Leipziger Biercomment
Einleitung
§ 1
Der Leipziger Biercomment ist eine aus dem Gewohnheitsrecht entsprungene rechtskräftige Norm, nach der sich alle Leipziger Bierburschen und Füchse, wo und wann sie zusammen in commentmäßigem Stoffe (siehe § 7) kneipen, zu richten haben, und nach der die vorkommenden Bierstreitigkeiten zu entscheiden sind.
§ 2
Der Zweck des Biercomment ist die Regelung der bierrechtlichen Verhältnisse und die Herbeiführung eines gemütlich geordneten Kneipwesens.
§ 3
Dieser Biercomment soll stets da gelten, wo Leipziger Bierburschen und Füchse zusammen kneipen, doch muss mindestens ein bierehrlicher Bursch zugegen und der Stoff ein nach § 7 commenmäßiger sein.
§ 4
Jede deutsche Natur trägt eigentlich einen Biercomment ins sich, denn so als diese Nation, so lange ist sie berühmt gewesen wegen ihres Zechens, und zwar ihres gemütlichen Zechens. Besonders hat aber der Leipziger Bursch nie hinter seinen Landsleuten zurückgestanden. - Tief war der Eindruck, den das Kneipen Leipziger Burschen auf Gothe machte (siehe Goethes Faust), und man erinnere sich nur an "die Ritter vom Breitenstein, die ohne Spieß, bei Schwerz und Wein den Herr´n der Erde glichen." -
Quellen des Biercomments sind außerdem:
- die dem Deutschen angeborene Bierehrlichkeit und Geübtheit in Biersachen;
- altes Gewohnheitsrecht;
- was schon in alten Zeiten weise und hochverdiente Commissionen als Grundlagefestgesetzt haben; doch sind auch die Anstrengungen der neuen Biercommissionen nicht hoch genug zu schätzen.
§ 4a
Alle früheren Rechte, sowie durch usus entstandene Bestimmungen werden durch diesen Biercomment aufgehoben.
I. Subjekte und Objekte des Biercomments
A. Personen
§5
Bierpersonen teilen sich ihrem Bierrange nach in Bierburschen und Bierfüchse, ihrer Bierehre und in Bierhonorige und Bierschisser.
§ 6
Ein Fuchs wird Bierbursch, wenn er zum Bierburschen herausgepaukt worden ist. Anmerkung.: Das Herauspauken geschieht dadurch, dass der Herauszupaukende während des Liedes "In Leipzig angekommen, als Fuchs bin aufgenommen" nach dem ersten und dem letzten Vers einen Ganzen, nach jedem anderen einen halben trinkt, worauf er feierlich zum Bierburschen erklärt wird.
B. Sachen
§ 7
Commentgemäßer Stoff ist jedes Bier und Gose; alle anderen Getränke diesem Comment nicht unterworfen.
II. Vom Vor- und Nachtrinken
§ 8
Um die Gemütlichkeit bei Zechgelagen zu erhöhen, ist es seit unverordentlichen Zeiten Brauch, in fröhlicher Tafelrunde einander zuzutrinken, so auch an der schlichten Kneiptafel des trinkenden und singenden Studio, der dadurch zugleich beim Laster des "stillen Suffes" die Spitze abbricht; denn wenn Müller zu Schulze sagt:"Ich komme Dir (steige Dir - trinke Dir) einen halben (einen Ganzen u.s.w.) vor", so wird Schulze von Begeisterung so hingerissen, dass er unwillkürlich mit den üblichen Worten (siehe § 9) die Annahme erklärt.
§ 9
Was nun die Annahme des betreffenden Quantums betrifft, so ist Schulze unter allen Umständen, moralisch sowohl als auch durch die segensreiche Einrichtung des Bierverschisses, gezwungen, dieselbe sofort erfolgen zu lassen, und zwar muss er dies mit den Worten tun:" Prosit! (Trink´ es! - Sauf es! - ´s ist recht! - Das musst Du! - Mahlzeit! - Es ist die höchste Zeit!)" Bloßes Winken, Zunicken u.s.w. genügt nicht. Auch ist der Ausdruck "Sauf´s doppelt"_nicht verpönt, nur ist Schulze nicht zu garantieren, dass dasselbe wirklich geschieht. Zögert Schulze "Prosit" u.s.w. zu sagen, so kann er dazu von Müller mit den Worten: " Schulze, sag´ Prosit zum Ersten, sag´ Prosit zum Zweiten, sag` Prosit zum Dritten und Letzten!"_ aufgefordert werden.
III. Vom Bierskandal
§ 14
Der Bierskandal ist ein Zweikampf, bei welchem die Waffe das Bier ist, und Derjenige ist Sieger, welcher ein bestimmtes Quantum zuerst commentmäßig ausgetrunken hat.
§ 15.
Wie bei jedem Zweikampf, muss auch hier ein Tusch vorhergegangen sein. Auf jeden Tusch muss wenigstens binnen 5 Bierminuten gefordert resp. überstürzt werden. Dieser Tusch doppelter Art, nämlich:
a. "gelehrt";
b. "Bierjunge".
§ 16. (Ad § 15.a)
Der Beleidigte kann auf den Tusch "gelehrt" den Beleidiger fordern, er kann aber auch denselben ohne jeglichen Grund mit "Doctor" überstürzen und hierauf entweder gefordert, oder mit dem "Papst" überstürzt werden.
Anmerkung 1: Nach "Papst" muss gefordert werden.
Anmerkung 2: Bei "gelehrt" trinkt jede Partei einen Halben, bei "Doctor" einen Ganzen, bei "Papst" zwei Ganze.
§ 17. (Ad § 15b.)
Bei der Beleidigung "Bierjunge" muß von dem Beleidigten gefordert werden. Anmerkung 1: Beim Bierscandal hat der Geforderte einen Unparteiischen zu ernennen, der die Waffen gleich macht und über das Resultat binnen 5 Bierminuten seine Entscheidung zu geben hat. Der Forderer commandirt "Eins", der Geforderte "Zwei" und Ersterer "Drei", worauf Beide trinken.
Anmerkung 2: Bei "Bierjunge" darf bis zu vier Ganze überstürzt werden.
§ 18.
Jeder Paukant hat sich einen Secundanten zu wählen, der Secundant des Geforderten einen Unparteiischen. Der Secundant des Forderers commandirt: "Ergreift die Päpste" (resp. "Doctoren" oder "Gelehrte"), der Secundant des Geforderten: "Stoßt an", der des Forderers "Aus!" Der Unparteiische entscheidet, wer zuerst commentmäßig ausgetrunken hat.
Anmerkung 1: Auf Wunsch eines der Paukanten hat der Unparteiische das Commando zu übernehmen.
Anmerkung 2: Jeder Bierscandal muß 5 Bierminuten nach geschehener Forderung ausgemacht werden, außer bei triftigen Entschuldigungsgründen, z.B. dem, daß einer von den Paukanten in ältere Bierscandäle verwickelt sei.
§ 19.
Der Unparteiische hat den für angeschissen zu erklären, welcher incommentmäßig getrunken im Falle des § 15a zuletzt ausgetrunken und im Falle des § 15b zuletzt "Bierjunge" gesagt hat.
Anmerkung: Incommentmäßig trinken heißt:
wenn Jemand
1) vor dem Commando "Aus" oder "Drei" zu trinken beginnt;
2) während des Trinkens Bier verschüttet (blutet);
3) einen Rest (sogenannten Philister) im Glase zurückläßt, der den Ganzen Boden des Glases bedeckt.
Wer das Glas beim Biedersetzen zerbricht, ist ebenfalls für angeschissen zu erklären.
§ 20.
Unparteiische müssen bierehrliche Bierburschen sein, und ist der Unparteiische auf Grand Cerevis verpflichtet, nach bestem Wissen und Willen zu entscheiden.