegnerische Sektflasche mittels gezielten Werfens zahlreicher Sektgläser zum Absturz zu bringen, eines dieser Gläser auf dem Balkon einer unserer Nachbarinnen, einem besonderen Liebling von Frau Hartmann, landete. Mit einem Blumengruß am nächsten Tag war die Sache jedoch aus der Welt zu schaffen. Allerdings pflegten wir diese guten Beziehungen auch weiterhin, wenn zum Beispiel, auf Frau Hartmanns Anregung, der Benzinrasenmäher um 5 Minuten vor Drei angelassen wurde.
Auch viele kleine Geschichten tauchen immer wieder vor unserem geistigen Auge auf, die man gar nicht alle erzählen kann. Da ist z. B. die Geschichte eines Bundesbruders, der bei einer Einladung unseres lieben Ehrenphilisters Dr. Paul Wesemann nach heftigem Genuss alkoholischer Getränke diese nicht bei sich behalten konnte und sich im Garten des Anwesens Erleichterung verschaffte. Dies war ihm aber nach Ende der Veranstaltung im Zustand plötzlicher Ernüchterung derart peinlich, dass er zwecks Beseitigung des Unheils mit zwei vollen - bei Ankunft fast leeren - Wassereimern vom Haus zum Anwesen unseres Ehrenphilisters zurückeilte (eine beachtliche Strecke mit zwei Eimern), um das Unglück zu beseitigen. Das Unternehmen scheiterte aber letztlich an der Unüberwindbarkeit der das Grundstück umgebenden Mauer. Selbiger Bundesbruder gab übrigens auch Anlass für die Entstehung des zwischenzeitlich sogar neu aufgelegten Markomannen-Comics.
Entzückend war auch der Versuch eines Hausbewohners, Damenbesuch zu verschleiern, indem er diesen die Treppe hinuntertrug, um so zu verhindern, dass man die Schritte mehrerer Personen auf dem Flur wahrnahm. Leider waren der Bundesbruder und sein Besuch nicht unsichtbar.
Immer wieder Anlass zur Heiterkeit bietet auch eine Begebenheit anlässlich einer Bootshausfete. Hier wurde einem ortsunkundigen Gast bedeutet, dass es möglich sei, im Kreis um das Bootshaus zu rudern. Mit dieser Information ausgestattet war die Person ziemlich lange nicht mehr zu sehen; das Wiedersehen dafür aber um so erlösender. Auch ansonsten war das Bootshaus im Sommer ständiger Anlaufpunkt, sei es zum Grillen oder zum Paddeln. Man durfte nur keine Angst vor Ratten haben.
Alles in allem war es ein freundliches Schicksal, das uns in die Markomannia verschlug, auch wenn unsere liebe Markomannia von einem zeitweise im Kreuzviertel tätigen Geistlichen aus Südamerika zunächst für eine Krankheit gehalten wurde, da sich eine Nachbarin bei ihm beklagte, die Markomannia brächte sie um den Schlaf. Den Aktiven späterer Semester, die uns von dieser Begebenheit erzählten, war es aber ein Leichtes, auch diesen Pfarrer für die Markomannia einzunehmen.
Anmerkung der Verf.: Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Auch wir haben das Examen geschafft. Konsequentes Lernen, nach Möglichkeit mit einem Privatrepetitorium in der Kellerkneipe, zahlt sich aus. In die Schönfelderschutzschuber passt übrigens prima eine Veltinsflache im Format Steinie.
Was ein Bierzipfel erzählt
von Gregor Stolz
Ein Studienplatz für Medizin in Münster - das ist für mich als Paderborner eine wunderbare Nachricht gewesen. Der Grund für meine Freude war natürlich die räumliche Nähe zur Heimat und den ehemaligen Schulfreunden. Die Freude, in Münster zu studieren, sollte bleiben - die Nähe zur Heimat beschränkte sich oftmals nur noch auf diejenige zu einer nahen Landkarte. Es war die günstige Miete, die mich zum Markomannenhaus gelockt hat. Ich unterschrieb den Mietvertrag und berichtete meinen Eltern über die neue billige Behausung bei einer Verbindung. Die Kommentare waren verschieden. Mutter: Wie kannst Du nur...? Vater: Gut so, Junge, schau Dir das mal genau an!
Zur Unterschrift wurde ich dann eines Tages von Fuchsmajor Markus Bruns und meinem zukünftigen Biervater Jan Börgel angehalten, und ich habe diese Unterschrift auch nie bereut, zumindest niemals ernsthaft. Sie hatten mir auch diese flammenden Geschichten erzählt, die ich hinterher auch noch anderen im Keilgespräch predigen sollte (Stichwort Brechstange).
Nach einem Semester bin ich in die benachbarte Dürerstraße gezogen, nur einen Steinwurf entfernt vom Haus. Diese kleine örtliche Distanz entpuppte sich als Ideallösung. Es schien, als ließen sich Studium und Verbindung nebeneinander vereinbaren. Das hatte ich bisher immer für ein Gerücht gehalten. Und ganz so einfach war es dann auch nicht. Schnell merkte ich, dass man besser eines von beiden richtig macht und das war für mich ohne Frage das Studium. Demzufolge entwickelte sich der Fuchs Stolz in seiner Fuchsenzeit nicht gerade vorbildlich, und das ist noch eine beschönigende Formulierung. Kurz gesagt: Man hat sich wohl des öfteren länger über mich auf dem BC unterhalten, und das sagt ja eigentlich alles. Die Burschenprüfung war dann der unrühmliche Höhepunkt dieser Entwicklung.
Aber dafür gab es Scheine an der Uni, und es schien mit der Zeit, als würde ich tatsächlich noch Zeit für andere Dinge neben dem Studium haben. Es kamen also die Konvente, auf denen Confüchse von mir in Chargen gewählt wurden. Ich wollte mich jetzt auch mehr in diesem Verein, den ich mehr und mehr liebgewonnen hatte, engagieren. Es hatte mich beeindruckt, dass die Bundesbrüder Verständnis für meine Priorität „scientia" gehabt hatten. Es wurde ernst, sehr ernst sogar, und ich hatte ziemliche Bauchschmerzen, als mir am nächsten Morgen klar wurde, dass ich zum Senior für das SS 1996 (Jubiläumssemester 95 Jahre Markomannia) gewählt worden war. Aber man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben. Und die kamen dann auch. Es folgten intensive Markomannensemester, an die ich mit Freude zurückdenke. Ein zweites Seniorat ein Jahr später war eine neue Herausforderung, ebenso nicht nur glorreich, aber auch ein gutes Semester für unsere Markomannia.
Die Zeiten der Hausrenovierung im Frühjahr 1996 habe ich in besonderer Erinnerung. „Bis zu Deinem Semester wird alles fertig sein" - zum Festkommers am Ende des Semesters war dann auch alles fertig. Aber Umbausenior ist auch nicht schlecht. Es waren peinliche Momente, hochkarätige Referenten in einem Saal zu empfangen, der als einzige Dekoration die nicht verputzten Stromleitungen an den Wänden sowie die stählernen Heizungsrohre an der Decke und Baugerüste enthielt - alles ohne Vorwarnung, versteht sich. Ein neu erstrahlendes Markonnenhaus hieß in diesen Jahren besondere Leute willkommen. Philipp Baron von Boeselager, einer der Verschwörer des 20. Juli 1944 oder Martin Bormann jr., dessen Taufpate Adolf Hitler war, und der sich sehr vom Wirken seines Vaters distanzierte. Neben historischen Vorträgen gab es viel Wissenschaft, aber auch exotische Bereiche wie Numerologie mit Elisabeth Puchtler von Thurn.
Und bevor es ein Übergewicht scientiae geben konnte, traf ich im Nacherleben eines Semestereröffnungsgottesdienstes auf dem Markommenhaus eine junge Frau. Diese war nicht nur blond und hübsch, sondern auch noch Tochter eines Alten Herrn. Also war Benehmen angesagt. Mittlerweile ist Angie meine zukünftige Ehefrau, und ich erinnere mich noch ganz genau an das erste Telefongespräch mit ihrem, bis dahin fremden Vater, dem Ib. AH Dr. jur. Elmar Schulze. „Grüß Dich Gregor, hier spricht Dein Bundesbruder Elmar", und das Eis war gebrochen. Zum ersten Mal erlebte ich Bundesbrüderlichkeit außerhalb des Markomannenhauses.
Auf dem Markomannenhaus bedeutet Bundesbrüderlichkeit auch das Aufteilen von erforderlicher Arbeit auf mehrere Schultern und so gibt es für alle wichtigen und unwichtigen Bereiche des Verbindungslebens sogenannte Wartsposten, nicht zu verwechseln mit Chargen, denn man wird nicht gewählt, sondern ernannt. So krönen meine Mk-Karriere die Posten als Bierwart, Wichswart, Nikolauswart und Heggewart. Letztgenanntes hat mir fünf Jahre lang Freude gemacht. Die Hegge ist etwas besonderes und wichtig für unsere Verbindung. Wir sollten große Anstrengungen unternehmen, um diese Exerzitientage weiter fortzuführen, ob mit oder ohne Frauen.
Es gab immer große Debatten und Diskussionen zu allen Zeiten auf dem Markomannenhaus. Und auch wenn man die Konvente bis halb vier gehasst hat - später fehlen sie einem. An Themen war kein Mangel. Eine große Diskussion war die Bandfrage. Die Gemüter kochten heiss und am Ende blieb doch alles, wie es die letzten 95 Jahre auch schon gewesen war, und das ist auch gut so. Wenngleich der Verfasser dieser Zeilen zu den Verschwörern zählt, die eines Tages versuchten, hinter dem Rücken des AH-Vereins-Vorsitzenden Epi Zangerl mit einem eigens angefertigten konspirativen Faltblatt in Beilage zu der Semesterpost, den einen oder anderen AH auf ihre Seite zu ziehen. Eine Entschuldigung bei Epi über die Art und Weise war fällig und ist auch erfolgt. An dieser Stelle möchte ich Epi Zangerl meinen besonderen Dank für die freundschaftliche und von gegenseitigem Respekt geprägte Zusammenarbeit aussprechen.
Gute Zusammenarbeit gab es auch auf einer besonderen Markomannenexpedition nach Peking. Jan Börgel, Tobias Loddenkemper, Gerd Weber und ich haben einen Akupunkturlehrgang in Peking absolviert. Feierlicher Höhepunkt war ein Zipfeltausch, den die östliche Halbkugel bisher noch nicht gesehen hatte. Es waren bei Heino L. Tondera (der legendäre Zipfelgraveurmeister, der zwischenzeitlich auch mal den Bullenkopp bewirtete - aber das ist wieder eine andere Geschichte) original chinesisch gelbe Zipfel angefertigt worden, mit chinesischen Schriftzeichen. Und dann wurde auf einem besonders dafür ausgesuchten Stück der chinesichen Mauer der feierlichste Zipfeltausch der Mk-Geschichte zelebriert, mit Tsingtao Bier aus chinesischen Porzellantassen, die anschließend den ewigen Jagdgründen zugeführt wurden.
Es ist der Zipfelbund, der diese und noch viele andere Geschichten erzählt, die hier nicht alle wiedergegeben werden können und dürfen. So habe ich mich auf ein kleines Potpourri beschränkt. Und wenn ich in den Turbulenzen, die das Leben außerhalb der starken Mauern des Markomannenhauses bereithält, mich noch einmal zurückbesinnen möchte, dann nehme ich meinen Zipfelbund zur Hand und erinnere mich gerne und dankbar an viele schöne Stunden, Tage, Monate und Jahre im Kreise unserer Markomannia und an viele Bierchen und Zigarillos in der Kellerkneipe.
Unser virtuelles Netzwerk
Von Markus Antonius Bruns
Als ich zum WS 1993/94 auf das Markomannenhaus zog, bemerkte unser Ib. Bb Laurenz Börgel dazu: „Da habe ich auch mal gewohnt - während meines Seniorates (SS 1962), denn dort gab es ein Telefon." - Ehrlich gesagt hatte sich daran bis zum Jahr 1994 nicht viel geändert, noch immer gab es nur ein einziges Telefon auf dem Haus, zusätzlich noch eins in der Faxenwohnung und einen öffentlichen Münzfernsprecher im Keller. - Ein heute undenkbarer Zustand! Welcher ehemalige Hausbewohner denkt nicht an unbequeme - weil nicht im eigenen Zimmer stattfindende - Gespräche mit der Liebsten oder lange Besetzt-Zeiten am Telefon, wenn zufällig 3 BbBb gleichzeitig einen Anruf erwarteten.
Gegen den harten Widerstand des Hausvereinsvorstandes war es schließlich durch ausdauerndes Bohren (steter Tropfen höhlt den Stein!) Bb Udo Richter und mir gelungen, dass seitens des Hausvereinsvorstandes den Hausbewohnern ein jeweils eigener Telefonanschluss auf den Zimmern genehmigt wurde. Lawinenartig verbreitete sich diese frohe Kunde auf dem Hause, und man hörte nur solche oder ähnliche Zitate (hier Bb Norbert Krämer): „Wann kommt denn Dein Telefon-Mann? - Meiner kommt morgen früh um acht." Flugs waren so gut wie alle Zimmer auf dem Haus mit separaten Telefonanschlüssen versorgt; die Zeit der Datenfernübertragung konnte also beginnen!
Wieder waren es Bb Udo Richter und ich, die als erste Hausbewohner über ein Modem verfügten und über das DaWin-Projekt der Universität Zugang zu den unendlichen Weiten des WWW fanden; mittlerweile verfügt fast jeder Aktive über einen PC mit Modem, denn in einigen Fachbereichen sind die langen Schlangen vor Prüfungsanmeldungen durch online-Anmeldungen ersetzt, Skripten zu Vorlesungen oder anderes begleitendes Material wird über das WWW publiziert und die komplette Kontoverwaltung sowie Großteile der Literatursuche der Uni-Bibliothek kann ebenfalls online - vom eigenen Schreibtisch aus geschehen.
Mit dem Wingolf zusammen war der KStV Markomannia, dank der Initiative von Bb Gregor Wittreck, ein Pionier in der Web-Präsenz von Korporationen an der Alma Mater. Die URL http://www.uni-muenster.de/Markomannia/ sollte unser virtuelles Zuhause werden. Inzwischen haben wir zusätzlich eine Domain erworben, so dass dieselben Inhalte über die kürzere URL https://www.markomannia.org zu erreichen sind. Die zunächst recht sparsame Präsenz ist mittlerweile zu einem wirklich breiten Informationsangebot geworden. Dieses ist die Basis für das virtuelle Netz der Markomannen. Die Informationsinhalte sind:
Eine kurze Selbstdarstellung („wir über uns"),
Geschichte der Markomannia,
Erklärung von Symbolen und Zeichen und
Erläuterungen zu den Prinzipen „Religion, Wissenschaft und Freundschaft".
Das aktuelle Semesterprogramm (aktueller als die Druck-Version, da schnell Änderungen eingearbeitet werden können) mit einem Archiv aller im WWW befindlichen Markomannen-Programme. Ein interner, passwortgeschützter und abhörsicherer „News"-Bereich, in dem zeitnah Mitteilungen zur Markomannenchronik eingebracht werden, kurze Berichte von Veranstaltungen etc.. Geplant ist, hier auch einen „virtuellen Pranger", d.h. die Schuldenlisten bei der Wirtschaftskasse und dem Hauswart, anzulegen. Vorstellbar wäre auch, hier eine Abfragemöglichkeit für die Adresskartei einzubinden. Eine virtuelle Hausführung, in der man einen Spaziergang durch das Markomannenhaus, illustriert mit zahlreichen Fotos, machen kann. Ein virtuelles Liederbuch, in dem für jedermann über 500 Studentenlieder, in Text und klanglich untermalt, von midi-Dateien abrufbar sind. Bewusst wurde auf das Dateiformat Midi zurückgegriffen, da sich damit leicht E-Pianos und Keyboards einspeisen lassen und sich jeder mit entsprechenden Programmen einen Notentext ausdrucken kann.
Auch wenn sich das Erscheinungsbild der Internetseiten von Zeit zu Zeit ändern kann, so werden die dahinterstehende grundsätzliche Struktur und die Inhalte sicherlich konstant bleiben. All diese Inhalte der WWW-Präsenz verlangen, dass sich die Interessenten aktiv um den Aufruf der Seiten bemühen. Über eine stetig wachsende Anzahl von e-mail-Adressen der BbBb ist es mittlerweile auch schon ein beliebtes Kommunikationsmittel, das die Vernetzung der BbBb intensivieren kann. So gibt es als Diskussionsforum z.B. eine Markomannen-Mailingliste. Auch die offizielle Mailingliste des KV wurde auf Initiative von Bb Christian Delhey und mir ins Leben gerufen, sie wird auch heute noch von uns betreut. Außerdem gibt es auf Wunsch einiger BbBb einen Markomannen-Newsletter, in dem die Nachrichten aus dem internen Mk-Netzwerk per elektronischer Post (e-mail) versandt werden, so dass auf Wunsch jeder informiert werden kann.
Die Perspektiven sind sicherlich heute kaum absehbar - bis wir aber virtuelle Kneipen und Kommerse schlagen werden, wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen und so manches Gigabyte durch unsere Telefonleitungen versandt. Bis dahin kann ich nur Werbung machen für unsere WWW-Präsenz unter http:// www.markomannia.org - Besuch ist jederzeit willkommen!
Einkehr auf der Hegge
von Thomas Brüggemann
Auf zur Hegge! So lautet das Motto der Markomannia an dem Wochenende nach Fronleichnam. Im Jahre 1956 hat Bb Dr. Viktor Egen, zur damaligen Zeit Vorortspräsident des KV, diese Stätte in Willebadessen im Warburger Land entdeckt und für uns gewonnen. Seit dieser Zeit gehören die Hegge-Tage am Wochenende nach Fronleichnam zum festen Bestandteil und einem der Höhepunkte eines jeden Sommersemesters.
In den ersten Jahren fuhr man nach der Teilnahme an der Fronleichnamsprozession mit dem Zug dorthin. Angesichts der zunehmenden Mobilität ist heute das Auto bevorzugtes Transportmittel, aber auch mit dem Fahrrad wurden die etwa 140 Kilometer schon mehrfach erfolgreich in Angriff genommen. Ein Bundesbruder der ersten Stunde erinnert sich an die ersten Eindrücke vor 45 Jahren: „Wir kamen zu einem Haus, welches von einer Gemeinschaft junger, akademisch gebildeter Damen geführt wurde, die sich nach dem Krieg zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen hatten, die weltliche Kleidung trugen und damals im „tonus rectus" beteten, was für uns junge Aktive ungewöhnlich war."
Die Hegge ist zugleich Ort und Programm. Getragen wird diese Einrichtung von einer kleinen Frauenkommunität, welche sich 1945 nach den Erfahrungen der NS-Diktatur gegründet und sich christliche Bildungsarbeit zur Lebensaufgabe gemacht hat. Die abgeschiedene Lage des Hauses in schöner Landschaft, die gepflegte Unterbringung, die geistigen Anregungen der Vortragsreihen, die religiösen Anregungen des Hauses und nicht zuletzt die Gemeinschaft der Bundesbrüder beim Besuch der Messe, bei den Mahlzeiten, in der Freizeit, beim Fußballspiel und bei den mit viel Gesang verbrachten Abenden im Türkenkeller machen den einzigartigen Charakter dieser Veranstaltung aus.
In den ersten Jahren bot die Hegge ihre Gastfreundschaft nur bis 22 Uhr an. Danach wurde in die benachbarten Dörfer ausgeschwärmt. Die nächtliche Heimkehr in die bereits verschlossene Hegge hat den entsprechenden Jahrgängen unvergessliche Erlebnisse und den jeweiligen Senioren einige Peinlichkeiten eingebracht, für die dann am nächsten Morgen die Entschuldigung mit beredten Worten erfolgen musste. Bis zur Abreise waren auch die ein oder anderen Flurschäden jeweils beseitigt. Heute erklingt auf der Hegge das Münsterlied und die Farbenstrophe Markomanniae auch oft noch nach Mitternacht.
In den seither vergangenen Jahrzehnten sind die Hegge-Tagungen als Wurzeln für das Zusammenwachsen der Korporation und der Persönlichkeitsfindung nicht wegzudenken. Für Alte Herren ist die Hegge ein Ort, die Verbindung zu den nachwachsenden Markomannen-Generationen zu pflegen und in der Erinnerung an die eigene Studentenzeit zu schwelgen. Jungen Vereinsmitgliedern bietet sie Gelegenheit, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen, das Fundament unseres Lebensbundes zu erfahren und die anderen Bundesbrüder näher kennen zu lernen. In gemeinsamen Gesprächen und Diskussionen werden Grundüberzeugungen artikuliert. Hier besteht die einmalige Chance zur offenen und ehrlichen Darlegung eigener Positionen, ohne der Gefahr der Anfeindung ausgesetzt zu sein. Viele Probleme und Meinungsverschiedenheiten ließen sich auf Spaziergängen in entspannter Atmosphäre lösen, die sonst leicht zu einer Belastung des Korporationslebens im Alltag hätten führen können.
Es ist zu wünschen, dass es auch in der Zukunft erfolgreich gelingt, der Markomannia dieses Refugium der Ruhe und Besinnung, der Konzentration und der Reflexion über unsere Gemeinschaft im Stress des Alltages und zunehmender Studienanforderungen zu erhalten. Aktive und Alte Herren sind aufgefordert, durch ihren Besuch auf der Hegge sich zu beteiligen und diese einzigartige Kontaktgelegenheit zwischen Jung und Alt zu nutzen.
Vorbemerkung:
Stellvertretend für zahlreiche Bundesbrüder, die große Verdienste in Kirche, Staat und Gesellschaft erworben und doch zugleich auch stets Zeit und Engagement ihrer Markomannia gewidmet haben, wird hier Bb Heinrich Austermann gewürdigt.
d. Red.
Ein Mann des Wiederaufbaus
(Auszug aus einer Ansprache von Stadtrat Eberhard Hoffschulte zur Verabschiedung von H. Austermann aus dem Dienst der Stadt Münster am 31.10.1973)
Im Jahre 1948 wurden Sie als Beigeordneter der erste Wirtschaftsdezernent der Stadt Münster ... So traf ich Sie an, als ich vor mehr als 25 Jahren in die Dienste der Stadt Münster trat. Lebhaft entsinne ich mich der Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Fahrradreifen und Kohle. Auch Büromöbel waren knapp. Ich habe drei Tage warten müssen, bis es gelungen war, mir vor Ihren schlichten Schreibtisch einen einfachen Tisch und Holzstuhl in unserem gemeinsamen kahlen Dienstraum, einem Klassenzimmer im 1. Stock der Handelslehranstalten an der Turmseite am Hansaplatz stellen zu lassen.
Die Not der Zeit und die Turbulenz der Ereignisse machten es 1952 notwendig, die städtischen Finanzen zu sanieren. Auf Grund Ihrer Leistungen übertrug Ihnen der Rat diese Aufgabe. Er wählte Sie zum Kämmerer mit der Folge, dass beim Rate das in Sie gesetzte Vertrauen weiter wuchs und Sie von ihm einstimmig 1952 zum Oberstadtdirektor Münsters gewählt wurden. Ihre einstimmige Wiederwahl 1964 bestätigte, dass Sie den Vertrauensbeweis erbracht hatten. Als Verwaltungschef einer so bedeutenden, dazu geschichtsträchtigen Stadt übernahmen Sie vor 21 Jahren eine überaus große Aufgabe und Verantwortung, eine Aufgabe, die am Ort und zwangsläufig auch überörtlich in Organisationen der kommunalen Verbände und in Einrichtungen verschiedenster Art des Landes, des Bundes, der Wirtschaft und des Verkehrs zu erfüllen war. Das erhebliche Ausmaß Ihres ehrenamtlichen Wirkens ist bekannt.
Vorab galt es, die Not zu lindern, die zerstörte Stadt von Trümmern zu räumen, sie wieder aufzubauen, Wohnungen und Arbeitsplätze zu schaffen. Es gelang. Wie es gelang, darüber wird ein abschließendes Urteil dereinst die Geschichtsschreibung fällen. Gewiss gab und gibt es Kritik, auch berechtigte, es gibt aber auch heute schon zahlreiche Stimmen, die Rat und Verwaltung dieser Stadt ein hohes Lob für die anspruchsvolle und charaktervolle Qualität spenden, die die Stadt in ihrem Wiederaufbau und Neubau zeigt. Hierbei wurde mit viel Liebe und Verständnis gearbeitet. Bei der Grundsteinlegung zu unserem Rathauswiederaufbau im Jahre 1950 sagte unser Ehrenbürger Heinrich Brüning: „Wir sollten mehr denn je in Bewunderung und Bescheidenheit vor dem stehen, was in unserer Heimatstadt Geschlecht auf Geschlecht aufgebaut hat, immer etwas schönes Neues in den Rahmen des Bestehenden einfügend, ohne je den Gesamtcharakter und, wenn Ich so sagen darf, die Seele einer Stadt wie der unsrigen zu verderben. In einer Stadt wie der unsrigen sind die Bauten der Vergangenheit mehr als tote Steine. Sie reden zu uns und geben uns besonders in der Jugend, wo das Gemüt am empfänglichsten ist, einen unauslöschlichen Eindruck von den ewigen Irrungen der Menschen, aber auch von der Kraft der Menschen, auch das Schwerste zu tragen und zu überwinden ..."
Sie, Herr Oberstadtdirektor, sind zu den Menschen zu rechnen, die schönes Neues in den Rahmen des Bestehenden einfügten, ohne den Gesamtcharakter und die Seele unserer Stadt zu verderben. Die Stadt entwickelte sich so, dass sie menschliche Maßstäbe behielt und sich ihre Bürger in ihr wohlfühlen. Die Innenstadt wurde nach historischen Maßen wieder aufgebaut, zerstörte Baudenkmäler erhalten. Moderne Architektur fand Ihre lebhafte Unterstützung, aber so, dass sie zum Alten passte.
Herr Oberstadtdirektor, Sie waren uns ein guter, wohlwollender Verwaltungs- und Personalchef. Es bestand gegenseitiges Vertrauen. Ihre integere Persönlichkeit, Ihre Hingabe an den Beruf, Ihr Einsatzwille und Ihre Entschlussfreudigkeit zur rechten Zeit waren für uns vorbildlich. Sie haben es klug und tatkräftig verstanden, die Fülle der Arbeit, die oft auftretenden großen Belastungen in menschlicher Art zu bewältigen und die anstehenden Probleme wohl abgewogen, ausgleichend in der Sache und ausgleichend unter beteiligten, selbstbewussten Persönlichkeiten, einer Lösung zuzuführen, mochten auch die Meinungen aufeinandergeprallt sein in Debatten, die gelegentlich an Heftigkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Das diente der Klärung.
Hierbei haben die Musen, Ihre Freude an klassischer und moderner Musik, an Malerei und Architektur und einem guten Buch und Ihre Freude an Gottes freier Natur gewiss ihren günstigen Einfluss geltend gemacht. Sie setzten sich für Ihre Mitarbeiter ein, sorgten für guten Nachwuchs und seine Schulung am Arbeitsplatz, in der Verwaltungsschule und der Verwaltungsakademie und brachten mit Geschick und Tatkraft die richtigen Kräfte an die richtigen Plätze. Natürlich immer im Rahmen des Möglichen. Nichts ist vollkommen in dieser Welt.
Wirken eines Markomannen in der Öffentlichkeit: Lebensleistung von Heinrich Austermann (1909 -1984)
Elmar Schulze
Aus der Markomannia sind bedeutende Persönlichkeiten hervorgegangen, die sich in unterschiedlichster Weise für die Allgemeinheit engagiert haben. Einer dieser Bundesbrüder ist Heinrich Austermann. Seine allgemein anerkannte Lebensleistung ist der gelungene Wiederaufbau der im letzten Krieg stark zerstörten Stadt Münster und deren Weg zu einer modernen Großstadt. Der Rat der Stadt Münster ernannte den seinerzeit weit über das Münsterland hinaus bekannten und angesehenen Oberstadtdirektor zum Ehrenbürger. Ein von einem bedeutenden Portraitisten geschaffenes Ölbild unseres Bundesbruders fand Einzug in die Galerie bedeutender Persönlichkeiten im Stadtweinhaus neben dem historischen Rathaus; und in Gievenbeck trägt eine Straße den Namen jenes Rathauschefs, in dessen Amtszeit auch in diesem Stadtteil moderne Wohnbaugebiete geplant und errichtet worden sind.
Es lohnt sich, den Lebensweg unseres am 20. August 1984 an einer tückischen Infektionskrankheit verstorbenen Bundesbruders nachzuzeichnen. Die äußeren Lebensdaten von Heinrich Austermann sind durch die beiden Weltkriege sowie deren Folgen gekennzeichnet. Er wurde am 22. Mai 1909 in Papenburg/Ems als Sohn eines Studienrats geboren. Mit 9 Jahren verlor er den Vater, der in den letzten Kriegstagen des Ersten Weltkrieges in Nordfrankreich fiel. Die Vorfahren entstammten einem alten münsterländischen Bauerngeschlecht. Zu dieser Herkunft und Prägung sowie zur Tradition einer festen katholischen Grundausrichtung bekannte er sich zeitlebens. Das Jurastudium führte ihn an die Universitäten in Innsbruck und München, wo er zum KV fand und bei Südtirol und Saxonia aktiv wurde, bevor er mit der Fortsetzung seines Studiums in Münster im Wintersemester 1929/30 zur Markomannia kam. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen trat er 1935 als Assessor in den Dienst der Stadtverwaltung Münster. Den gesamten Krieg - von Sommer 1939 bis Frühjahr 1945 - verbrachte er als Soldat.
Erst im Herbst 1946 kehrte er aus der Gefangenschaft zurück, um seinen Dienst als Städtischer Rechtsrat wieder aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt bot die Stadt Münster bekanntlich ein Bild der Zerstörung: Fast zwei Drittel des gesamten Stadtgebiets - und sogar 90 % der Innenstadt - waren den Bombenangriffen zum Opfer gefallen. Der größte Teil der Arbeitsstätten lag in Schutt und Asche; die meisten Einwohner, Betriebe und Behörden hatten die Stadt verlassen. Die „Zick-Zack-Reihe" der „alten Giebel" wies entsetzliche Lücken auf. Die Einwohnerzahl war von 132.000 auf 25.000 gesunken. Zahllose Trümmerberge prägten das Bild der Stadt, in der vielfältig Not und Verzweiflung herrschten. Vor diesem Hintergrund hatten die Verantwortlichen die gewaltige Aufgabe, die Stadt beinahe aus dem Nichts wieder neu aufzubauen.
Heinrich Austermann, der im Februar 1948 zum Beigeordneten (Stadtrat) berufen wurde, erhielt den speziellen Auftrag, sich der wirtschaftlichen Entwicklung der zerstörten Stadt anzunehmen. Er wurde erfolgreicher Motor des Wiederaufbaus der Stadt, in der ungezählte Wohnungen und Arbeitsplätze entstanden und in welcher sich auch nach und nach wichtige Organisationen und Institute sowie die Universität wieder entfalten konnten. Wegen einer schweren Krise der städtischen Finanzen ernannte der Rat den geschätzten und bewährten Stadtrat Austermann zum Stadtkämmerer, dem es in verhältnismäßig kurzer Zeit gelang, die städtische Haushaltswirtschaft wieder auf eine einigermaßen solide Basis zu stellen.
In Anerkennung der grossen Verdienste um den Wiederaufbau und die Stabilisierung der Wirtschaft in der Stadt in den schwierigsten Jahren der Nachkriegszeit sowie wegen der Bewährung in der Finanzkrise wählte der Rat Heinrich Austermann im Oktober 1952 einstimmig zum Oberstadtdirektor und damit zum Chef der Verwaltung, welcher er für 21 entscheidende Jahre die Richtung vorgab. Diese Zeit von 1952 bis 1973 ist von einer ungewöhnlich dynamischen Entwicklung geprägt, wie wenige Kennzahlen verdeutlichen sollen: die Zahl der Einwohner war auf 200.000 angestiegen, die Arbeitsplätze in der Stadt hatten sich von 60.000 auf 105.000 vermehrt, und die Zahl der Studenten, die im Jahre 1952 etwa 5.200 betragen hatte, lag inzwischen sechsmal so hoch. Von Bedeutung ist auch die Feststellung, dass die Stadt Münster am Ende der Ära Austermann als ein „hochrangiges Dienstleistungszentrum" sowie als Oberzentrum für eine Region von etwa 800.000 Einwohnern bezeichnet werden konnte.
Am Tage der Verabschiedung des angesehenen und beliebten Oberstadtdirektors Austermann am 28. Oktober 1973 im Festsaal des Rathauses betonte Oberbürgermeister Dr. Pierchalla, dass diese eindrucksvollen Erfolge zu einem wesentlichen Teil der klugen und aufopfernden Tätigkeit des scheidenden Verwaltungschefs zu verdanken seien. Er würdigte im Namen des Rates und ausdrücklich auch der gesamten Bevölkerung das enorme Arbeitspensum, die Pflichterfüllung, den persönlichen Einsatz und das Engagement Heinrich Austermanns, der sich um die Stadt Münster verdient gemacht habe. In Anerkennung dieser Verdienste überreichte der Oberbürgermeister dem in den Ruhestand tretenden Oberstadtdirektor den vom Rat selten verliehenen Ehrenbürgerbrief.
Wer während der Dienstzeit von Heinrich Austermann in der Stadtverwaltung Münster beschäftigt war - wie z. B. unser Bundesbruder Eberhard Hoffschulte, der damals als Stadtrat (Beigeordneter) tätig war, - kann gewiss bestätigen, dass die ehrenden Worte des Oberbürgermeisters einer Persönlichkeit von Format galten, die nicht nur das ihr übertragene Amt stets optimal ausgefüllt hat, sondern auch durch eine außergewöhnliche Persönlichkeitsstruktur und Charakterstärke viele Mitmenschen beeindruckte. Eine ganze Reihe weiterer - oft freiwillig übernommener - zusätzlicher Aufgaben wurden von Austermann gemeistert. Beispielhaft sei erwähnt, dass sich Heinrich Austermann viele Jahre lang in den Gremien des Deutschen Städtetages wirkungsvoll eingebracht hat und er u. a. Vorsitzender des Städtetages NRW gewesen ist. In Anerkennung des persönlichen Engagements auf überörtlicher Ebene sowie in Würdigung der hohen Verdienste um die Stadt Münster verlieh ihm der Bundespräsident das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Trotz aller beruflichen Belastung, welche sich ein Außenstehender kaum vorstellen kann, diente Heinrich Austermann der Markomannia immer wieder mit Engagement und Freude sowie vielfältiger Ermunterung und Unterstützung. 14 Jahre lang bekleidete er das Amt des Philisterseniors (1962-1976); der Altherrenverein ernannte ihn 1976 zum Ehrenvorsitzenden.
Liebevoll bemühte sich H. Austermann um seine Familie. Da sein Schwager erst 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, kümmerte er sich bis dahin intensiv um seine Schwester mit ihren drei kleinen Kindern. Zur eigenen Eheschließung kam er wohl auch deshalb relativ spät, nämlich 1954. Er heiratete die Ärztin Dr. Margret Meyer-Schwickerath, deren Mann - ebenfalls Markomanne: Assessor Hermann Maué - kurz nach der Hochzeit im Krieg gefallen war. Die Behinderung des jüngsten Sohnes stellte Heinrich Austermann und seine Gattin auf eine große Bewährungsprobe. Sie nahmen diese Herausforderung bereitwillig an und antworteten mit dem Aufbau der „Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V." in Münster, wobei Frau Dr. Austermann die Hauptlast trug. Aber auch Heinrich Austermann widmete sich dieser Aufgabe mit bewundernswerter Geduld und Hingabe, ja sogar mit großer Freude über noch so kleine Erfolge beharrlichen Mühens in manchmal aussichtslos erscheinender Situation. Viele behinderte Menschen und deren Familien verdanken Heinrich und Margret Austermann vielfältige Hilfe und richtungweisende Ideen.
In seinem Ruhestand war Heinrich Austermann verstärkt im sozialen Bereich tätig, indem er sich für die Aufgaben des Deutschen Roten Kreuzes und insbesondere für die Behindertenorganisationen auf Bundes- und Landesebene einsetzte. So übernahm er den Vorsitz in der Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte", einer Dachorganisation der mehr als dreissig Behindertenverbände in NRW - und nach seinem Tode wurde seine Frau seine Nachfolgerin in diesem wichtigen und anstrengenden Ehrenamt. Für sein vielfältiges ehrenamtliches Wirken hat unser Bb Austermann zahlreiche Ehrungen empfangen, so auch den Orden eines Komtur-Ritters des Heiligen Gregorius sowie das Ritterkreuz des Malteser-Ordens.
Im Anschluss an das Seelenamt für unseren verstorbenen Ehrenphilistersenior in St. Lamberti würdigte der Nachfolger im Amt des Oberstadtdirektors, Kb Dr. Hermann Fechtrup, die Verdienste Heinrich Austermanns wie folgt: „Heinrich Austermann war geprägt von christlichen Grundwerten, nüchtern und unvoreingenommen in der Analyse, weitsichtig und kühn in seinen Perspektiven und Zielen, zäh und beharrlich in der Durchsetzung, offen, fair, gerecht und wohlwollend gegenüber anderen. Er war ein Mann von Bildung, Kultur und Stil. Er konnte und wollte niemanden verletzen und bewahrte auch in hitzigen Debatten und kritischen Situationen Besonnenheit, Übersicht und Haltung. Er war pflichtbewusst, hart und fordernd gegen sich selbst und von großer Schaffenskraft. Sein Lebenswerk ist ein gutes Stück Stadtgeschichte. Uns bleibt die Dankbarkeit für diesen großartigen Menschen".
Wir Markomannen dürfen gewiss stolz darauf sein, dass eine solch herausragende Persönlichkeit aus unseren Reihen stammt. Das erfolgreiche, öffentliche Wirken unseres verstorbenen Bundesbruders Heinrich Austermann, aber auch seine charakterliche Prägung, die familiäre Pflichterfüllung und sein Einsatz für die Verbindung können uns Vorbild und Ansporn sein.
Ich erinnere mich...
Von Eberhard Hoffschulte
Wenn andere Korporationen uns ein „Markenzeichen" zubilligen, so ist dies Anlass genug, dem einmal nachzugehen. Als Antwort auf ein Anschreiben der Redaktion an alle BbBb im Alter über 65 Jahre, sich zu dem Thema „Ich erinnere mich ..." zu äußern, haben einige BbBb aus ihrer Erinnerung gewisse typische Merkmale der Markomannia zu Protokoll gegeben. Eine kleine Auswahl davon gewährt einen knappen Eindruck, was sie, zusätzlich zu den bereits in den obigen Beiträgen erwähnten, für charakteristische Kennzeichen der Markomannen halten. Übereinstimmend sehen viele in einer eigenartig zupackenden Tatkraft eines der Elemente des „viriliter age". Auch wenn sie wohl aus scholastischen Gründen in der Reihenfolge unserer drei Prinzipien religio, scientia, amicitia erst am Ende genannt wird, so steht bei durchaus unterschiedlicher Ausgestaltung und Gewichtung im Vordergrund eindeutig die amicitia. ->d. Red.
Markomannia in vergangenen Tagen
Wenn ich auf meinem Studierzimmer im Elternhaus auf der Erphostrasse 11 saß, ertönte am späten Abend gegen elf Uhr häufig der Markomannenpfiff... Die Markomannia brachte mir gute Freundschaften, die nicht nur vorübergehenden Bestand hatten, sondern sich in Jahrzehnten unbeschwert bewährten. Ich war bis nach dem Kriege Vorsitzender des Hausvereins. Zu Beginn der NS-Zeit entstand die Gefahr, dass unser Haus beschlagnahmt würde. Die „Tuiskonia" lebte in einer Villa am Coerdeplatz, die dem Chefarzt Dr. Karl Lentze gehörte; er nahm sein Eigentum vorsichtshalber zurück. Beide Korporationen taten sich jetzt zusammen und nutzten die Kampstraße 10 unter einer damals geläufigen und unverfänglichen Bezeichnung als „Kameradschaftshaus". Im weiteren Verlauf aber genügte das nicht als Schutz vor Enteignung der katholischen Studentenverbindungen durch das NS-Regime.
Die in Berlin beschäftigten Markomannen und Tuiskonen trafen sich regelmäßig im „Siecherbräu" auf der Friedrichstraße. In Münster tagten die Markomannen im Saal und in der viel benutzten Kellerkneipe unseres Hauses, insbesondere auch spätabends in der zu ihr gehörenden „Giftbude", die es leider nicht mehr gibt. Mehrere Bundesbrüder bewohnten auch damals die obere Etage.
Die Damenfeste fanden zu meiner Zeit ebenfalls „auf dem Hause" statt, in den beiden vorderen Räumen die Gelegenheit zum Sitzen und im Saal zum Tanzen.... Brauchtum und Sitte verlangten damals für die Damenfeste ein Ende gegen elf Uhr; ein rechtzeitiger „Notruf" bei den Gattinnen der münsterischen Alten Herren brachte die Erlösung. Sie trudelten, lebhaft begrüßt von den Teilnehmern des Festes, nach und nach ein, was eine Verlängerung erlaubte. Ich sehe sie im Geiste noch am Kopfende des Saales sitzen, etwa die Damen Drolshagen, Meyer-Waldeck, Salzmann, Egen, Spital und Huntgeburth, um nur einige zu nennen, sie hielten die Tanzpaare im Blick. Zur Förderung ihrer Ausdauer und zum Erhalt des Frohsinns, auf der „Drachenburg" wie bei den Tanzenden, diente ein besonders guter Tropfen edlen Weins oder eines Sektgewächses für die „Wache".
Treu schaffende Seelen des Hauses, die für Ordnung und Sauberkeit sorgten, waren Fax und Mutter Heitmann. Sie hatten hervorragenden Kontakt zu allen Mitgliedern des Vereins. Vater Heitmann trug bei feierlichen Anlässen Livree, außerhalb des Hauses auch mit passender Kopfbedeckung, so auch, wenn die Chargen den Eltern des „Damenflors" und ihrer nach Konventsbeschluss (!) als neue „Vereinsdame" eingeladenen Tochter ihre Aufwartung machten: Vorfahrt mit der Pferdekutsche, Heitmann und der Hauderer hoch auf dem Bock. Die Besucher ließen durch den Faxen ihre Karten überreichen und entstiegen dem Gefährt nur und erst, wenn sie gebeten wurden. Manch einer der Beteiligten war froh, wenn es beim Abgeben-Lassen (!) der Karten blieb.
Unser Bootshaus an der Werse bei Vennemann war in der warmen Jahreszeit ein gern besuchtes Eldorado für Kaffeeklatsch und Kartenspiel, zum damals noch üblichen Schwimmen im offenen Fluss und - natürlich - zu Paddelfahrten stromauf und stromab. ... Der „Bullenkopp" am Alten Fischmarkt war ein vorzüglicher und beliebter Treffpunkt. In unserer Kellerkneipe zeugen noch heute große Tischplatten mit zahllosen eingeritzten Namen von genussreichen Stunden. Das ehemalige „Cafe Schucan" am Prinzipalmarkt, schräg gegenüber dem historischen Rathaus, war ein vielfach genutzter Morgentreff. Der eine oder andere bat immer wieder zur Gaudi der Anwesenden den Ober, ihm das „Regierungsblatt" zu bringen; gemeint war die örtliche Zeitung der NSDAP. Doch dieser Scherz wurde später bitterer Ernst.
Wie etwa die Korporationen Rheinpfalz-Köln mit ihrem Nachwuchs aus den angesehenen Kreisen der Stadt, die Walhalla-Würzburg, die Rheno-Bavaria-München, so tönte es gelegentlich auch aus den Reihen der Markomannia, dass sie einem „Weißen Ring" im Kartellverband angehörten, also einer Elite des Verbandes. Das steigerte in dem einen oder anderen Kopf das Selbstbewusstsein. Andererseits zeigte Markomannia keinen besonderen Hang zum Kartellverband; man fühlte sich auch alleine stark.
Ich danke noch heute den Bundesbrüdern, die mir 1935 nach meinem Assessorexamen halfen, beruflich Fuß zu fassen. Ich war kein Parteigenosse und schrieb vergeblich Bewerbungen.... In der Stadtverwaltung (Münster) fand ich (1948) die Bundesbrüder Stadtrat Dr. Paul Engelmeier, Stadtrechtsrat Paul Voßkühler und Rechtsrat Heinrich Austermann vor. Engelmeier war nach 1933 aus politischen Gründen seines Amtes enthoben worden.... Bb Heinrich Austermann avancierte 1952 zum Oberstadtdirektor. ... Für alles, was er für die Stadt, ihren Wiederaufbau und für die Verwaltung getan hat, verlieh der Rat der Stadt Bb Heinrich Austermann den Ehrenbürgerbrief der Stadt Münster, so wie zuvor dem Reichskanzler Dr. Heinrich Brüning und Kardinal Clemens August Graf von Galen.
Beim Empfang zur Vollendung seines 75. Lebensjahres brachte Bb Heinrich Austermann 1984 im Festsaal des Rathauses in einer Ansprache folgendes Vermächtnis zur Kenntnis: ,,Wie ist die Stadt Münster nach dem Kriege wieder auf die Beine gekommen? Die Antwort lautet: Hier waren Menschen am Werk, die ihre Stadt liebten. Es waren Menschen, die in kritischer Lage an einem Strang zogen, wenn die Probleme es erforderten. Weitsichtig haben sie auf Zukunft gesetzt, als die kommende Entwicklung in Stadt und Land, eine mögliche wirtschaftliche Erholung noch gar nicht voraussehbar war." Besser kann man unsere Devise in der Markomannia „Viriliter age !" nicht formulieren!
Sie tempora mutantur!
von Horst Grenz
Eine wechselvolle Zeit liegt hinter uns. ... Bei aller materiellen Kargheit und finanziellen Beschränktheit lag (nach dem Kriege) über allem Tun und Denken eine eigenartige, nicht beschreibbare Aufbruchstimmung. Man spürte: Es geht wieder aufwärts, es wird alles besser werden. Das Joch zwölfjähriger Naziherrschaft war abgestreift, die teils demütigenden Jahre der Militärregierung der Besatzungsmächte waren fast überwunden, das Grundgesetz hatte die so lange geschundene Würde des Menschen zum obersten Verfassungsgebot erhoben, die Wirtschaft blühte auf. Man fühlte sich frei in einem freien Land, ein unbeschreibliches Gefühl. Vor diesem zeitlichen Hintergrund erlebte ich als Gast die ersten Zusammenkünfte der alten Urmarkomannen, für mich damals sehr alte, ehrwürdige Herren, alle über fünfzig. Die jugendliche Begeisterung, in die sie gerieten, wenn die vergangenen, glorreichen Markomannenzeiten heraufbeschworen wurden, beeindruckte mich tief.
Viele Namen tauchen in meiner Erinnerung auf, einige seien hier genannt. „Wihu" Huntgeburth, der Vorkämpfer für die Loslösung aus dem Dreierbund Markomannia-Tuiskonia-Monasteria, Engelbert Brenken, Bernhard Lucas, Heinrich Austermann, Eberhard Hoffschulte und vor allen und immer wieder „Natz" Salzmann, wortgewaltig, manchmal polternd und rauhbeinig, voller Elan und Begeisterungsfähigkeit, die alle mitriss und mit aller Kraft dabei, die alte Markomannia auf einer neuen, festen Grundlage wieder erstehen zu lassen. Und wenn die alten Knaben zum Schluss einer Zusammenkunft in den Gesang einstimmten:
„Drum Brüder reichet Euch die Hand, damit es sich erneure. Es leb' der Freundschaft heil'ges Band, es leb' die alte Treue.",
dann war die virtus amicitiae zum Greifen spürbar.
Mein alter Freund als Pennälerzeiten, Viktor Egen ... stand neben Natz Salzmann an vorderster Front, die Markomannia wieder auf eigene Beine zu stellen. In unermüdlicher Keilarbeit gelang es ihm, bereits im SS 1952 eine lebensfähige Aktivitas mit einer Schar von 19 Mitglieder um sich zu sammeln. ... Seine große Leistung war es, einige junge Studiosi, die sich ja doch mehr oder minder zufällig zusammengefunden hatten, zu einer bundesbrüderlichen Gemeinschaft zu formen und sie auf den vielberufenen alten Markomannengeist einzuschwören. In wahrhaft vorbildlich bundesbrüderlicher Treue ist Viktor Egen bis zu seinem Tod im Februar 1998 unserer Markomannia verbunden geblieben und hat ihr in vielen Funktionen, ob als Aktivensenior oder in vielen Jahren als Altherrenvereinsvorsitzender gedient. Ich rühme mich, über sechs Jahrzehnte lang sein Freund gewesen zu sein.
Sehr intensiv erinnere ich mich an die beiden ersten Nachkriegssemester, meine einzigen Semester als Mitglied der Aktivitas, denn ich stand schon in der Endphase meines Studiums. Sich frei und offen mit Gleichgesinnten auszutauschen, lange Diskussionen zu führen, gemeinsam mit den AHAH Kommerse und frohe Feste zu feiern, sind Erfahrungen und Erlebnisse, die ich nicht missen möchte. Das war ein guter Boden, auf dem so manche Freundschaft fürs Leben gedieh. In Dankbarkeit gedenke ich Natz Salzmann, der mir ein guter väterlicher Freund war. Dankbar bin ich aber auch für die in der Markomannia gewonnene und bis heute währende, verlässliche Freundschaft mit meinen Consemestern, von denen ich drei mit Namen nennen möchte: Leopold Grüter, Lutz Grüter und Rolf Grewe. Wen wundert es, dass es das Prinzip der amicitia ist, das mich zuallererst berührt, wenn ich an Markomannia denke. Natürlich ist die religio ... das unverrückbare Fundament, auf dem unsere amicitia gedeiht. Sie muss auch der Fels in der Brandung sein, um die atemberaubenden Veränderungen der scientia ... zu bestehen.... Möge die Markomannia auch in ihrem zweiten Jahrhundert ein fester Hort für religio, scientia und amicitia sein!
Aus der Fuchsenfibel
von Heiner Arning
„ ... was einen Alten Herren Markomanniae fast 40 Jahre nach seinem Eintritt in die Markomannia immer noch gerne Markomanne sein läßt. ... Auch heute (ist) die Markomannia ... als Gemeinschaft aktiver Bundesbrüder... bestimmt und geprägt durch Lehre und Tradition der katholischen Kirche, ... über deren Geltung ... unter Bundesbrüdern nicht diskutiert zu werden braucht. Man weiß ... dass man von denselben Grundvorstellungen ausgeht, dass man auf demselben Fundament steht. Das schafft mehr Vertrauen und führt zu mehr Offenheit gegeneinander.... man ist unter sich. Andererseits befähigt das Bewusstsein gemeinsamer Grundüberzeugungen auch besser dazu, nach außen als Gemeinschaft mit Andersdenkenden zu diskutieren. Zu den gemeinsamen Grundvorstellungen gehört das Bewusstsein, auch nach dem Studium als katholischer Akademiker persönlich für die Verwirklichung der für richtig gehaltenen gemeinsamen Werte einzutreten - auch gegen den allgemeinen Trend. Wir müssen Elite sein, d. h. Sauerteig in der Gesellschaft." (1996)
Inschrift auf dem Grundstein des Mk-Hauses: „STO MEIS"