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Freundschaft

Der KV bietet den Kartellangehörigen die Möglichkeit, über eine bloße Zusammenarbeit hinaus auf den anderen einzugehen, sich ihm zuzuwenden und Freundschaften zu schließen. Die stärkere Auseinandersetzung mit dem anderen fördert das Verständnis füreinander und die Toleranz gegenüber den Überzeugungen Andersdenkender. Aus der gegenseitigen Toleranz erwächst eine kartellbrüderliche Verbundenheit.

In der Dreieinigkeit der Orientierungsmotive und Handlungsziele der katholischen Studentenverbindungen steht die Freundschaft an dritter, d.h. an letzter Stelle. Dies bedeutet keine Minderbewertung gegenüber den zwei vorausgehenden Prinzipien der Verbindungen. Es handelt sich vielmehr um eine räumliche Anordnung, die kein Gewicht für den Rang der Freundschaft ausdrücken soll. Die dritte Stelle ist ihr psychologischer und logischer Ort im Gesamt der Verbindungen. Religion und Wissenschaft sind die Quellen, aus denen die in Verbindungen gepflegte Freundschaft gespeist wird, die ihrerseits wieder einen weittragenden Einfluß auf die beiden anderen Ideale ausübt. Wenn die Studentenverbindungen von ihren drei Prinzipien sprechen und ihre Mitglieder darauf verpflichten, so will natürlich damit in keiner Weise anderen Gruppierungen abgestritten werden, was die katholische bzw. christliche Vereinigung für ihre Wegweisung in Anspruch nehmen. Die drei Motive sind vielmehr ein Signal, durch welches die Angehörigen wissen, worauf sie sich verpflichten und wohin sie gehen, wenn sie sich in einer Verbindung dieser Art ansiedeln. In den seit eh und je für die katholischen Verbindungen an den Universitäten charakteristischen Idealen zeigt sich die Eigentümlichkeit solcher Gemeinschaften, das proprium, die spezifische Eigentümlichkeit, durch welche die Gruppe zusammengehalten und zugleich abgegrenzt wird. Es wäre ebenso töricht wie ungerecht, den katholischen Verbindungen den Vorwurf zu machen, daß sie durch die Inanspruchnahme der drei Ideale anderen Vereinigungen eines von ihnen oder alle absprechen wollten. Es wird aber behauptet, daß nur Studenten, die an Gott glauben oder Gott suchen, und zwar im Sinne der katholischen Kirche, sowie der wissenschaftlichen Welterklärung in ihren verschiedenen Dimensionen, sei es in anthropologischer, sei es in naturwissenschaftlicher Hinsicht, zustreben, sowie im Kreise von Freunden sich zu Hause fühlen, in eine solche Gruppe passen. Sie nehmen durch die Aufnahme in diese eine weittragende Lebensform und zugleich eine schwere und doch emporhebende Verantwortung auf sich. Um die Tragweite des Vorgangs zu verstehen und neu zu erkennen, daß in ihm nicht nur eine augenblickliche Laune, sondern eine Entscheidung, und zwar eine solche für das ganze Leben zum Ausdruck kommt, wollen wir, nachdem die beiden ersten Motive schon analysiert sind, uns dem Begriff und dem Verhalten der Freundschaft zuwenden, ohne die eine Verbindung nicht existieren kann. Auf jeden Fall ist die Freundschaft eine Beziehung des Menschen zum Menschen oder der Menschen zu den Menschen. Man kann sie in die Kategorie der Liebe einreihen. Sie ist in diesem Zusammenhang nicht nur eine bestimmte Stufe der Hinordnung des einen zum anderen, sondern ein Vorgang und ein Verhalten mit einer bestimmten Qualität, welche allerdings fließende Grenzen nach unten und nach oben hat, zur Kameradschaft hin und zur Liebe hin. Freundschaft ist weder ein willentliches noch ein willkürliches Ereignis. Sie hat ihre Wurzel in dem Wesen des Menschen selbst. Gerade darauf beruht ihr hoher Rang und das von ihr ausgehende Glück. Der Mensch ist wesentlich offen für den Menschen, nicht nur zu ihm, sondern für die ganze Welt, die sich um ihn herum ausbreitet. Wenn die Offenheit nicht erfüllt wird, bleibt der Mensch in jener Einsamkeit, in welcher er mit seiner eigenen Armut leben und auskommen muß. In Freundschaft gewinnt er den Reichtum des anderen oder vieler anderer für sich. Ebenso verschenkt er sein Eigenes an die anderen oder an den anderen, mit denen oder mit dem er verbunden ist. Es erhebt sich dabei die Frage, ob es eine so hohe Beziehung nur zwischen zwei Menschen geben kann oder ob es eine Freundschaft mit einer großen Zahl gibt. Infolge der Begrenztheit des menschlichen Erkennens und Liebens erhebt sich in dieser Frage keine geringe Problematik. Wir verwenden das Wort Freundschaft vielfach in einem abgeflachten Sinne. Ich brauche nur einige Beispiele zu nennen. Es gibt den Geschäftsfreund, ohne daß zwischen solchen Freunden eine seelische Verbundenheit bestehen muß, den Parteifreund, der vielleicht seinen Parteifreund in nicht geringem Maße bekämpft, den Wanderfreund, den Schulfreund, den Sportsfreund und viele mehr. Je mehr Freundschaften dieser Art bestehen, um so weniger kann sich die Freundschaft im eigentlichen bzw. im strengen Sinn entfalten. Sie bezieht sich in den genannten und ähnlichen Fällen auf ein bestimmtes gemeinsames Tun, aber nicht auf den Menschen in seiner Personalität selbst. Diese letztere greift tiefer und berührt die Seele des Menschen, nicht nur sein Interesse, wenngleich natürlich aus dem Interesse im Glücksfall auch die echte, nach innen greifende Freundschaft entstehen kann. Diese bedarf noch einer genaueren Interpretation. THOMAS VON AQUIN meint, Freundschaft beinhalte, daß die Freunde das Gleiche wollen und das Gleiche denken. Es läßt sich wohl nicht leugnen, daß dies eine sehr unbestimmte und vage Erklärung der Freundschaft ist. Wenn wir über die auf der mittelalterlichen Anthropologie beruhende Psychologie hinausgehen, stellen sich viele, nicht nur weiter ausholende, sondern tiefer greifende Elemente ein. Ohne jeden Zweifel schließt die echte Freundschaft eine personale Verbundenheit in sich. Diese führt naturgemäß zu nicht wenigen funktionalen Verbundenheiten im menschlichen Handeln und Denken. Davon soll im folgenden die Rede sein. Die erste und wichtigste ist, daß die Freunde miteinander - wie man heute sagt - kommunizieren. Damit ist natürlich nicht gemeint, was man in der kirchlichen Liturgie mit dem Worte meint. Es ist vielmehr gemeint, daß sie sich gegenseitig mitteilen. In der Bibel sagt CHRISTUS bekanntlich einmal zu den Aposteln:

„Ich nenne Euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde, weil ich Euch alles gesagt habe, was ich von meinem Vater weiß."

Freundschaft schließt also in sich die Selbstmitteilung des einen an den anderen ein, sie haben voreinander keine Geheimnisse. Freundschaft schließt also eine gewisse, wenn auch keine volle Intimität in sich. Dies führt dazu, daß ein Freund von den Schwierigkeiten und Nöten, von den etwaigen Verzweiflungen und auch von dem Glück und der Freude des anderen weiß. Freundschaft wird so zum Mitleiden und zum Mitglück. Derartiges stellt Forderungen. Es läßt sich nämlich nur durchführen, wenn die zahlreichen entgegenstehenden Verhaltensweisen überwunden werden. Solche sind etwa Neid oder Mißgunst oder Eifersucht oder Schadenfreude. Wer solches in sich trägt, kann nicht der Freund dessen sein, dem er dies negativen Haltungen oder Handlungen entgegenbringt. Man kann leicht sehen, daß infolge der moralischen Anfälligkeit des Menschen unter solchen Aspekten die Freundschaft eine große Aufgabe ist. Wir kommen in dieser Frage weiter durch die Einsicht, daß der echte Freund dem anderen in seinen geistigen und materiellen Nöten beisteht, soweit ihm dies möglich ist, daß er ihn in seiner Verzweiflung tröstet, in seinen Anfechtungen ermutigt, ihm in seiner Vereinsamung zur Seite steht. Die Freundschaft hat eine helfende, eine bewahrende, eine befreiende, eine sichernde und aufrichtende Kraft. So ist es verständlich, daß in der Heiligen Schrift die Freundschaft oder vielmehr der Freund, soweit er echt ist, gepriesen wird als ein besonderes Geschenk Gottes. Nun stellt sich aber sogleich eine Gegenfrage. Die Freundschaft kann wie jede Begegnung mit einem anderen zur Last werden. Dies geschieht überall dort, wo sich die Freunde in ihrem Freiheitsraum bedrohen. Es gehört kein geringes Fingerspitzengefühl dazu zu spüren, wann die Freundschaft und die in ihr begründete Hilfsbereitschaft oder der aus ihr hervorgehende Trost zur Zudringlichkeit und zur Belästigung entartet. Oder wenn ein Freund sich gedemütigt fühlt, weil er dem Freunde nicht mit gleichen äußeren oder inneren Gaben antworten kann, die er von ihm selbst empfängt. Die gefährlichste Bedrohung der Freundschaft stellt es dar, wenn einer dem Freunde zum Bewußtsein bringen will, wie sehr dieser ihm zu Dank verpflichtet ist. Daran sind schon viele Freundschaften zerbrochen. Die Freundschaft soll sich selbst realisieren, ohne die ihr gebührende Antwort zu erwarten oder gar zu fordern. Solche Erfahrungen zeigen, daß die Freundschaft eine moralische Verpflichtung in sich trägt. Sie bedarf der Verwurzelung in jener Freundschaft, in der sich Gott mit den Menschen verbindet. Wir stoßen hier auf einen Punkt, der nicht von vornherein zu erwarten war, der aber das ganze Leben eines Christen prägt. Ohne Opferbereitschaft ist auch eine aus dem tiefen Herzen aufsteigende Freundschaft nicht möglich. Sie kann nicht leben ohne das Gefühl der Verbundenheit. Wo sie sich aber auf eine solche beschränkt, wird sie an Auszehrung sterben. Wenn die katholischen Verbindungen sich die Freundschaft als Lebensprinzip gewählt haben, so dürfen sie diese Seite nicht vergessen und nicht vernachlässigen. Sonst wird ihr drittes Prinzip zur Illusion. Die unerläßli-che Opferbereitschaft hat viele Formen. Sie lassen sich in einem kurzen Artikel nicht aufzählen. Eine besteht darin, daß auch der „Alte Herr" in einer Verbindung dem jungen Fuchs als Freund begegnet und nicht als älterer Lehrmeister, daß auf der anderen Seite auch der junge Bundesbruder dem älteren oder alten als einem Freund und nicht als einem abgeschriebenen Greis begegnet. Die Bundesbrüderlichkeit durchzieht die ganze Verbindung sowohl in der vertikalen als auch in der horizontalen Richtung. Es kann nicht verschwiegen werden, daß ein solches Verständnis der Freundschaft nie in vollem Maße gelingen kann, aber ständig als Ziel vor dem Blick bleiben und in steter Anstrengung gepflegt werden muß. Es wird sich dabei zeigen, daß eine Freundschaft dieser Art nicht nur mit einem Menschen, sondern mit mehreren, wenn auch nicht mit unübersehbar vielen möglich ist. Es muß aber mit Nachdruck betont werden, daß eine Freundschaft auch in diesem Sinne Intensitätsgrade hat, die sehr verschieden sein können, ohne daß die Freundschaft des einen mit dem anderen unter dem Druck mehrerer zu verschwinden braucht.

Michael Schmaus