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Farbentragen

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Im unübertroffenen Studentenwörterbuch von Friedheim Golücke, dessen letzte Auflage 1987 erschienen ist, sucht der Benutzer nach dem Lexem "nicht-farbentragend" vergeblich. Er findet zwar "nichtschlagend" und einen längeren Artikel über den Begriff "farbentragend", und dieser ist ausführlicher geraten als andere, weil er die meisten farbentragenden Verbände aufführt. Außerdem erfahren wir bei Golücke etwas über das "Farbenverbot", das nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten an vielen deutschen Hochschulen wegen der unterstellten Hilfsdienste der Korporationen bei der Unterwanderung der Hochschulen durch die Nationalsozialisten ausgesprochen wurde. Folge war, dass es in Deutschland unüblich geworden ist, in Couleur zu Lehrveranstaltungen zu gehen. Hier begegnet uns nun ein Synonym für studentische Farben: die Couleur. Dieses aus der französischen Sprache entlehnte Wort kam wohl in der Französischen Revolution zu uns, als die Trikolore (les trois couleurs nationales) auch in Deutschland von studentischen Bünden übernommen wurde, um sich dadurch mit den Idealen der Revolution (liberté, égalité, fraternité) zu identifizieren. Als dann französische Truppen Ende des 18. Jahrhunderts das Rheinland besetzten, verlangten sie von der Bevölkerung, rosettenförmige Hutschleifen in den Nationalfarben, sogenannte Kokarden, zu tragen. Auch die zu Ehren der neuen Herren aufgestellten Freiheitsbäume trugen Bänder in den Nationalfarben, und die Bürgermeister legten in der Franzosenzeit im Rheinland eine um die Hüften geschwungene Schärpe in den französischen Farben blau-weiß-rot an. Dadurch sollte für jedermann die Zugehörigkeit zur grande nation und zu den Errungenschaften der zwar blutigen, aber erfolgreichen Erhebung gegen das Ancien Regime sichtbar werden. Auch die erste Darstellung eines Bandträgers zeigt ein Mitglied des Gemeinderates von Paris zur Revolutionszeit. Freilich hatten die französischen Revolutionäre das Tragen von Farben nicht erfunden. Fahnen, Bänder, Schleifen, u.ä. gab es längst schon im Mittelalter, auch im militärischen Bereich, wie überhaupt die studentische Tracht von militärischer Gewandung immer stärker beeinflusst wurde. Schließlich sind uns Katholiken bis heute die liturgischen Farben vertraut, etwa Rot für die Märtyrer oder Weiß für die Marienfeste. Insgesamt dienen Farben als unübersehbare Ausdrucks-, Kommunikations- und Orientierungshilfen. So war es auch bei den universitären Fakultäten in Deutschland bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Bei akademischen Feiern legten die Theologen violette, die Juristen purpurrote (wie heute noch das Bundesverfassungsgericht), die Mediziner scharlachrote und die Philosophen dunkelblaue Talare an. Die sogenannte Studentenrevolution, die sich sonst gerne als Erbe der Aufklärung sah, deren Professoren den Talar nicht verschmäht hatten, machte diesem Brauch in Deutschland ein Ende. Es ist verständlich, dass die 68er ihre Ablehnung der universitären Farben auch auf die farbentragenden Studenten übertrugen. Deren farbentragende Tradition geht nicht auf die Französische Revolution zurück, sondern lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Studentische Farben, die u.a. als Schleifen am Degengriff, auch hier wieder die Nähe zum Militär, schließlich an Hüten und Stöcken erscheinen, gaben Auskunft über die landsmannschaftliche Herkunft und im 18. Jahrhundert über die Zugehörigkeit zu studentischen Zusammenschlüssen. Das heute noch getragene Brustband war damals noch kein studentisches Erkennungszeichen. Es entwickelte sich wohl aus dem Uhrband und wurde erst ab 1830 allgemein üblich. Doch trugen es längst nicht alle Studenten. Es gab auch "Farblose", die von den Farbentragenden verächtlich als Finken, Kamele, Wilde oder Obskuranten bezeichnet wurden. Das blieb nicht ohne Reaktion. Nicht-Farbentragende schlossen sich zu eigenen Bünden zusammen und errangen hier und da sogar gleiche Rechte wie die Verbindungsstudenten. Das Farbentragen setzte sich zudem nicht an allen Universitäten durch. In Königsberg z.B. trugen alle Studenten seit 1817 bis 1875 nur ein gemeinsames Abzeichen, den silbernen Albertus am Hut. Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts, also etwa gleichzeitig mit der Übernahme des Bands als Erkennungszeichen der Verbindungsstudenten, taucht eine radikaldemokratische Bewegung auf, Progress (Fortschritt) genannt, die sich aus sozialen Gründen gegen die Sonderrechte der Studenten wendet. In Gustav von Struves Zeitschrift für Deutschlands Hochschulen und danach in der von Friedrich Baader redigierten Akademischen Zeitschrift findet sie ein eigenes, wirkungsvolles Blatt (Schulze-Ssymank). Es sind übrigens die ersten beiden Studentenzeitschriften Deutschlands. An den Freiheits- und Gleichheitsbegriff der Französischen Revolution anknüpfend, lehnen die Anhänger des Progress, die sich in Vereinigungen zusammenschließen, jedes Vorrecht der Studenten vor den Bürgern und der Verbindungsstudenten vor den Nichtkorporierten ab. Dazu gehört auch ausdrücklich der Verzicht auf äußere Kennzeichen wie das Band, das zum wesentlichsten Kennzeichen der Studenten geworden und vielfach mit Daten ausgefochtener Zweikämpfe oder dem Stiftungstag der Korporation versehen ist. Das andere signifikante studentische Erkennungszeichen, die farbige Mütze, war für die Farbstudenten damals weniger bedeutend, da eine solche Kopfbedeckung ebenfalls zur Kleidung der Soldaten, Eisenbahner, Pennäler u.a. gehörte. Doch Band trugen diese nicht. Heute ist der Prozess fast vergessen. Zu Unrecht. Er war mit seinen konsequent demokratischen und sozialen Ideen wesentlich moderner und zukunftsträchtiger als die übrigen damaligen Korporationen (Jarausch). Unser Verband ist mit ihm in der Verwerfung des Duells, Ablehnung des Farbentragens und durch den Verzicht auf sinnlose studentische Rituale verwandt. Er verstand und versteht sich als die "offenere Alternative" zu den farbentragenden Verbindungen (Jarausch). Noch älter als der Progress ist die burschenschaftliche sozialreformerische Bewegung mit Namen "Arminia", die sich 1822 eine sittlich-volkstümliche Bildung zum Ziel setzte, die durch sie auf das Volk übergehen sollte (Golücke). Diese Idee hat der erste KV-Verein um die Mitte des 19. Jahrhunderts wieder aufgenommen und in die Praxis umgesetzt, indem er sich um Berliner Arbeiterkinder kümmerte und ihnen z.B. Nachhilfeunterricht gab. Es ist wohl auch kein Zufall, dass sich in Bonn 1863 eine katholische Korporation "Arminia" nannte, die ursprünglich "Winfridia" nach dem Apostel der Deutschen hatte heißen sollen. Ebenfalls nicht ohne Einfluss scheint die arministische Richtung auf die um 1830 entstandene nicht-farbentragende Erlanger "Uttenruthia", die Urzelle des späteren Schwarzburgbundes, gewesen zu sein. Ihr gehörten evangelische Theologen an, die fern vom weltlichen Treiben der Verbindungen, ein mit christlichem Geist erfülltes Studentenleben führen wollten (Schulze-Ssymank). Ähnlich dachten 1853 die Gründer des katholischen Lesevereins, die in der heutigen Askania-Burgundia fortlebt, die freilich christlich durch katholisch ersetzten. Bei ihrer Gründung wurde wie bei der "Uttenruthia" über das Farbentragen nie diskutiert. Die Frage stellte sich überhaupt nicht. Zunächst einmal war die erste KV-Gründung ein wissenschaftlicher Leseverein. Solche hatte auch der Progress gefördert, damals um die Bildung eines unabhängigen Urteils zu ermöglichen und Zugang zum liberalen Tagesschrifttum zu erlangen (Jarausch), jetzt bei unserem Verein, um katholisches Schrifttum zu erhalten und Zeitungen lesen zu können, die in den Berliner Bierlokalen nicht geführt wurden. Auch bei dem 1855 entstandenen Unitas-Verband, der ein reiner Theologenbund war, stellte sich die Farbenfrage nicht. Für angehende Geistliche war es undenkbar, sich mit studentischen Couleur-Artikeln zu schmücken. Bei unserem ersten Verein lagen die Verhältnisse jedoch etwas anders. Ihm gehörten gestandene Akademiker an, die ihre Studentenzeit längst hinter sich hatten und sich schon deshalb nicht studentische Attribute anlegen konnten. Hinzu kam, dass die studentischen Mitglieder für sich wie der Progress ausdrücklich keinerlei akademische Vorrechte beanspruchten. Sie lehnten die Idee einer "akademischen Aristokratie" ab. Sie wollten sich nicht von den Mitbürgern unterscheiden, die nicht studiert hatten und auch nicht von ihren Kommilitonen, die keiner Korporation beitreten wollten oder wegen fehlender finanzieller Mittel ihnen oft nicht beitreten konnten. Diese soziale Motivation der Ablehnung des Farbentragens wurde noch in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Akademischen Monatsblättern als ausschlaggebend genannt. Carl Sonnenschein fand deshalb auch im KV zahlreiche Mitarbeiter, die sein Sekretariat Sozialer Studentenarbeit stützten, Arbeiter fortbildeten, sich mit staatsbürgerlichen Einrichtungen, Gewerkschaftsarbeit, Arbeiterseelsorge und gesellschaftspolitischen Problemen vertraut machten. Das wurde als eine direkte Fortsetzung des sozialen Engagements aus der Gründerzeit des KVs empfunden. Einen Farbenstreit hat es im KV bis vor kurzem nicht gegeben, anders als im UV, der schon vor dem Ersten Weltkrieg Korporationen an den farbentragenden CV verloren hatte. Dieser hatte sich zum Farbentragen entschlossen, um die Gleichberechtigung der Katholiken gegenüber den schlagenden Korporationen zu demonstrieren. In den 20er Jahren erlebte der UV eine richtiggehende "Couleurkrise". Mehrere Korporationen traten aus und gründeten 1924 den später so genannten farbentragenden Ring der katholisch-deutschen Burschenschaften. In der Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Unitas-Verbandes 1981 meinte Peter Joseph Hasenberg 57 Jahre danach, der Ausgang des jahrelang mit Erbitterung geführten Streites ... habe sich, auf Dauer gesehen, als heilsamer Reinigungs- und Heilungsprozess erwiesen. Das mag im Nachhinein richtig sein, lässt aber offen, ob nicht gewachsene Freundschaften damals zerbrochen und Narben zurückgeblieben sind. Wie bereits erwähnt, war der spätere KV nicht der erste nicht-farbentragende Studentenverband. Neben dem Unitasverband gab es auf katholischer Seite noch das Kartell katholisch-süddeutscher Studentenvereine (SKV, 1881), den katholischdeutschen Verband (KDV, 1891), den Verband katholischer Studentenvereine (VKST, 1898), den Verband der katholischen Studentenvereine zur Pflege der Wissenschaft (kath.Wiss.V, 1894) und den Verband der katholischen deutschen Studentinnenvereine (1913). Heute bestehen in Deutschland neben UV und KV noch folgende nicht-farbentragende Verbände:

  • Der Akademische Turnbund (ATB),
  • der Miltenberg-Wernigeroder Ring (MWR),
  • der Sondershäuser Verband Akademisch-Musikalischer Verbindungen (SV),
  • der Verband der akademischen Seglervereine (VASV) und
  • der Verband der Vereine Deutscher Studenten (VVDSt).

Außerdem gibt es neben diesen sieben Aufrechten auch noch einige kleinere Verbände, die das Farbentragen freistellen. Ziehen wir ein Fazit, so können wir feststellen, dass das Nicht-Farbentragen eine lange Tradition hat und auch auf die demokratische Studentenbewegung des 19. Jahrhunderts verweist, wo es aus sozialen Gründen abgelehnt und das Fundament zu dem gelegt wurde, was wir heute die Zivilgesellschaft nennen. Das ist ein verpflichtendes Erbe.

Kb Dr. Wolfgang Löhr:

Vom Werden und Sinn einer Tradition

Siehe auch

Richtlinien zur Handhabe der Bestimmungen des § 27 KVO durch den KV-Rat