Wingolfsbund
Wingolfsbund (WB)
farbentragend (seit 1848) nicht-schlagend (seit 1850) christlich Gegründet 1844, seit 1860 „Wingolfsbund", 1955 Freundschafts- und Arbeitsabkommen mit dem VVDSt; Mitglied in CDA/CDK. Mitglieder: 36 Verbindungen
671 Aktive
3.922 Alten Herren
Farben: schwarz-weiß-gold Wahlspruch: Di henos panta Verbandsorgan: Wingolfs-Blätter
Internetseite: http://www.wingolf.org
Geschichte
Gründungszeit bis 1870
Der Wingolf betrachtet, nach verschiedenen Vorläufern seit 1826, das Jahr 1844 als eigentliches Gründungsdatum. Er entstammt der deutschen Romantik und dem Vormärz und hat mit seiner Liebe zum Vaterland, seinem Bekenntnis zu Christus und mit seiner korporativen Lebensform teil an der urburschenschaftlichen Tradition.
Der Name "Wingolf" geht zurück auf Klopstock (1724-1803), der in seinen Wingolfsoden das Wort "Wingolf" als "Tempel der Freundschaft" deutete. 1844 trafen sich die ersten Wingolfsverbindungen in Schleiz (Thüringen), ab 1850 wählten sie die Wartburg als Tagungsort und feierten seitdem in Eisenach ihre Wartburgfeste. Dort einigten sie sich auf das gemeinsame Prinzip: "Der Wingolf ist ein christlicher Studentenverein". Die darin ausgesprochene Forderung, die überlieferten Formen studentischer Verbindungen an den Forderungen des Christentums zu messen, schreibt dem Wingolf seine Stellung vor und beherrscht seine Geschichte.
Seit 1848 sind Schwarz-Weiss-Gold die offiziellen Farben des Wingolfs, doch tragen einige örtliche Verbindungen auch andere Farben. Duell und Mensur lehnt der Wingolf - durch sein christliches Ethos bedingt - seit jeher ab. Der Wahlspruch des Wingolfs lautet:
"Durch Einen Alles"
(griechisch: Di´ Henos Panta)
Sein Bekenntnis zu Christus vertritt der Wingolf ohne Bindung an eine bestimmte Konfession; er ist bewusst ökumenisch. Organisatorisch schlossen sich die Wingolfsverbindungen 1852 zum Gesamtwingolf mit gegenseitigem Eintrittsrecht zusammen. Daraus ergaben sich aber bald Schwierigkeiten, einmal infolge der verschiedenen Gesetze der deutschen Einzelstaaten, dann wegen der Eigenentwicklung der Verbindungen. Ein nach dem Alter der Verbindungen von Wartburgfest zu Wartburgfest wechselnder Vorort führt seitdem die Bundesgeschäfte. Im ganzen Bund gilt das brüderliche "Du", auch unter den Philistern (Alten Herren).
Im Deutschen Kaiserreich (1871-1918)
Im Deutschen Kaiserreich wurde der Wingolf einerseits durch Neugründungen, das Erscheinen der Wingolfsblätter ab 1872 und eine engere Verbindung der Philister ausgebaut: 1901 schlossen sich diese organisatorisch als "Verband Alter Wingolfiten" (VAW) zusammen. Andererseits belasteten Prinzipienkämpfe den Wingolf, die zeitweise zur Auflösung des Wingolfsbundes führten: 1873-1880 ging es um theologische Streitfragen wegen unterschiedlicher Auffassungen in den einzelnen Verbindungen hinsichtlich des christlichen Prinzips. Als Ergebnis dieses Streites wurde festgestellt, dass der Wingolf sich aus theologischen Streitfragen, Dogmatismus und Orthodoxie heraushalten solle. 1884/85 entbrannte ein weiterer Streit, diesmal um das nationale Prinzip im Wingolf. Hier kam man zu dem Ergebnis, dass die Pflege nationaler Gesinnung nicht ein eigenes Prinzip des Wingolfs, doch diese mit dem übergeordneten christlichen Prinzip vereinbar sei. Im Wingolf erfolgte damals - wie auch in anderen Korporationsverbänden - eine innere Ausrichtung auf Kaiser und Reich. Dennoch hat sich der Wingolf in seiner Entwicklung bis 1918 nicht durch die verschiedenen Zeitströmungen erschüttern lassen, sondern ist sich auf der Grundlage seines christlichen Prinzips treu geblieben. Am Ersten Weltkrieg nahmen 3800 Wingolfiten teil. Da die Verlustziffern mit 22 Prozent beträchtlich waren, richtete der VAW 1917 eine Kriegsstiftung des Wingolfs ein, die soziale Hilfe für Wingolfiten und Hinterbliebene leistete.
In der Weimarer Republik (1919-1932)
In der Weimarer Republik war der Wingolf an fast 40 deutschen Hochschulen vertreten. Zur strafferen Organisation der Philisterschaft wurde 1919 ein Generalsekretär bestellt, der die Kontakte zwischen Aktiven und Philistern stärkte. 1922 wirkte der Wingolf bei dem Erlanger Verbände- und Ehrenabkommen maßgeblich mit, nach dem die wingolfitische Ehrauffassung (Verzicht auf Duell und Mensur) allgemein Anerkennung fand. Nach 1919 gewannen in den Wingolfsverbindungen das nationale und vaterländische Prinzip stark an Bedeutung. 1925 hatten zwei Drittel der 31 Wingolfsverbindungen den vaterländischen Gedanken satzungsmäßig verankert. Auf dem Wartburgfest 1922 wurden zum ersten Mal Turn- und Sportwettkämpfe durchgeführt. Die Aktiven sollten vier Wochenstunden turnen und schwimmen; ein Sportwart setzte vor Sportwettkämpfen das Verbot von Nikotin und Alkohol durch. 1925 wurde im Wingolfsbund ein "Grenzlandamt" eingerichtet, das den Gedanken an die im Versailler Vertrag verlorenen Gebiete lebendig halten sollte. Daneben gab es im Wingolf politische Studienkränzchen und Arbeitsgemeinschaften, die sich mit sozialen Fragen beschäftigten. 1930 verbot der Wingolf auf seinen Veranstaltungen, besonders den Wartburgfesten, politische Abzeichen zu tragen. 1932 fand eine parteipolitisch beeinflusste Anti-Versailles Kundgebung an der Universität Frankfurt am Main statt. Der Frankfurter Wingolf, der damals Vorort des Wingolfsbundes war, versuchte in Konventen seine Haltung festzulegen. Man sprach sich gegen Materialismus und schrankenlosen Individualismus und Liberalismus aus, doch betonte man, dass der Geist, der den Wingolf treibe, allein das "Di' Henos Panta" sei.
Die Zeit der Diktatur
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 stellte sich bald heraus, dass der Wingolf als christliche Studentenverbindung bei den neuen Machthabern nicht unangefochten blieb. Eine große Mehrheit im aktiven Bund und in der Philisterschaft war jedoch entschlossen, am Wingolf festzuhalten und möglichst viel von seinem Wesen zu erhalten. Das wurde erschwert durch die mit der Reichsregierung abgestimmte Forderung der "Deutschen Studentenschaft", die studentischen Verbände im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung nach dem Führerprinzip einzurichten. Dabei sollte als Führer eine Persönlichkeit mit nationalsozialistischer Gesinnung ausgewählt werden; außerdem sollte man den Duellstandpunkt als Ehrengesetz annehmen. Im Juni 1933 war der Wingolfsbund gezwungen, Dr. Robert Rodenhauser zum "Wingolfsführer" zu wählen. Damit war wie in den meisten anderen Verbänden das Führerprinzip eingeführt. Rodenhauser wurde als Verbandsführer in Potsdam im Juli 1933 für die Durchführung des Arierparagraphen im Wingolf haftbar gemacht, d.h. für den Ausschluss derjenigen Philister aus dem Wingolf, die jüdischer Herkunft waren. Damit stand der Wingolf vor einer Zerreißprobe. Das Lebensbundprinzip ließ eine solche Maßnahme nicht zu. Für Rodenhauser gab es keine andere Wahl: Er musste entweder die Anordnung befolgen oder den Bund auflösen. Betroffen waren 13 Philister, die aus dem Wingolfsbund ausgeschlossen wurden. Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde von Jahr zu Jahr deutlicher, dass der Wingolf - wie die anderen Korporationen - keine Lebensmöglichkeit mehr besaß. Nach dem vergeblichen Versuch, den Wingolf als "Christlichen Arbeitskreis" aufrecht zu erhalten, blieb im Februar 1936 nur der Weg der Selbstauflösung. Entscheidend dabei war, dass das nationalsozialistische Regime den Duellstandpunkt für alle Korporationen verbindlich gemacht hatte. 1938 musste sich auch der "Verband Alter Wingolfiten" (VAW) auflösen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Wingolf zu spät erkannt hat, dass er bei dem Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Herrschaftssystems keine Chance hatte zu überleben. Auch wäre es aus heutiger Sicht wichtig gewesen, in der Arierfrage dem Druck des nationalsozialistischen Staates nicht nachzugeben, sondern sich bereits in diesem Zusammenhang aufzulösen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind seit 1947 an 31 Hochschulorten der Bundesrepublik Deutschland und Westberlins 32 Wingolfsverbindungen neu entstanden. Auch der Wingolf zu Wien ist seit 1960 Mitglied des Wingolfsbundes. Der 1948 neu gegründete Wingolfsbund hat das Wingolfsprinzip "Di' Henos Panta", das ernsthafte Streben nach christlicher Lebenshaltung fordert, für seine Verbindungen verbindlich gemacht. Auf dem ersten Wartburgfest nach dem Krieg im Juni 1949 in Eltville wurden die aus dem Wingolf auf Druck der Nationalsozialisten ausgeschlossenen "Nichtarier" und Freimaurer um Verzeihung gebeten und diese Bitte wurde angenommen. Diejenigen Bundesbrüder, die überlebt hatten und wieder gefunden werden konnten, sind in den Bund zurückgekehrt. In Eltville wurde ferner der Beschluss gefasst, die Liquidation des VAW aufzuheben. Dr. Lütkemann wurde zum Vorsitzenden der Philisterorganisation gewählt. Das hochschulpolitische Engagement der Wingolfiten wurde durch den 1951 gegründeten Hochschulpolitischen Ausschuss intensiviert. Umerziehung, Neuordnung und Demokratisierung, die nach dem Kriege in der Bundesrepublik erfolgten, fanden auch im Wingolf ihren Niederschlag, indem auf dem Wartburgfest im Mai 1953 folgende Resolution verabschiedet wurde: "Der Wingolfsbund hält es für notwendig, in den Verbindungen in vermehrtem Maße die Erziehung der Bundesbrüder zu Menschen mit lebendigem staatsbürgerlichen Interesse und dem Bewusstsein einer besonderen politischen Verantwortung zu fördern". So regeln in den einzelnen Verbindungen die Bundesbrüder in demokratischer Form das Verbindungsleben. Als Erziehungsgemeinschaft ist der Wingolf bestrebt, seine Mitglieder in ihrer Verantwortung als Akademiker und Christen in Staat und Gesellschaft einzufügen. Frei von jeder parteipolitischen Bindung lehnt der Wingolfsbund jegliche Art von Extremismus ab. Zu den Verbindungen des Falkensteiner Bundes in der Schweiz bestehen freundschaftliche Beziehungen. 1970 wurde der Wingolf durch das Reformprogramm des Göttinger Wingolfs, das u.a. eine Mitgliedschaft von Studentinnen vorsah, mit seinem Selbstverständnis beschäftigt. In der "Bielefelder Abmachung" von 1971 wurde geklärt, dass der Wingolf als Ganzes beim Grundsatz des Männerbundes bleibe.
Nach der Wiedervereinigung
Nach der Wiedervereinigung wurde 1991 die Tradition der Wartburgfeste wieder in Eisenach aufgenommen. Zur Zeit besteht der Wingolfsbund aus 36 aktiven Verbindungen. In den neuen Bundesländern wurden in Jena, Rostock, Erfurt, Dresden (wieder vertagt), Halle und Leipzig Wingolfsverbindungen neu gegründet, in den alten Bundesländern entstand der Bremer Wingolf. Außerhalb der Bundesrepublik bestehen in Österreich der Wingolf zu Wien und in Estland die Arminia Dorpatensis als Wingolfsverbindungen. Zur Qualifizierung seiner Mitglieder organisiert der Wingolfsbund die "Akademie des Wingolfs". Sie soll Bundesbrüdern während des Studiums und danach notwendiges Wissen, unter anderem in den Bereichen Rhetorik, Gestaltung des Studiums, Management, Projektplanung und Personalführung vermitteln. Der Wingolf bietet weiterhin das an, was er seit 1844 angeboten hat: einen Ort der Gemeinschaft als Lebensbund unter christlichem Vorzeichen.
von Manfred Wieltzsch